Brief von Sebastian Pöhly an Josef Rheinberger:
Schlanders 13.3.1876
Hochverehrtester Herr!
Nehmen Sie vor allem die Versicherung hin, dass ich Ihr letztes so herzliches Schreiben mit der so grossmütigen Beilage zu Tränen rührte. Ich finde nicht genug Worte des innigen Dankes für die grosse Ehre, die Sie durch Ihr freundliches herablassendes Schreiben sowohl als durch die reichliche Unterstützung Ihren einstigen nun greisen Lehrer angedeihen liessen. Gott, der Vergelter solcher edler Herzen, wird es Ihnen und Ihrer hochverehrten lieben gnädigen Frau Gemahlin hier und jenseits lohnen. Traurig berührten mich die Todesnachrichten von Ihren höchst ehrenvollen mir unvergesslichen lieben Eltern und Geschwistern. Auch mein Vater ist vor 3 Wochen in seinem 95-ten Jahre gestorben, welchen ich trotz meinem kleinen Lehrergehalte seit 12 Jahren gänzlich erhalten habe. Jedoch, Gott sei Dank, so lange ich gesund bin, lebe ich bei meinen kleinen Bedürfnissen doch, und das alte Sprichwort: Gott verlässt keinen ehrlichen Menschen, erwahrt sich voll bei mir, da ich nun durch Ihre hochherzige Gabe die Krankheit und Todfallkosten von meinem selbigen Vater mehr als bestreiten konnte. Nur diesen Wunsch hätte ich noch vor meinem Tode, dass ich das Glück hätte, Sie meinen edlen Freund und so grossen Wohltäter meinen ehemaligen Schüler, und nun so grossen Künstler, meinen lieben Peppi noch einmal zu sehen und jene guten alten Zeiten wachzurufen. Ich kann Sie versichern, mir steht jeder, auch noch so unbedeutende Vorgang, weicher in Ihrem mir unvergesslichen elterlichen Hause, indem ich so viele Wohltaten genossen, ja wie mir Ihr nun seliger Vater oft sagte als Mitglied seiner. Familie betrachtet wurde, so klar vor meinen Augen als wenn alles erst gestern gewesen wäre. Ich sehe ihn oft im Traume wie er mit seiner lieben lächelnden menschenfreundlichen Miene hinter dem Tische unter dem Spiegel sitzt, und uns zuhorcht, wie wir miteinander verkehren, und Ihnen zuruft: Peppe noch hundert mal ohne Unterbrechung, dann gebe ich dir einen Zwanziger, und noch 100 mal dann 2 Zwanziger und so fort. 0, Ihr guter Vater! Mein Schritt, dass ich mich durch grosse Versprechen, die aber bis heute nicht erfüllt wurden von Liechtenstein weglocken liess, habe ich oft und bitter bereut. Ich wurde von einer Partei unverschuldet aufs Korn genommen, well ich meinem Charakter zuwider weder den Heuchler noch den Betbruder spielen konnte, und zwar so, dass ich schon im Jahre 1851 Schlanders verlassen, und in der 1 1/2 Stunden von Schlanders entfernten Pfarrgemeinde Latsch als Suplent [1] des Lehrers mit 85 fl. Jahresgehalt angestellt wurde. Ich hatte genug zu arbeiten, aber wenig zu geniessen; dass ich unter solchen Umständen, viel und oft nach Vaduz dachte, lässt sich leicht vorstellen. Seit dem Jahre 1865 bin ich wieder in Schlanders als Unterlehrer angestellt. Habe mich noch in meinem 60. Lebensjahre mit einer Person von 50Jahren verheiratet, weiche zwar kein Vermögen, aber dafür ein gutes redliches Herz hat. Als ich Ihre Sonate samt Portrait erhielt, war ich etwas unpässlich, daher ich meinen Dank nur diktieren konnte.
Von mir und meiner Gattin alles nur erdenklich Gute zu Ihrem hohen Namensfeste, samt untertänigstem Handkuss an Ihre hochverehrte gnädige Frau Gemahlin.
Ich schliesse nun mit Wiederholung meines innigsten Dankes und rufe Ihnen noch mit aufrichtigstem Tiroler Herzen aus der Ferne zu:
Gott lohn es Ihnen und Ihre hochherzigen und edlen Frau Gemahlin. Mit grösster Hochachtung
Ihr dankbarer alter Lehrer
Seb. Pöhly.
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[1] recte: Supplent, österr. für Hilfslehrer.