Brief von Jos. Rheinberger an David Rheinberger:
Bad Kreuth, d. 29./ 8.73
Mein lieber Bruder!
Nachdem wir hier vier Wochen im schönsten Sommerwetter zugebracht und ich meine Molkenkur beendigt habe, wird es Zeit, auf die Vaduzer Reise bedacht zu sein. Heute ist nun der erste entschiedene Regentag - die Berge sind durch den Nebelvorhang verschleiert und da kann man nicht leicht was Besseres thun, als Briefe schreiben. Die Reise von hier aus nach Vaduz ist sehr umständlich, sobald man München vermeidet,. was wir schliesslich der wachsenden Cholera wegen thun müssen. Wir werden Mitte oder Ende nächster Woche über Innsbruck, Füssen, Hohenschwangau - Lindau - Feldkirch abreisen - die Zeit der Ankunft in Schaan-Vaduz [1] werde ich dann natürlich des Koffers wegen (der auf das Schloss [2] geschafft werden muss) noch genauer angeben. Dass wir uns herzlich freuen, Euch Alle, besonders auch die lieben Eltern zu sehen, bedarf keiner Erwähnung. -
In München sieht es trüb aus; wenn die Zahl der Erkrankungen auch noch bei weitem nicht an 1854 reicht, so sind doch die Sterbefälle meist sehr rapid, und merkwürdigerweise besonders in unserer Stadtgegend, die sich doch sonst einer reinern Luft, breiterer Strassen und wohlhabender Bewohner erfreut, besonders zahlreich. Das Traurigste aber ist, dass die Ärzte über Natur und Bekämpfung dieses schrecklichen asiatischen Gastes noch fast so rathlos sind, als wie vor vierzig Jahren. -
Wer irgend wie von München weg kann, geht; nur meine Schwiegermama hält tapfer aus. Hoffentlich bringt die jetzt eingetretene kühlere Witterung auch Besserung. -
Ich bin sehr begierig, ob Herr Steinmeyer seine Orgel in Vaduz schon aufgestellt hat. Das von ihm in Wien ausgestellte Werk soll ihm Ehre gemacht haben. Wenn das Wetter günstig bleibt, so hoffe ich, nebst einem kurzen Abstecher nach Chur doch reichliche 14 Tage auf Schloss Vaduz bleiben zu können und freue mich besonders auf den Genuss, den meine Frau an der prächtigen Landschaft haben wird.
Nun lebewohl, grüsse Alle herzlich und lasse Dich gesund und munter wiederfinden.
Dein treuer Bruder
Josef Rheinberger.
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[1] 1872 war die Eisenbahnlinie von Feldkrich (Vorarlberg) über Liechtenstein nach Buchs (Kanton St. Gallen) eröffnet worden. Ohne den Hauptort des Landes, Vaduz, direkt zu berühren, fährt die Bahn vom 3km entfernten Schaan direkt auf die schweizerische Seide des Rheintals. Die Station trägt den Namen "Schaan-Vaduz".
[2] Das Ehepaar Rheinberger logierte im damals noch hauptsächlich als Gastwirtschaft dienenden Schloss Vaduz.