J. G. Rheinberger bittet David Rheinberger mitzuhelfen, die Stipendienanfrage von Herrn Gautner voranzutreiben. Er erzählt seinem Bruder vom "schneereichen kalten Winter" und wünscht der Familie frohe Feiertage


Brief von Josef Rheinberger an David Rheinberger:

 

München, 10.12.1875

Lieber David!

Da es draussen noch immer schneestöbert und ich jetzt vor Tisch ein halb Stündchen frei habe, so muss ich, wenn der Briefwechsel mit Vaduz nicht total eingefrieren soll, denn doch meine Briefbogen aus der Schreibmappe herauslangen. Dein letzter Brief empfahl mir einen Herrn Gautner; derselbe war vor ungefähr 20 Tagen da um 20 Mark zu leihen und heute wieder zu demselben Zwecke. Er sagte, er erwarte von Vaduz täglich ein Stipendiumsgeld und sei, da dasselbe noch nicht angekommen in der bittersten Noth. So gab ich ihm denn nochmals 20 Mark.- Vielleicht kannst du mittreiben, dass er sein Stipendium bekommt - andererseits wäre es ja die pure Grausamkeit, einen jungen Menschen mittellos in eine wildfremde Stadt zum „Studiren“ zu schicken, wo er in solcher Lage geistig und körperlich verkommen muss. Ich kann eben für einen Polytechniker, dessen Wirkungskreis nothwendig dem meinigen fernsteht, nicht viel tuen, zudem sind wir sehr von allen Seiten in Anspruch genommen, von alten kranken Leuten, Studenten, Wohltätigkeitsanstalten, Sammlungen etc. etc. ohne Ende. Seit wir von Vaduz fort sind, war fast ununterbrochen schlecht Wetter; nun ist schneereicher kalter Winter. Wir sind gottlob gesund und hoffen von euch desgleichen. Das Maly noch nicht ganz besser ist, tut mir sehr leid; Fanny will ihr ein homäopatisches Mittel schicken, das jedenfalls wenigstens unschädlich ist.- Ihr seid gewiss auch recht eingeschneit! Grüsse mir Maly und Peter mit gesammter Familie und bringe die kommenden Feiertage froh und heiter zu und hiemit Gott gefohlen! Die Suppe steht auf dem Tisch - ich wollte, du könntest mithalten!

Dein Bruder

Josef Rheinberger

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