Der Abschiedsbrief von Hans von Bülow anlässlich seines Rücktritts von der Leitung der Kgl. Musikschule in München an die Lehrer und Schüler:
Liebe und geehrte Herren und Damen!
Das schöne Zeichen Ihrer freundlichen Ergebenheit und nur etwas übertriebenen Anerkennung meiner geringen Verdienste um die Königliche Musikschule, von deren Leitung ich jetzt zurücktreten muss, hat mich mit innigster Rührung erfüllt, und ich danke Ihnen aus vollstem Herzen für das Abschiedsgeschenk eines bleibenden Andenkens an meine zweijährige Wirksamkeit in dieser Anstalt. Allerdings wird die freudig rückhaltlose Annahme desselben auch heute noch von den nämlichen Gewissensbedenken gestört, die mich in Verbindung mit einer plötzlichen körperlichen Schwäche und der Furcht, von wehmütigen Empfindungen überwältigt zu werden, vorgestern Abend zwangen, mich der beabsichtigten persönlichen Überreichung zu entziehen. Lassen Sie mich Ihnen aussprechen, wie ich mich über jene Bedenken hinwegzusetzen bemühe und mögen Sie daraus den Werth ermessen, den ich dem mir gewidmeten Geschenke beilege.
Ginge es nach Recht und Billigkeit, der schöne Kranz müsste gepflückt und entblättert werden. Ihre sämmtlichen Lehrer, meine verehrten trefflichen Herren und Collegen und Mitarbeiter hätten so unbestreitbare Ansprüche an so und so viele einzelne Blätter geltend zu machen, dass für mich kaum noch ein Antheil übrig bleiben würde. Da ich jedoch durch die Allerhöchste Gnade Seiner Majestät des Königs zum Direktor der Schule berufen worden war, so habe ich die sanfte Last der Ehre für das Gelingen ihrer Bestrebungen zu tragen, wie mir die scheinbar schwere, aber durch die, höchster Anerkennung würdigen Leistungen meiner verehrten Herren Mitlehrer so überaus erleichterte Bürde der Verantwortlichkeit für das Ganze angewiesen worden ist.
Indem Sie nun mich, liebe Zunftjünger, mit dem Ausdruck Ihrer Ergebenheit erfreut und geehrt haben, fasse ich diesen Akt so auf, dass er nicht eben meiner Person als solcher, sondern dem durch seine Stellung als Leiter der Anstalt zu einem Vertreter des Inbegriffs Ihrer sämmtlichen Lehrer gewordenen Künstler gelten solle. Diese Auffassung wie sie mir die gewissensruhige Annahme Ihres Geschenkes ermöglicht, befindet sich auch in vollkommenem Einklange mit demjenigen Stolze, den ich mir persönlich gestatten darf: den des Bewusstseins, stets von der redlichen Absicht beseelt gewesen zu sein, mit meiner Person in der Sache, im Streben nach Verwirklichung der idealen Ziele der königlichen Musikschule vollkommen aufzugehen.
Dass die Königliche Musikschule nach zweijährigem Bestehen so überaus befriedigende Ergebnisse zu Tage gefördert hat, ist nun hauptsächlich der einträchtigen gemeinsamen Hingebung der Lehrer an ihre Aufgabe, wie andererseits dem edlen sittlichen Geiste der sich von Tage zu Tage in dem Kreise der Schüler leuchtender verbreitet hat, zu danken. Aus voller Seele wünsche ich Ihnen, liebe Kunstjünger, dass jener Geist fortdauernd über und in Ihnen walten möge und es gereicht mir beim Scheiden aus Ihrer Mitte zur tröstlichen Beruhigung, dass die Erfüllung dieses Wunsches nicht blos auf Hoffnung sondern auf festester Gewissheit beruht. Lassen Sie mich zum Schlusse dieses Abschiedsgrusses Ihre Blicke auf den erhabenen Stützpunkt dieser Gewissheit richten, welcher das beinahe ans Wunderbare grenzende Resultat erklärt, dass die Münchner Musikschule in kaum zwei Jahren die unbestritten erste Stellung unter allen derartigen deutschen Anstalten errungen hat, wie dies an den Früchten zu erkennen gewesen ist, wie dies die letzten Prüfungen so unwiderleglich dargethan, dass selbst ein einzelner schwarzer Punkt (ein betrübender Irrthum, von dessen Mitschuld der bisherige Direktor sich nicht freizusprechen vermag) die schöne Klarheit des Horizontes kaum verdüstern konnte.
Bisher galt für jede Wissenschaft und jede Kunst das Wort, das vor mehr als 2000 Jahren der Gründer einer der ältesten wissenschaftlichen Systeme ausgesprochen hat: "Es führt kein Königsweg zur Mathematik. Auch zur praktischen Tonkunst führte kein geebneter, bequemer, kurzer Weg in unserem zersplitterten Vaterlande, das seinem gerechten Stolze auf den Ruhm, die grössten Meister in der idealsten aller Künste hervorgebracht zu haben, bisher die Befriedigung zu gewähren machtlos war, der würdigen Ausführung ihrer unsterblichen Werke die erforderlichen lebendigen Künstler-Werkzeuge, die reproduzirenden Dolmetscher an die Seite zu setzen.
Durch den erhabenen Monarchen, dessen nicht genug zu preisende Grossherzigkeit die Mittel zur Gründung und Erhaltung der Kunstschule, welcher Sie angehören, dargeboten hat, ist jener alte Ausspruch gewissermassen entkräftet worden: in München ist ein Königsweg zur Tonkunst für alle Talente und Fähigkeiten in Ihrem Bereiche eröffnet und gebahnt worden. Und nächst der dankbaren Ehrfurcht, welche Sie, liebe Kunstjünger, gegen König Ludwig II. von Bayern stets durchdringen möge, finde in Ihren Herzen auch stets noch die Empfindung der verehrungsvollen Erkenntlichkeit eine Stelle, welche demjenigen Meister, dem grössten unter den Lebenden zu zollen ist, der die Gnade einer königlichen Freundschaft zur Anregung der Gründung dieser Schule zu verwerthen gewusst hat. Durch Herrn Richard Wagners Anregung ist der ideale Kunstwille S.M. des Königs zur That geworden: diesem Meister verdanken Sie den Plan der Organisation der Anstalt, wie den Gedanken ihrer Gründung. Vergessen Sie endlich, ich bitte, eines anderen Mannes nicht, der im Vereine mit mir dem Grundplane Richard Wagners die ausgeführte praktische Gestaltung gegeben hat, deren Vorzüglichkeit sich thatsächlich bewährt hat, des Mannes, der selbst Künstler und Ihr eigentlicher Vorstand, es trotz seiner überaus verwickelten und mannigfaltigen Thätigkeit vermocht hat, jedem Einzelnen von Ihnen ein wahrhaft väterliches Interesse zuzuwenden, dessen unvergleichlich wohlwollender Fürsorge jedes hervorragende Talent nach erfolgter Ausbildung vertrauensvoll für seine Zukunft entgegensehen darf, des Herrn Intendanten der Kgl. Hofmusik, Barons von Perfall.
Die Überzeugung von dem sicheren Weiterbestande der Anstalt, der die geringen Dienste meiner Person nun entbehrlich geworden sind, die Gewissheit von der nach keiner Richtung hin gefährdeten Zukunft irgend eines ihrer tüchtigen Schüler, erleichtert mir mein Scheiden aus Ihrer Mitte von jeder Beklommenheit: indem ich Ihnen das herzlichste Lebewohl sage, bitte ich der egoistischen Regung meines Inneren, welche mein Andenken an ein äusser1ich vergegenwärtigendes Zeichen des Entfernten geknüpft sehen möchte, zu verzeihen und bei Benutzung des von mir der höheren Klavierklasse und dem Ensembleunterrichte dargebotenen Bechsteinschen Flügels, den ich Ihnen hinterlasse, freundlich zu gedenken
Ihres in treuer Anhänglichkeit Ihnen allen herzlich ergebenen vormaligen artistischen Direktors
Hans von Bülow
München, 6. August 1869