Josef G. Rheinberger schreibt an Bruder David Rheinberger über familiäre und alltägliche Angelegenheiten


David Rheinberger erhält Nachrichten von seinem Bruder aus München:

Lieber David!

Eine Treppe über uns spielt ein junger Baron so gottsjämmerlich Clavier, dass mir alle meine Sünden einfallen, unter andern auch die (gewiss nicht geringste) dass ich Dir seit einer 3/4 Ewigkeit nicht geschrieben habe. Sollte es meinem Briefe an der gehörigen Portion Behaglichkeit fehlen, so ist ferner unsere Wanduhr Schuld, welche nicht gehen will, obschon meine Frau seit einer halben Stunde mit energischer Hand den Perpendikel hin und her schlägt. Nebenbei führen die Spatzen vor meinen Fenstern ein Jammergeschrei sonder gleichen auf, weil über Nacht aus dem schönsten Frühjahr heftiger Winter geworden, und sie nun wieder vor den Fenstern um Brod betteln. Sind das nicht Neuigkeiten, die ihren Groschen Porto fast werth sind. -

Heute war Frau Baronin von Redwitz da, welche mit Mann und Tochter in Venedig und Meran war und an letzterem Ort auch Peter zweimal gesprochen hat. Sie sagt, er sehe gut aus und er sei sehr zufrieden mit dem Erfolge seiner Winterkur. -

Meinem Schwiegervater geht es immer gleich, d.h. die Lähmung der rechten Seite ist noch nicht gehoben, die Sprache aber eher etwas besser und artikulirter geworden. Meine Frau war wegen Repetition ihres vorjährigen Halsleidens auch 8 Tage bettlägerig und darf jetzt bei der strenger gewordenen Temperatur nicht ausgehen. -

Wegen meiner Oper kann ich jetzt nichts ausführlicher schreiben, da die Trägerin der Hauptrolle, Frl. Stehle, den ganzen März hindurch beurlaubt ist. Die Ouverture zur Oper befindet sich in Leipzig schon unter der Presse mit noch einigen Novitäten. -

In einer hiesigen Zeitung las ich letzthin, das der König von Preussen unserm Fürsten für eine bedeutende Summe sein Ländchen habe abkaufen wollen um auch jenseits des Bodensees Fuss zu fassen, aber abgefahren sei mit seinem Angebot. Wird wahrscheinlich eitel Wind sein. Da müsste sich Peter schliesslich noch eine Pickelhaube kaufen und Du müsstest in Deinen alten Tagen Dich noch mit "ner Zündnadel" [1] herumschlagen. Das wär ein herzerhebender Anblick - gelt! -

Nun weiss ich nichts mehr, was unter Brüdern Grundes genug ist, den Brief zu schliessen.

Mit den herzlichsten Grüssen an die lieben Eltern und Geschwister von Fanny und mir

Dein Bruder

Josef Rheinberger.

München d. 4.13. 69.

______________

[1] Die preussische Armee war mit Zündnadel-Gewehren bewaffnet.