Franz von Holstein (1826-1878) schreibt an Joseph Rheinberger:
Leipzig, den 12. Februar 1869.
Geehrter Freund!
Meine Frau hat der verehrten Ihrigen bereits die Freude darüber ausgesprochen, dass ein paar Stücke Musik von uns beiden einträchtiglich auf dem Programm des Orchester-Pensionsfonds- Concerts figurierten. Es ist das desshalb eine besondere Ehre, weil dieses Concert ausserhalb des Abonnements gegeben wird, und, um eine möglichst gute Einnahme zu erzielen, immer auf ein besonders anregendes Programm angewiesen ist. Die Ehre ist für Sie nun allerdings ein gut Theil grösser als für mich. Die Wahl einer Ouverture war mehr eine Spekulation auf die Neugierde des Publikums. Ihr Stück war bereits bekannt, man wusste, was man damit bot und empfing. Leid that mir's, dass nicht die ganze Symphonie wiederholt wurde, wie gerne hätte ich, und ausser mir Viele, das edle Werk einmal wieder gehört. Doch hätte das der Tendenz nicht entsprochen, welche das Programm grade dieser Conzerte zu diktieren pflegt, in welchem man mehr bemüht ist zu amüsieren und anzuregen, als dem Publikum etwas zu bieten, was strengere Anforderungen an seine Aufmerksamkeit macht und etwas von ihm verlangt.
Ihr Scherzo [1] ging vortrefflich, Reinecke [2] hat es in den Proben sehr eingehend studirt. Bratsche und Clarinette räusperten sich und schnarrten in der Kapuziner-Kutte so ergötzlich, wie Sie es nur verlangen können, und das ganze frische und farbenreiche Tonbild verfehlte auch dieses Mal seine Wirkung nicht und wurde unter lebhafter Acclamation des Publikums angenommen. Auch mit der Wirkung meiner Ouverture darf ich zufrieden sein, doch lege ich darauf weniger Werth an dem Orte, wo ich so lange lebte und viel theilnehmende Ohren finde. Der Erfolg der Oper in Dresden ist mir immer bedeutsamer von diesem Gesichtspunkte aus. Die Meistersinger haben sie dort, wie sich das von selbst versteht, vom Repertoire verdrängt, doch denkt man daran, sie im Frühjahr wieder zu rehabilitieren. Leider ist Mitterwurzer in Folge seiner vorzüglichen Leistungen als Hans Sachs sehr leidend, was auch für mich schlimm ist, da der Stirsor (?) ihm auch ziemlich viel zumuthet, und seine Stimme keine starke Zumuthung mehr verträgt. Auf Ihre 7 Raben freue ich mich sehr, und wenn irgend möglich, werde ich selbst mit ihnen flügge werden und nach München kommen.
Ihre ganze Stellung dort, Ihre früheren Beziehungen zur Oper werden Ihnen beim Einüben über manche Schwierigkeit hinweg helfen, über die andere nicht wenig zu stolpern pflegen.
Ihrer lieben Frau herzlichsten Dank für ihren eingehenden warmen Brief, den meine Frau heute zu beantworten leider verhindert ist. Wir gedenken Ihrer recht oft, und freuen uns, nun einmal wieder zu wissen, wie und was Sie leben. Von Ihrer Musik zu dem Raimundschen Stück las ich schon. Auch ich gehöre, wie Riehl, zum alten régime und liebe diese Sachen sehr. Oder ist das nur dankbare Jugenderinnerung, was mich den Alpenkönig und Verschwender so ansehen lässt? Ich glaube nicht. Es steckt ein gesunder Humor und ein gewisser ideeller Zug in den Raimundschen Stücken, wie er keinem Volksstück fehlen sollte. Wohin sind wir mit den Preussen gerathen? die mit ihren Gemeinheiten und leidigen politischen Klatsch-Couplets schliesslich den gebildeten Sinn nur verletzen können. Herr Schwendemann hat mir seinerzeit Ihre Grüsse gebracht. David war sehr zufrieden mit ihm, und ich sehe ihn zuweilen im hiesigen neu organisirten Tonkünstler-Verein. Ich habe ihm gestern ein Billet geschickt, damit er uns applaudiren konnte.
Ihre liebe Frau schreibt gar nichts von Sahr - hat er sich garnicht bei Ihnen sehen lassen? Hören wenigstens thun wir nichts von ihm. Und noch eine Bitte: Beurtheilen Sie meine Ouverture nicht nach dem 2-händigen Arrangement, sie nimmt sich nicht gerade vortheilhaft darin aus. Das 4-händige erscheint bald, auch die Partitur ist fertig.
Sie Glücklicher, dass Sie so viel produziren können! Ich habe fast den ganzen Winter brach gelegen, arm an Gedanken, reich an Kopf- und anderm Weh.
Mit den herzlichsten Grüssen an Sie und Gemahlin von der Meinigen
Ihr getreuer
F/ranz/ v. Holstein.
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[1] "Wallensteins Lager", 3. Satz der Wallenstein-Sinfonie op. 10. Dieser Satz erschien in Partitur und Orchesterstimmen als Einzelausgabe bei E. W. Fritzsch in Leipzig.
[2] Carl Reinecke (1824-1910), Pianist, Komponist und Dirigent; von 1860-1895 Leiter der Gewandhauskonzerte in Leipzig.