Brief von David Rheinberger an Franziska Rheinberger:
Vaduz, 26/11. 1872
Liebe Fany!
Du forderst mich auf, Dir u. Curt über unsere Spielbankangelegenheit u. namentlich Peters Betheiligung daran, über die Ihr Euch, wie ich gerne glaube, schmerzlich betroffen fühlt, zu schreiben. Ich thue es gerne u. hätte es auch früher gethan, wenn Ihr es verlangt hättet. Nur muss ich, liebe Schwägerin, ein wenig Deine Geduld in Anspruch nehmen, weil ich mich nicht so kurz fassen kann. Im Prinzip, wirst Du mir glauben, denke ich, dass ich die Spielbanken so entehrend u. verwerflich finde wie Du u. alle diejenigen, denen Ehre u. Schamgefühle noch nicht zum blossen Phantom geworden sind, u. dass es mir schon als eine Schmach vorkam, dass man uns diesen Antrag nur machen zugetraut u. ich schämte mich nicht, diese meine Gesinnung auch öffentlich mit derben Worten u. Leidenschaftlichkeit auszudrücken, als ich wahrnahm, dass den Anträgen der Spielbankeigenthümer von Baden-Baden Gehör geschenkt wurde, wobei mir gerade das Beispiel, dass Du anführst, als sehr passend schon damals in Sinn fiel. Ich musste aber bald schweigen, weil ich überall Widerstand f and u. zwar bei Leuten, wo ich es nie erwartete u. die mir überall zuriefen: Wir brauchen vorerst keine Moralpredigten, mit denen ist uns nicht mehr geholfen, wir müssen Geld haben und zwar viel, viel Geld haben, wenn wir unseres Ländchens Untergang verhüten wollen. Und um diesen, Fany, handelt es sich, nicht um Milderung einer augenblicklichen Noth; diese können wir und haben sie schon durch dutzende von Jahren zu ertragen gelernt wie nicht bald ein anderes Volk. Aber den Untergang, den Ruin sucht ein Staat wie der einzelne Mensch so lange von sich abzuwehren, als er kann, und mit allen Mitteln. Grössere und mächtige Staaten führen zu dem Zweck Krieg, bringen Menschen um u. verheeren Länder u. Städte, was eine Spielbank am Ende denn doch nicht thut. Vielleicht aber kommst Du noch nicht darauf, welche Gefahr ich meine, die wir zu bekämpfen haben oder Du kennst sie wenigstens nicht so genau, was ich Dir nicht zumuthen kann, auch Kurt wird sie nicht so genau kennen, aber doch wissen, dass ich den Rhein meine. Er wird uns jetzt von Jahr zu Jahr u. von Frühjahr bis Herbst von Monat zu Monat fürchterlicher, weil die Schweiz jetzt u. schon seit einigen Jahren mit Hilfe von Millionen, welche die Eidgenossenschaft hergibt, mit solcher rastlosen Energie vorwärts baut, dass sie binnen ganz wenigen Jahren mit ihren Schutzbauten fertig sein wird, die so kolossal fest u. hoch werden, dass sie vielleicht wohl auf 50 Jahre hinaus vor einem Rheineinbruch sicher sein werden , u. wenn es uns nicht gelingt, ähnliche Schutzbauten aufzuwerfen, wohl immer Ruhe haben werden, denn es ist nur natürlich, dass der Rhein od. das Wasser überhaupt dort einfällt, wo es weniger Widerstand findet, u. das ist auf unserer Seite der Fall. Wenn wir ihn aber einmal herinnen haben, so werden wir ihn schwerlich, od. nur mit ungeheurer, übermenschlicher Anstrengung mehr hinausbringen, well das Rheinbett höher liegt, vielleicht um 1 Klafter höher als das hinterliegende Land. Und dieses bezwecken auch unsere Herrn Nachbarn, die Schweizer, denn sie rechnen, wenn der Rhein einmal in unserm Land sein tieferes Bett gefunden, werden sie wohl für immer vor ihm sicher sein. Sodann ist das gegenwärtige, von den Schweizern seit zig Jahren angenommene, uns so verderbliche Wuhrsystem auch vertragswidrig, weil sich beide Staaten in den Jahren 1836-47 durch Vertrage gebunden haben, auf welche Art die Rheincorrektion durchgeführt werden solle. Wir haben dagegen protestirt und sie haben uns hönisch geantwortet (nämlich der Kanton St. Gallen) dass sie sich an den Vertrag nicht mehr halten können, weil sie sich dadurch zu beengt fühlen; der Bundesrath, an den wir uns dagegen beschwerend gewendet, bedauerte nicht helfen zu können, weil das Hemd näher als der Rock liege. Und nun, liebe Fany, ist es nicht niederträchtig u. schmachvoller auf diese Art einen rechtgültig bestehenden Vertrag zu brechen, nur weil er dem einen Theil nicht mehr zusagt u. der verletzte Theil dem anderen gegenüber schwächer, wehrlos ist u. nirgends Hilfe findet als eine Spielbank. Auch ein Segen der Kleinstaaterei! Wären wir Preussen, wir dürften wahrlich nicht um eine Spielbank betteln, um uns der Schweizer u. des Rheins zu erwehren.
Du wirst sagen, schliesset Euch Österreich an. Aber Österreich ist zwar gross, hat auch kein Geld u. ist ein unbeholfener Lümmel, der sich der Schweiz gegenüber auch nicht zu wehren weiss, sich selber von ihr Insolenzen gefallen lässt, sich wahrscheinlich auch nicht gerade beeilen würde, sich ein Land zu anectiren, wo es gleich in den ersten paar Jahren einige hunderttausende hineinstecken müsste. Oder den Fürsten angehen, dass er uns hilft?
Da kommen wir auf Peter zu reden. Als Ingenieur u. als Praktiker, der sich schon viele Jahre mit dem Rhein herumgebalgt hat, hat er die Gefahr schon früher erkannt als andere u. auch darauf aufmerksam gemacht, aber nicht genug Gehör gefunden, sonders dort, wo es am meisten hätte geschehen sollen, nämlich oben, wo sein Warnen lästig gefunden wurde. Voriges Jahr aber drang er doch mit einem Antrag halbwegs durch, zur Beschleunigung der Wuhrbauten ein Anlehen aufzunehmen u. zwar 120.000 fl.- natürlich rechnete man auf den Fürsten. Landverweser, der ein Feind dieses Antrages war u. fürchtete, damit beim Fürsten unbequem zu werden od. unwillkommen zu sein, wusste den Antrag auf 50.000 fl. zu reduciren, welche nur auf Dammbauten verwendet werden sollten. Der Fürst liess sich herbei, diese Summe auf 10 Jahre u. zwar ohne Zinsen zu borgen. Heuer im Sommer sah man aber, dass diese Summe nur ein Tropfen Wasser war u. Peter drang energisch auf ein grösseres Anlehen. Beim Landtag u. bei anderen einsichtigen Leuten f and er genügenden Anklang, desto weniger aber beim Landesverweser, der einsah, dass das Geld nur beim Fürsten zu bekommen war u. dem er aber nicht mehr getraute, noch einmal unbequem zu werden. Er suchte deshalb Peter herumzukriegen, dass er von seinem Antrag abstehe, aber vergebens. Unterdessen suchte er ihn aber auch draussen in den Gemeinden anzuschwärzen u. bei den Leuten herunterzusetzen, was Peter wieder erfuhr u. denn auch sein Maul nicht scheute, welches Landesverweser wieder zugetragen wurde, wodurch dann natürlich das freundschaftliche und collegiale Zusammenleben nicht befördert wurde. Ich machte Peter sehr oft und ernste Vorstellungen, dass er sich nicht so unnötig und so oft aufdutzen lassen soll von Leuten, die ihn nur als Mittel zu ihren Zwecken gebrauchen wollen, u. nachher auf die Seite setzen od. verrathen. Aber es hat nicht viel genutzt. Petrus ist eben auch nicht sanften Sinnes. Beim Landtag wurde Peter's Antrag, ein Darlehen von neuerlichen 128.000 fl. aufzunehmen, zum Beschluss erhoben u. Landesverweser musste wohl oder übel wieder in den sauern Apfel beissen u. den Fürsten darum angehen, was schon im August geschah, aber erst vorige Woche hat Landesverweser Nachricht bekommen, dass der Fürst das Anlehen /nicht/ gewähre, er hatte Furcht, dass wir das Anlehen nicht sicher wollen od. am Ende nicht mehr zurückzahlen könnten u. doch hat er sie noch sicherer hier, als seine andern Millionen, die er bei Österreich in Staatspapieren liegen hat. Wenn er uns nicht einmal borgen will, wie sollte er uns denn etwa 800.000 fl. od. eine Million schenken, die wir zum Rheinbau nothwendig haben, um nicht dem oben erwähnten Unglück zu verfallen. Die Spielbank gäbe uns aber viel mehr als wie dieses. Aber weiter!
Im Oktober, u. zwar am 6ten, kam noch eine fürchterliche Rheingrosse, die nur wie durch ein Wunder von uns abgewendet wurde, hätte es in Graubünden noch eine Stunde langer geregnet, wären wir rettungslos verloren gewesen.
Man sah nun ein, dass mit einem Anlehen von 128.00 fl eben auch nichts mehr auszurichten sei, wusste sich aber nirgends mehr Raths zu holen u. fing an still zu resigniren und sich auf den früheren und späteren Untergang gefasst zu machen. Da kamen gerade die verlockenden Anträge der Spielbank u. Du kannst Dir nun denken, auf welchen Grund sie fielen u. mit welchem Heisshunger sie aufgegriffen wurden. Infolge der Oktobervorgänge hat Peter ein neuerliches Gutachten über die Rheinverbauung verfasst u. die Kosten desselben auf die oben bemerkte Höhe angegeben u. das Gutachten bei der letzten Landtagssitzung, in welcher beschlossen wurde, die berüchtigte Deputation an den Fürsten abzusenden, dem Landestag vorgelegt: Landesverweser war wüthend darüber u. überhäufte ihn mit den gemeinsten, perfidesten Schmähungen, so dass der ganze Landtag empört war. Die Mitglieder glaubten ihm eine Satisfaction schuldig zu sein u. dieselbe dadurch zu bethätigen, dass sie ihn in die Deputation wählten. Peter sah das unschickliche wohl ein u. wehrte sich. energisch aus allen Kräften dagegen, aber vergebens, sobald Landesverweser sah., dass er sich dieser gemeinten Ehre entziehen wollte, war er perfid genug, aus der Geschäftsordnung des Landtages durch juristische Spitzfindigkeiten herauszuklügeln, dass jedes Landtagsmitglied allen ihm übertragenen Ämtern sich unterziehen müsse. Er dachte wahrscheinlich, ihm dadurch beim Fürsten ein Bein zu stellen. Es kam also Peter hinein und ich hoffe ihr werdet nun anders über ihn urteilen. Bei der Rückreise von Wien beabsichtigt er, bei Euch abzusteigen u.. dann könnt Ihr mündlich noch das Weitere Euch auseinander setzen. /…/
Ich kann Dir nur noch beifügen, wenn ich es erfahren sollte, dass wir die Spielbank bekommen sollten, so werde ich erschrecken, u. wenn nicht ebenfalls. So schwer ist die Wahl zwischen Schande - und Ruin. Ich tröste mich mit der Nothwehr u. glaube daher, dass wir recht handeln, wenn wir uns wehren u. nicht hundsföttisch von unsern Nachbarn unterdrücken lassen. In solchen Fällen ist auch die Hilfe des Teufels annehmbar. Gegen die Leute zu sprechen wäre gegenwärthig nicht rathsam, das Volk ist wie vom Veitstanz besessen, geistlich. u, weltlich, ohne Ausnahme u. wenn Peter dagegen wäre u. es würde auf's nächste Jahr ein Rheinunglück geschehen, so würde er ohne Gnade gelyncht.
Soeben erhielt ich den ersten Brief Peters /aus Wien/, worin er kurz mitteilt, dass sie Freitag od. Samstag in Vaduz zu sein glauben, mit der Spielbank werde es nichts sein.
Es grüsst Dich und Kurt tausendmal Euer David.