Franz von Holstein berichtet Jos. Rheinberger vom Geburtstag seiner Gattin sowie von der Aufführung von "Thal des Espingo" in Leipzig


Leipzig, den 7t. Febr. 72

Lieber, verehrter Freund!

Auch wenn Ihr so lieber Brief, für dessen warme, treufreundschaftliche Gesinnung ich Ihnen recht von Herzen danke, nicht eine baldige Antwort gefordert hätte, ich hätte Ihnen doch heute geschrieben über das gestrige Pauliner-Conzert,...

Gestern war nämlich ein bewegter Tag - Hedwig's Geburtstag. Nur ein halb Stündchen beim Frühstück waren wir allein beisammen. Dann kamen Besuche lieber Freunde bis Mittags. Nachmittags abermals Besuche und Abends 2, - schreibe zwei - Conzerte...

Ich ging also zuerst in's Pauliner-Conzert, das zum Glück eine halbe Stunde früher begann, u. hörte die glänzende Anacreon-Ouverture [1] u. Ihr "Thal des Espingo". Dann in die Euterpe, wo ich pflichtschuldigst meine Arie genoss und eine ungarische Rhapsodie von Liszt (mit Orchester) durch Fichtner trommeln, klingeln, donnern u. pfeifen hörte - eigentlich sollte das Stück im Circus auf ungesatteltem Pferde geritten oder getanzt werden.- "Hurrah! Hopsa!" durch die Reifen gesetzt, grosser Bravour-Sprung: "Hussassa! Hurrah!"- Grosse Voltige vom Pferde - aufs Pferd! "Hurrah!" Es leben hoch die Oktavengänge in der linken Hand, hoch grosse Trommel, Triangel, Becken u. Alles, was da lärmt und schreit in einem wohl, oder vielmehr Übel assortirten Orchester! Hierauf zwei innige Lieder von Robert Franz durch unseren Tenoristen sehr innig gesungen u. fort in das Pauliner-Conzert, um die Schlussnummer: Wüllner's Heinrich der Finkler zu hören. Seit meine Oper wieder über eine Viertelstunde zu lang ausgefallen, habe ich mit allen Komponisten langer Kompositionen herzlichstes Mitleid, auch wenn sie recht weilig dabei sind. Ich fürchte fast, Wüllners Werk war für die Masse des Publikums Beides zusammen, ist aber durchaus edel gehalten u. hat Momente schönen Aufschwungs. Aber über 3/4 Stunden in der Tiefe brummmende Männerstimmen, das muss monoton werden.-

Ihr Werk, lieber Freund, hat mir ganz den Eindruck gemacht, den ich beim Lesen erwartete - ja noch viel mehr. Es ergriff mich tief, denn das Ganze ist so innerlich u. seelisch belebt, es ist alles darin warm und warmempfunden. Bei dem Aufschrei des Chors nach langer hervorgegangener Steigerung:“O Heimathwonne!" ist mir sogar etwas in die Augen gekommen …

Und dann ist die Orchesterbehandlung mir so ganz sympathisch. Ein festgehaltener charakteristischer Grundton, und die einzelnen Momente nur soweit hervorgehoben, dass sie sich wirksam abheben, ohne herauszufallen. So die reizende Wirkung im D-dur mit den ausgehaltenen Violinen, u. das Cello bei den Rosen von Engadi. Zuweilen wünschte ich den an sich sehr berechtigten Triangel weg.-

Man liebt jetzt mehr ein buntes Mosaik von Tonfarben, die sich untereinander in's Gesicht schlagen, sich überbieten und die Augen einander auskratzen wollen. Erst garnichts, dann Alles FF.- Geigen u. Holzbläser in höchster Höhe - dann die tiefsten Bassinstrumente u.s.w.. So instrumentiren Liszt u. Anhänger, Wagner u. Berlioz scheinen mir noch weit einheitlicher. Alle haben es aber doch von Meyerbeer gelernt. Es ist doch immer das Recept der Gnadenarie mit etwas anderer Sauce.-

Ob ihr Werk dem gemischten Publikum des Saales gefallen - das ist schwer zu sagen. Der Applaus war lebhaft und lange. Das Publikum des Pauliner-Conzerts ist kein eigentlich musikalisches, sondern wird durch Freunde u. Freundinnen, Hauswirthe u. Hauswirthinnen der Studenten gebildet. Manches hübsche Mädchen ist mit seinen Gedanken wohl schon auf dem Balle, dessen Kosten vom Ertrag des Conzertes bestritten werden. Wie gesagt, an Applaus fehlte es nicht, aber das Publikum schien mir zu zerstreut, um ganz der Innerlichkeit Ihres Werkes gerecht werden zu können. Was die hohe Kritik dazu sagt - nun, das werden Sie ja lesen und über sich ergehen lassen wie Sonnenschein und Regen. Sie wissen, wie mir's ergangen.

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Nun leben Sie wohl. Glück auf zur Beendigung der neuen Oper, die bald erfolgen wird, u. viel Freude daran!

Ihrer verehrten Frau tausend Grüsse

von Ihrem getreuen Franz v. H/olstein/.

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[1] Von Luigi Cherubini.