Jos. Rheinberger berichtet seinem Bruder von den Aufführungen zweier seiner Werke sowie den ihm bekannten Kriegsverwundeten und Todesopfern


Brief von Jos. Rheinberger an seinen Bruder David Rheinberger

 

München, den 19. Dezember 70.

 

Lieber Bruder David!

Längst bin ich Dir wiederholt Antwort schuldig, und nur die wirklich gehäuften Geschäfte, welche ich in der letzten Zeit hatte, mögen vor dem Richterstuhl der brüderlichen Liebe (eine ebenso schöne als neue Wendung) als Milderungsgründe dienen. Du wirst schon aus meiner Ausdrucksweise erkennen, dass ich mehr mit Juristen als  Musikanten verkehre, ganz entgegen dem Sprichworte, dass gleich und gleich sich gesellt; es müsste denn sein, dass in mir ein Stück "Rechtsmann" (und doch bin ich links!) steckt, der nur nicht zum Durchbruch kam.

Vergangene Woche kamen zwei meiner grösseren Werke vors grosse Publikum - Sonntags die "Raben" (bei vollem Haus und viel Beifall) und Montags mein grosses Requiem "zum Gedächtniss der im deutschen Kriege gefallenen Helden" vorgetragen unter meiner Direktion vom Oratorienverein und dem Hoforchester. Die Wirkung war eine grosse und mächtige; Du hast vielleicht die Notiz darüber in der Allgemeinen Zeitung gelesen. Für Maly füge ich bei, dass alle Damen des Vereins schwarz erschienen, etwas das Dich allerdings weniger interessirt, da der weise Mann, der Herr der Schöpfung, mehr auf den Kern als die Hülle. schaut. (Siehe Sprüche Salomonis über die Eitelkeit der irdischen Dinge.) In der Postzeitung war auch eine kleine Notiz . -

Dass die Stimmung daher infolge des lang andauernden und so opferreichen Krieges eine ernste ist, kannst Du Dir vorstellen; fast alle meine Bekannten bei der Armee sind todt oder verwundet. Für Maly [1] die Notiz, dass Herr Landwehrlieutenant Arnold, den sie gewiss auch kennt, auch verwundet ist, ebenso mein früherer Schüler K. Bürkel. Auracher ist wieder geheilt - Adolf Ströll, der in den Tagen vom 1. - 11. Dez/ember/ neun Gefechte und Schlachten mitgemacht hat, ist bisher wunderbarerweise unversehrt geblieben; er schrieb mir einmal aus Orleans.  Reichardts, die in unserm Hause wohnten, und welche Maly gewiss auch kannte, haben zwei Söhne in einer Schlacht verloren, einer todt, der andere schwer verwundet. Hauptmann Jetze neben uns ist auch todt. Baligand ist verwundet; kurzum eine ganze Legion - wie muss es dort bei den Franzosen sein! Doch muss dieser schreckliche Krieg ausgekämpft werden, bis die Franzosen genug haben, das ist das allgemeine Gefühl; ist es doch für die Deutschen eine Abwehrung für Jahrhunderte. Die Kreirung des Kaiserthums hat hier allgemein befriedigt, doch keine Spur von Enthusiasmus hervorgerufen. Man ist zu ernst dazu. Die benachbarten Österreicher sind aber sehr bös über das neue Kaiserthum, nun - früher oder später müssen sie auch herüber und wir Vaduzer ebenfalls - die Lawine ist im Rollen und wird alles Deutsche in sich aufnehmen.

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[1] Rheinbergers Schwester Amalie.