Brief an J.G. Rheinbergers Eltern zum Jahreswechsel, mit einem Postscriptum seiner Frau. Er berichtet über die geplante Aufführung seiner Wallenstein-Symphonie in Paris und Wien, sowie das erscheinen eines neuen Etudenwerks.


J. G. Rheinberger an seine Eltern inkl. Postscriptum Franziska von Hofnaass
30. Dezember 1867, München


Theuerste Eltern!

Jahr um Jahr vergeht, und ehe man sich's versieht, steht man wieder an der Schwelle eines neuen; wenn ich zurücksehe auf das vergangene, so finde ich, da es für mich nicht nur ein ereignissreiches, sondern wohl das wichtigste der bisherigen Jahre war, und ich alle Ursache habe, der Vorsehung dankbar dafür zu sein. -
Wie viel Freude und Leid in dem kurzen Raume eines Jahres zusammengedrängt sein kann, wissen Sie wohl am besten; mögen Sie theuerste Eltern! ersteres noch viele Jahre erfahren, und sich vor Allem wie bisher der besten Gesundheit erfreuen, nicht nur im Jahr 1868, sondern noch in vielen folgenden.
Die projektirte Reise nach Paris haben wir wegen zu vorgerückter Zeit aufgegeben; doch wird meine Sinfonie im Laufe des Winters dort aufgeführt; hingegen haben wir im Sinne nach Wien (zu demselben Zwecke) zu gehen, doch ist die Zeit noch nicht genau zu bestimmen. Den Weihnachtsabend feierten wir im engsten Kreise: meine Frau, ich, und die Schwiegereltern - wir waren die ganze um den kleinen Christbaum gruppirte Gesellschaft. -
Auf Neujahr erscheint ein neues Etudenwerk [1] von mir; wenn Maly Gelegenheit hätte, auf einem ordentlichen Klavier zu üben, so würde ich ihr gerne Musikalien senden. - General Salis-Soglio schrieb mir letzthin ganz unvermuthet; er scheint mich in lieber Erinnerung behalten zu haben. - Ebenso erhielt ich einen Brief vom alten Direktor Hauser aus Freiburg im Breisgau, wo derselbe als halber Klosterbruder lebt.
Von Pf. Wolfinger aus Türkenfeld habe ich längst nichts mehr gehört, obschon ich ihm bei Gelegenheit meiner Heirath schrieb.
Wie geht es zu Hause? Fanny legt einen grossen Brief an David bei.
Wir sind gottlob wohl und treten frohen Muthes das neue Jahr an.
Auf ein fröhliches Wiedersehen im neuen Jahr! mit den herzlichsten Grüssen und Wünschen
Ihr dankergebener Sohn
Jos. Rheinberger.
München, 30.12.67. [2]


Theuerste Eltern!
Nehmt auch von Eurer neuen Tochter die herzlichsten und innigsten Wünsche zum neuen Jahre in Empfang. Der liebe Gott hat Alles in Seiner Hand! von ihm erfiehe ich den Segen des Glückes und die Kraft Alles zu Seiner Ehre zu empfangen und zu tragen.
Euer Sohn ist glücklich und ich bin es auch. Hoffentlich sehen wir uns in diesem neuen Jahre! Möge Sie der liebe Gott gesund erhalten. Uns umschlingt Alle das doppelte Band der Familie und der nehmlichen, theuern Religion!
Es umarmt Sie Ihre ergebene Tochter

Fanny.

30. Dezember 1867

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[1] ... ein neues Etudenwerk = 24 Präludien = "Vierundzwanzig Praeludien in Etudenform für Pianoforte" op. 14. Mit den Worten "Seiner lieben Myrrha. Kurri. München im Oktober 1867" widmete Rh. das Werk seiner Frau.
[2] Auf demselben Brief befindet sich auf der Rückseite ein Gruss von Rheinbergers Gattin.