Brief von Wilhelm Treiber an Jos. Rheinberger:
Granz, 15. Nov. 73.
Hochverehrter Meister!
Schelten Sie mich doch tüchtig aus ob meiner Nachlässigkeit im Schreiben. F a u 1 war ich ja doch nicht, hingegen recht fleissig in Ihrem Interesse. Die beiden ersten Acte gehen schon recht hübsch und auswendig von Seite der Solis wie des Chores. Leider wurden wir inmitten der Arbeit auf eine recht unliebsame und traurige Weise unterbrochen. Der Darsteller des Heinrich, Herr Lormann, wurde von den Blattern ergriffen und starb. Dass hierüber Wochen vergingen, bis ein Nachfolger gefunden, der u n s e r e n Anforderungen entsprach, ist natürlich, und deshalb verzögerte sich die Aufführung. Doch war dies nicht das einzige Hindernis: Unser böser Gast, die Blattern, forderten noch ein Opfer: auch unser unvergleichlicher Copist erlag ihnen, und da wir uns seit Jahren nur von ihm bedienen liessen, ist keiner von den übrigen im Stande, die Orchesterstimmen zu liefern. Daher bitte ich Sie im Auftrage der Direction, ob es Ihnen möglich wäre, auf 2 - 3 Wochen aus der königl. Bibliothek die Stimmen leihweise zu erhalten, um selbe uns schicken zu können. Dieselben sollen dann in Parthien vertheilt werden und können dann die unseren bald nach der ersten Aufführung fertig sein.
Dirigiren wird die Oper Herr Stolz; nicht nur hat er als der ältere das Anrecht, sondern habe ich eine kleine Reise vor und wären dann die Aufführungen unterbrochen worden. Sie können beruhiget sein, das Werk ist in den besten Händen, auch er ist von der Schönheit und Frische der Arbeit entzückt.
Mit grosser Lust singen die Solis, und wie seltsam - auch der Chor. Gestrichen wird nicht eine Note! Vielleicht dass wir in der Trinkstube vom ersten Chor nur 2 Strophen singen lassen, desgleichen von den schwedischen Soldaten - das ist eigentlich doch kein Strich. Also bitte ich nochmals, es möglich zu machen, dass wir die Stimmen kriegen können.
Wir bedürfen: 4 Violin I Stimmen, 3 Violin 2do Stimmen, 2 Bratschen, 2 Cello und 2 Bassstimmen, und haben 9 Holzbläser, 14 Blechbläser und das nothwendige Schlagwerk. Ich rechne mit Zuversicht auf einen grossen Erfolg. Fast fürchte ich, dass ich bei den ersten Aufführungen Nicht werde anwesend sein; ich reise am 22. d., bin 27. in Leipzig, 29. in Hannover, 1. Dezember in Darmstadt, dann in Cassel, Oldenburg und Göttingen, am 14. in Basel, und wenn wir noch einig werden am 17. in Augsburg. Habe natürlich dann das Vergnügen, Sie wieder besuchen zu können.
Ich bitte Sie demnach, mir wenn möglich umgehend Nachricht zu geben, wie es mit den Stimmen geht, und selbe eventuell sogleich abzusenden, selbstverständlich unfrankirt.
Mich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin bestens empfehlend
Ihr ergebenster
Wilhelm Treiber.
______________