Franziska Rheinberger berichtet Rheinbergers Vater Johann Peter Rheinberger von seiner Erkrankung sowie weiteren Ereignissen


Brief von Franziska Rheinberger an Johann Peter Rheinberger


München, d. 1. März 1871

Theurer Vater!

Mit so grosser Zufriedenheit entnehmen wir aus den verschiedenen Briefen von Vaduz, dass es Ihnen, theurer Vater, sowie auch der lieben Mutter gut geht, dass ich Ihnen heute diese Freude wieder einmal schriftlich aussprechen muss, obgleich ich Ihnen sonst nicht viel Neues mittheilen kann.

Curt hat wieder eine kleine Geduldsprobe auszuhalten, weil er an der rechten Hand, gerade an der Wurzel des Zeigefingers seit mehreren Wochen eine Geschwulst hat, die ihn nicht nur am Clavierspielen, sondern auch am Schreiben und Componiren sehr hindert.

Wir waren desshalb auch vor einer Woche bei Generalarzt von Nussbaum, der ihm jedoch sagte, dass er kein scharfes Mittel dagegen gebrauchen dürfe; es müsse sich langsam wieder verlieren und sei nicht beunruhigend, nur etwas langweilig. Es käme öfters vor, dass in Folge von Kreuth und früheren Brustentzündungen zum Schlusse des Leidens solche Erscheinungen kämen, wozu Nussbaum meinem Mann eher gratuliren könne, da sich auf diese Weise jeder Krankheitsstoff verlöre. Jedenfalls solle er aber wieder nach Kreuth gehen. -

Curt ist wieder stärker geworden und sieht, Gott sei Dank, sehr gut aus. -

Heute kam ein Brief [1] aus Wien an ihn, von einem der ersten Componisten dort, Johannes Brahms, welchem Curt ein paar Clavierstücke [2] widmete.

Dieser schrieb: 'Wenn ich Ihre schöne Musik spiele, muss ich oft dabei seufzen; man fühlt Ihren Compositionen an, wie sie in schöner und glücklicher Häuslichkeit geschaffen sind - ich arbeite wohl auch - aber was habe ich sonst?' Ich schreibe Ihnen diess nicht aus Eitelkeit, lieber Vater, sondern weil es Ihnen wohl thun wird, dass Curt's Talent und zufriedne Lage von den ersten Künstlern anerkannt - ja beneidet wird. Mir ist immer die Hauptsache, seine liebe, schöne Seele! An die darf nichts Trübes kommen, diese muss glänzen und leuchten wie ein klarer Diamant.

Vorgestern dirigirte er sein II. Oratorienvereins - Concert, das sehr gut ausfiel weil es ein vorzüglich zusammengestelltes Programm hatte. Unter Anderm wählte Curt einen sehr lieben Chor von Haydn [3]: 'wider den Übermuth'. Er fängt so an: 'was ist mein Stand, mein Glück und jede gute Gabe? Ein unverdientes Gut. ' Weisst du, sagte Curt zu mir, das hören die Leute nicht gerne, desshalb müssen sie es hören. Am Liebsten wäre es mir gewesen, wenn Richard Wagner es hörte, der den 'grossen Haydn' in einer gedruckten Broschure eine Lakeyen- Natur nennt! -

Auch von einem Schüler Curt's machten wir ein schönes Chorlied. Dieser junge Mann, Namens Ernst Sachs, ein armer Bauernssohn, dankt Curt seine musikalische Laufbahn. Nachdem er sich für ihn verwendet, dass er unentgeltlich an die Musikschule kam, unterrichtete ihn Curt so, dass er bereits im Stande ist, sich durch gute Privatstunden, die ihm Curt in den vornehmsten Häusern verschaffte, sowie durch Aushilfsunterricht an der Musikschule sein Lebensbrod reichlich zu verdienen. -

Sie sehen also lieber Vater, dass Ihre strenge, gute Erziehung bei Curt gute Früchte trägt. Möge Gott seinen Segen auch weiter geben. -

Mit Freude hören wir von dem herrlichen Vaduzer Kirchenbau [4]. Ich wollte, Curt könnte zur Einweihung desselben die Orgel spielen. Aus dem jüngst erhaltenen Briefe H. Hofkaplan's [5], für welchen ich Sie einstweilen den Dank zu sagen bitte geht hervor, dass es Schwägerin Therese etwas besser geht. Peter's Geschick geht mir sehr zu Herzen und ich flehe zu Gott um Einsicht auf welche Weise ich ihm meine Theilnahme zeigen kann! -

Ich freue mich, in diesem Jahre die ganze Familie wieder zu sehen und vielleicht ist bis dahin auch wieder Glück und Freude in das 'rothe Haus' [6] eingekehrt. Meine Mama ist wieder etwas unwohl, was mir stets ein Schmerz ist, da sie sich Kranksein so sehr zu Gemüthe nimmt. Mit der Bitte Curt's und meine Grüsse der ganzen Familie auf das herzlichste zu vermitteln bittet um die Fortdauer Ihrer Liebe Ihre Sie herzlich verehrende

Tochter Fanny."

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[1] Vgl. Brief von Brahms an Rheinberger vom 28.02.1871.
[2] Zwei Klaviervorträge, op. 45 (Johannes Brahms gewidmet).
[3] "Wider den Uebermut" (Text: C. F. Gellert) aus "Vierstimmige Gesänge" von Joseph Haydn, Hob. XXVc, Nr. 7.
[4] Rheinbergers Heimatgemeinde Vaduz erhielt 1869-1873 eine neue Pfarrkirche nach Plänen des Wiener Dombaumeisters Friedrich von Schmidt.
[5] Johann Franz Fetz (1809-1884), seit 1849 provisorisch und ab 1852 definitiv Hofkaplan in Vaduz. Fetz war Lehrer Rheinbergers.
[6] Das mittelalterliche "Rote Haus" mit grossem Weinberg in Vaduz ist seit 1807 im Besitz der Familie Rheinberger.