3. Tagebuch von Fanny Rheinberger vom 1.1.1874 bis am


/T.B.3,12/ 1./Januar 1874/.

Eben kommen wir vom Hoftheater zurück, wo die sieben Raben mit grossem Enthusiasmus aufgenommen wurden. Das Haus war gedrängt voll. Curt [1] hatte grosse Freude, dass sein alter Gönner, Prof.v.Schafhäutl [2] ausnahmsweise auch im Theater war. Wüllner [3] hatte die Direktion. Die Stehle [4] war eminent bei Stimme. Die Kerkerscene erschütterte uns wieder sehr. Die schluchzende Viola ist Curt's Lieblingsstelle.

Vormittag hatte Curt in der Hofkirche sein Tui sunt coeli [5] gehört.

 

/T.B.3, 15/ 4./Januar 1874/.

Curt hat Catarrh und versagt er sich der morgigen, erstmaligen Aufführung von Thürmers Töchterlein [6] in Graz beizuwohnen.

 

/T.B.3, 17/ 5./Januar 1874/

Auf Brahms' Verlangen (durch Levi) die Partitur der Ouverture der 7 Raben nach Wien geschickt.

 

/T.B. 3, 19/ 9./ Januar 1874/

Curt hat heute das Frauenterzett [7], an welches sich der Chor schliesst zu Frau Itha (Traumgesicht) fertig componirt und ausgeschrieben. Er las in Wiener Zeitung günstige Berichte über die Aufführung seines Töchterleins [8] in Graz. An den guten Schwiegervater in Vaduz [9] einen grossen Theaterzettel geschickt, der ihn jedenfalls freuen wird.

 

/T.B.3, 35/ 30. /Januar 1874/

Eben komme ich vom Theater heim, wo ich Wallensteins Lager sah und den ersten Satz der Wallensteinsinfonie [10] zum Einzug der beiden Piccolomini hörte.

Curt war nicht im Theater. Er fürchtete sich, es nicht genügend aufführen zu hören, und da er von Stuttgart aus die Bitte erhalten, einen Männerchor zu schreiben, so componirte er mittlerweile einen Chor zu Reinick's "Feuriger Liebe" [11].

 

/T.B.3, 37/ 6./Februar 1874/

Curt componirte für den Pfälzer Sängerbund Robert Reinick's "Künstlergruss an die Frauen" [12] zu 4 Stimmen für Männer und schickte denselben heute noch ab.

7. /Februar 18 74/

Schöner musikalischer Abend bei uns. Wüllners, Marie Schmidtlein, Prof. Berneis und Brückner. Curt schwelgte mit Brückner in Mozart'schen Violinsonaten. Curt war dabei ganz selig. Ja, mein Herzens-Mozart, du hast doch das tiefste Gemüth. Curt rief ganz begeistert aus: O Wonne in dieser Musik, zum Teufel mit aller schopenhauerschen Musik. Es war ein reizender Abend,

 

/T.B.3, 38/ 8. Februar 1874/

Curt war so angeregt durch die gestrigen Sonaten von Mozart, dass er heute Skizzen entwarf zu einer Violinsonate [13] und dieselbe auch ausführen will. Es hat stets Einfluss auf ihn, wenn er etwas Schönes hört. So entstand das Duo [14] und das Quartett [15] unmittelbar nach Gehörtem.

 

9. /Februar 1874/

Curt hat heute wieder einige Takte weiter an seiner Violinsonate componirt.   

 

11. /Februar 1874/

Heute liegt Curt in Banden einer zu entstehenden Violinsonate. Ich durfte im Zimmer bleiben, während er sich seine Ideen niederspielte - es sprudelte, immer wieder sah er mich leuchtend an, und wenn ich mit dem Kopf nickte, dann quoll es reicher und begeisterter. Wunderbar ist solch ein Schaffen. Alle Themas lassen sich verwenden, rief er, und wenn er sich an den Schreibtisch setzte, dann vibrirte er die Finger, als ob der Geist in ihm zapple - und Alles ohne Affektation - aber aufreibend ist's - er darf gut dabei genährt werden!

 

19. /Februar 1874/

Die Violinsonate ist nicht nur bereits componirt, sondern sie liegt schon in vollendeter Reinschrift da.

 

/T.B.3, 73/

Curt war vom schmerzhaften Freitag d. 27. März bis 31. März in seiner Heimath Vaduz, um die Trauerfeierlichkeiten für seinen geliebten Vater beizuwohnen. Die neue, herrliche dreimanualige Orgel spielte er zum ersten Male für das Requiem des Vaters. Der Landesverweser hatte ihn dringend gebeten, auch den Liechtensteinern vorzuspielen und so spielte Curt über eine Stunde lang sich selbst in tiefste Entzückung hinein. Es sei das herrlichste Orgelwerk, das er kenne. Dass gerade Curt's Geburtsort solch eine Prachtorgel hat, ist ein schönes Zusammentreffen.

 

/T.B.3, 75, 6. April 1874/

 Curt schickte das Gutachten über die neue Orgel [16] nach Vaduz.

 

/T.B.3, 74/ 13. April /1874/

Curt probirte heute zum ersten Male im Oratorien-Verein Cherubini's grosse Messe in D moll.

 

15. /April 1874/

Im englischen Garten spazieren. Hofcapellmeister Maier begegnet. Er sagte, zwei Sorten von Menschen fürchtet er: Tenoristen & Hornbläser. "Seh'n Se, wenn so'n Kerl anfängt, Horn zu blasen, stösst er Döhne aus, die unbeschreiblich sind. Sieht er dann später ein, wie er eigentlich blasen sollte, denn verlässt'n die Courage und denn bläst er noch unbeschreiblichere Töne".

 

/T.B.3, 74/ 18./April 1874/

Eben kommen wir vom Odeonsconcert nach Hause, wo unter anderem zum erstenmale als Concertstück Curt's Ouverture zur Zähmung der Widerspänstigen [17] gegeben wurde. Levi war krank geworden, so übernahm Wüllner schnell und machte es sehr zu Dank.

 

/T.B.3, 100/ 29./Mai 1874/

Curt hat begonnen, ein Quintett [18] für Streichinstrumente zu componiren. Der erste Satz ist schon fertig, doch lässt ihn das bevorstehende Oratorienvereinsconcert mit Cherubini's D-moll Messe, die hier zum ersten Male zur Aufführung kommt, keine Ruhe zum Arbeiten. Von Haus kamen wieder melancholische Berichte über die nunmehr kränkelnde, äusserst melancholische Schwester Maly. Curt rief ganz bitter aus, als er den Brief gelesen: Ich werde mir von nun an alle Briefe aus der Heimath verbitten.

 

/T.B.3, 100/ 4./Juni 1874/

Curt ist nahezu mit dem Adagio des Quintetts fertig, obgleich er sich die Zeit dazu stehlen muss. Wenn wir ausgehen, ruft er plötzlich aus: "Mein Quintettl schreit, ich muss heim."

 

/T.B.3, 102/ 25. Juni /1874/

Heute beendete Curt sein Streichquintett. Der letzte Satz hatte ihm viel zu schaffen gemacht. Morgens hatte er noch keinen Schluss, als sein junger Copist, Mediziner Bühler aus Chur, ihm die 3 Sätze und einen Theil des 4. brachte. "Kommen Sie abends um 6 Uhr wieder, dann können Sie den Rest holen", sagte ihm Curt und zwang sich so selbst, den letzten Satz zu beenden. Ich verhielt mich still am Nähtisch und hörte ihn nur am Clavier kämpfen - da rief er mich hinaus, schob dann noch 2 Takte ein und machte den definitiven Schluss. Er war froh.

Gestern besuchte uns Bülow, der mit ungeheurer Achtung von Curt sprach. Er nennt ihn den ersten Contrapunktisten und Lehrer Deutschlands. Wir wären fast ein bischen in Streit gekommen wegen Wagner, aber Curt's Ruhe brachte es in's Gleichgewicht.

 

/T.B.3, 102/ 13./Juli 1874/

Herrliches Zusammensein mit Ambros aus Wien [19]. Beseligend, wenn die eigenen Kunstanschauungen, mit denen man einsam im modernen Strome steht, von einem gelehrten braven Manne vollständig bestätigt werden. Ambros brauchte sogar Curt's eigene Worte: "Der Teufel hole die 'geistreiche' Musik, wenn sie nicht zugleich schön ist." Über Wagners Walküre ist er ebenso empört wie wir, vom sittl. Standpunkt.

Curt hat sein Streichquintett für 200 Thlr. verkauft [20].

 

/T.B.3, 113. Ende Juli 1874/

In Curt's Cantate, die er als junger Mensch componirte (Jephta's Tochter) ist ein 3-st. Frauenchor, den ich sehr liebe; ihn ausgeschrieben, ein Regina coeli [21] drunter geschrieben und Curt componirte eine neue Orgelbegleitung zu. Nun wird es zunächst in das Kloster der ewigen Anbetung nach Innsbruck wandern.

 

/T.B.3, 114/

Heute hat er an das Ministerium die Eingabe gemacht, dass seine Stellung eine definitive mit pragmatischen Rechten werde, was nach einer fünfzehnjährigen Thätigkeit an einer Anstalt in Wahrheit nicht mehr zu früh ist.

 

/Oktober 1874/

Am 20.8., da sich Curt Morgens in Kreuth [22] entschloss, nach Florenz zu gehen, erhielt er eine Einladung von der Società d'orchestra, eine Sinfonie für Florenz [23] zu componieren.

 

/T.B.4, 60/

Einige Tage später schickte André 1000 Mark für die Sinfonie, die er nun doch behält. - Clavierauszug nachgesandt.

 

/T.B.7, 57. Hanschriftliche Eintragung über die ganze Seite/:

München

Mittwoch, 3. Dez. 1879

K. Odeon Concert

der musikalischen Akademie

"WALLENSTEIN"

Sinfonie von Rheinbergerdirigirt vom Componisten.

"Das Orchester vortrefflich!"

______________

[1] Fanny Rheinbergers Kosename für ihren Gatten Josef.
[2] Dr.phil.Dr.med. Karl Franz Emil von Schafhäutl (1803-1890), Freund und Mentor Rheinbergers (vgl. Band I).
[3] Franz Wüllner (1832-1902), Dirigent der königlichen Hofvokalkapelle und Lehrer an der königlichen Musikschule in München.
[4] Sophie Stehle, Sängerin.
[5] op. 69 Nr. 2.
[6] Oper von Josef Rheinberger.
[7] "Toggenburg", op. 76 Nr. 5: "Sie liegt im Moos...".
[8] "Thürmers Töchterlein"
[9] Johann Peter Rheinberger (1789-1874)
[10] "Wallenstein" Sinfonisches Tongemälde in d-moll für grosses Orchester, op. 10.
[11] "Feurige Liebe" für vierstimmigen Männerchor, WoO 42 (unveröffentlicht).
[12] Nr. 2 im Liederzyklus "Aus dem Sängerleben" op. 85, 7 Lieder und Gesänge für vierstimmigen Männerchor.
[13] Sonate Nr. 1 in Es-dur für Violine und Klavier, op. 77.
[14] Duo in a-moll für zwei Klaviere, op. 15.
[15] Klavierquartett in Es-dur, op. 38.
[16] Dieses Gutachten Rheinbergers scheint verloren zu sein.
[17] op. 18.
[18] Streichquintett in a-moll, op. 82.
[19] August Wilhelm Ambros (1816-1876), Jurist, Musikhistoriker und -kritiker, Komponist, wurde 1872 nach Wien an das Justizministerium und gleichzeitig als Lehrer an das dortige Konservatorium berufen. 
[20] an den Musikverlag Rob. Forberg in Leipzig. Das Streichquartett ist Dr. A.W. von Ambros in Wien gewidmet.
[21] aus "Drei lateinische Hymnen" für dreistimmigen Frauenchor und Orgel, op. 96.
[22] Wildbad Kreuth.
[23] Sinfonie in F-dur für grosses Orchester, op. 87 ("Florentiner Sinfonie").