Brief Franz von Holstein an J. G. Rheinberger
Leipzig d. 19/12 67
Geehrter Freund!
Für den durch Franz Bennat [1] mir gesandten Gruss besten Dank! Wenn ich denselben nur -mündlich erwiederte, so lag der Grund darin, dass ich mich wenig wohl befand. Meine Kopfnerven sind wieder in einer Weise gereizt, dass ich nur wenig zu lesen, noch weniger Musik zu treiben und zu schreiben im Stande bin. Meine Frau bittet mich, sie zu entschuldigen, dass die lieben Zeilen Ihrer verehrten Frau Gemahlin so lange unbeantwortet bleiben. Die unvermeidlichen Christfest-Sorgen nehmen eben meine Damen jetzt, wie es sich so gehört, in Anspruch. Nach glücklich überstandenen Feiertagen wird meine Frau sich herzlich freuen, das Versäumte bald nachholen zu können. Von mir bitte ich Ihrer lieben Frau zu sagen, wenn sie meinen Scherz wegen des Römerzugs in so interessanter Gesellschaft für ernst nehme, so müsse sie mir eine schlechte Meinung über sich zutrauen. Ich verehre sie zu aufrichtig und respektire die proponirte Reisegesellschaft zu wenig, um mehr als die Veranlassung zum Scherz in der Sache zu finden. Dinge, die mir kürzlich wieder zu Ohren gekommen, haben mich auf's Neue gegen die erwähnten Reisen erbittert. Wie finden Sie es, wenn man einem armen Menschen, der sich kümmerlich durch schriftstellerische Hilfsarbeiten ernährt, zumuthet, fremde Schmähartikel mit seinem Namen zuunterzeichnen und der Öffentlichkeit gegenüber zu vertreten? Das begreifliche Zurückweisen solcher Zumuthung aber dadurch rächt, dass man ihn um sein Brod bringt und ihn für den Augenblick wenigstens geradezu dem Hunger und Elend Preis giebt? Daran ist kein Wort übertrieben, ich weiss es aus direktester Quelle. -
Lange kann zum Glück ein solches Coterie-Wesen nie ungestraft bestehen. -
Was Hrn. Bennat betrifft, so schien er nicht ganz zufrieden mit dem erreichten Erfolge. Das allgemeine Urtheil geht dahin, dass er bedeutende Technik, aber weniger schönen Ton habe. In dem an sich ziemlich ledernen Romberg'schen Konzert glückte nicht Alles; im Conservatorium soll er sehr schön gespielt haben. Nicht günstig war es für ihn, dass Goltermann zwei Tage vorher in der Euterpe spielte. Walter habe ich leider nicht gehört, da ich mehrere Konzerte nicht besuchen konnte. Die musikalische Springfluth ging schon hoch, eine Woche lang an jedem Tag ein Konzert! Die Krone von allem war aber die Soiree der Schumann mit Stockhausen, der prachtvoll disponirt und in bester Stimmung war. Das Eintreffen von Frl. Mallinger scheint sich zu verzögern, oder am Ende gar nicht zu realisiren. Wenn nur die Konzertdirektion nicht durch Knauserei daran schuld ist, die hier wahrlich schlecht angebracht wäre. Nebenbei erhalten Sie eine Photographie nach einer Zeichnung, durch welche ein Freund von uns, Prof. Grosse, eine Privat-Aufführung des Don Juan verewigt hat. Ich bitte Sie, das Blatt Ihrer lieben Frau, die Freude an dergleichen hat, zu Weihnacht zu bescheren. Uns 3 sowie Frau und Frl. Hauptmann werden Sie schon herausfinden. Oben sind Scenen der Oper in Arabesken, links die Grazien, rechts 3 Dämonen, Trunk, Nord und Wollust als symbolische Andeutungen des Inhalts. Die Predella zeigt das später im Garten getanzte Menuett, nebst von den Malern improvisirten Saltarello und den Weg zu Haus. Herzlich grüssend
Ihr
F. v. Holstein.
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[1] Franz Bennat = Cellist aus München.