Brief von Franz von Holstein an Fanny Rheinberger:
Leipzig, 7.11.1876
Hochverehrte Freundin!
Herzlichsten Dank für Ihre so werthen Zeilen von 21. v.Mts. und das so freundliche Anerbieten, das ich vielleicht einmal so unbescheiden bin anzunehmen, wenn die Frage wegen der Morgenhymne mir wieder näher tritt, die leider augenblicklich durch manches Nöthigere und weniger Erfreuliche verdrängt wird. Hedwig hätte Ihnen längst geschrieben und für den schönen Abend gedankt, den wir bei Ihnen verleben durften, und dessen wir beide uns noch mit Freuden erinnern - besonders aber wegen der interessanten Gesellschaft B. Marcellos, dessen Leben Ihre Dichtung uns nacherleben liess. Hedwig ist aber so von geschäftlichen Dingen nach unserer Rückkehr geradezu überfallen worden, dass sie sich die Freude, Ihnen zu schreiben, auf eine günstigere Zeit versparen musste.
Nun aber zum eigentlichen Zweck dieser Zeilen! Gestern Abend spielte Treiber das As-dur Conzert sehr glänzend und mit grossem Erfolg. Er hatte nach jedem Satz, besonders am Schluss, reichen Applaus und Hervorruf, den er wirklich verdiente, so weit er ihm galt, schwerlich aber ohne das Conzert in dem Grade erhalten hätte, das sichtlich sehr gefiel. Manches in den Passagen war eben nur glänzend, brillant wiedergegeben und hätte vielleicht können etwas mehr vergeistigt und bedeutender genommen werden. Das wäre aber die einzige Ausstellung, die - wenn sie gerecht ist - ich zu machen wüsste. Das Orchester hielt sich brav und war sorgfältig eingeübt. Die ersten Geigen in der Höhe würden freilich im Gewandhaus edler und reiner geklungen haben. Das erste Horn blies vortrefflich in der Gesangsteile des ersten Satzes. Die erste Oboe liess zu wünschen übrig, Flöten und Clarinetten waren gut. Nachdem so manches Werk Ihres Gatten, das Stabat Mater, Requiem, Clavier- Quartett, Thal v. Espingo etc. hier so grossen Beifall ärndtete, wäre es gewiss dem hiesigen musikliebenden Publikum zu gönnen, seine persönliche Bekanntschaft zu erneuern oder zu machen. Noch immer hoffe ich, die Sinfonie werde dazu die Vermittlerin sein. Reinecke hat, wie er mir sagte, aus freiem Antrieb an André wegen der Partitur diesen Herbst geschrieben und von diesem die seltsame Antwort erhalten: "Die erste Auflage von 14 (!!) Exemplaren sei vergriffen, wäre die neue fertig, wolle er sie schicken.“ Ich hatte gerade an André zu schreiben, und habe ihm eine ernsthafte Mahnung geschrieben. Es wäre aber gewiss gut, wenn Ihr Gemahl auch etwas Feuer dahinter machte. Eine solche Handlungsweise ist doch zu toll von einem Verleger!
Grüssen Sie Ihren lieben verehrten Mann herzlichst von mir! Meine Schwester lässt sich Ihnen bestens empfehlen. Wie trübe die ersten Eindrücke waren trotz dem Behagen wieder in den lieben, anmutenden Räumen unseres Hauses zu sein, können Sie sich denken - da wachte der alte Schmerz noch einmal recht auf.
In aufrichtigster Ergebenheit
der Ihrige
Franz von Holstein.
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