Tagebuch der Franziska Rheinberger:
/T.B.1,7/ 4./November 1868/.
An der Musik zur unheilbringenden Krone [1] 1/2 11 – 1/2 12 (Uhr) comp/oniert/. Besuch bei Cavallo gemacht. - Zu Perfall wegen der Direktion der Wallensteinsinfonie. Kurt will nicht dirigiren. Bülow will selbst die Sinfonie einstudiren.
5./November 1868/.
Von 8 - 10 Musikschule. H. Cavallo Contrapunktstunde 11 - 12. H. Bürkel Clavierstunde gegeben 6 - 7. An der Ouverture zur unheilbringenden Krone componirt und am Clavierauszug /zu den "Sieben Raben"/ bis zum Tanzchore. Abends etwas müde.
Freitag, 6./November 1868/.
Musikschule von 8 - 10 Uhr, dann Frau Ströll Hermann Scholz als Clavierlehrer empfohlen. Von 11 - 12 hatte Frh. v. Redwitz Clavierstunde. Nachmittags Musiksch/ule/ Orgel 3 - 4. Und dem jungen Kratzeisen Stunde von 5 - 6. Um 7 Uhr zu den Eltern, wo wir zusammen 2mal sein Duo für 2 Claviere spielten.
Samstag, 7./November 1868/.
Wieder Stunden an der Musikschule 8 - 10. Zu Hause dann an der Musik zur unheilbringenden Krone comp/onirt/ bis H. Scholz kam, um sich wegen der Empfehlung bei Ströll [2] zu bedanken. Kurt schlug ihm vor, im Oratorienverein die Clavierbegleitung zu übernehmen. Scholz sagte zu. Nachmittag begleitete mich Kurt ein wenig; /T.B.1,9/ dann ging er zur Musikschule von 3 - 4 Uhr. Zu Hause gestört worden durch Dr. Bürkel's Besuch. Er schrieb doch etwas am Tanzchor und ich schrieb daran weiter, während Kurt in die Walter’sche Quartett-Soirée [3] ging. Er kam bald heim, da ihm Walter’s Spiel heute nicht zusagte und Miezi [4] zu Haus beim Lämpchen sass. Jetzt liest er mit seiner Cigarre in den historisch-politischen Blättern. -
Sonntag, 8. /November 1868/.
Erster Schnee in diesem Winter. Nasskalt. Kurt componirte bis um 11 Uhr Früh die Ouverture fast fertig u/nd/ das Couplet-Schneiderlied der unheilbr/ingenden/ Krone. Er lachte dabei so herzlich wie ein Kind. Nachmittag hatte er Kopfweh - vielleicht in Folge der scheusslichen empörenden Bilder von Makart [5] auf dem Kunstverein. - Nachmittags schrieb er noch an der Ouverture in Partitur u. Abends las er Zeitung und den Roman St. Roche. -
/T.B.1,9/ Dienstag, 10. /November 1868/.
Bülow lud Kurt zur Wallensteinprobe im Theaterfoyer ein und zeichnete ihn durch grosse Zuvorkommenheit aus. Gegen die Musiker sehr streng.
Mittwoch, /11. November 1868/.
Bis Abends viel gearbeitet - auch an der unheilbringenden Krone.
Donnerstag, /12. November 1868/.
Abends bei Stielers mit Ströll. Sein Schüler Adolf Ströll spielte das Schlummerlied von Liszt ganz ausgezeichnet.
Freitag, /13. November 1868/.
Abends zusammen das Concert der Hofcapelle gehört. Mein engl/isches/ Madrigal [6] wurde gesungen. Etwas zu schnell - auch die Motette von Bach klang sehr verwirrt. Die Hauptmann'schen Lieder [7] sangen sie reizend.
/T.B.1,10/ Samstag, /14. November 1868/.
Unter Tags arbeitete Kurt viel, besonders an der unheilbringenden Krone. - Abends gingen wir zu Conservator Julius Maier, wo Kurt seine Ouverture und den ersten Akt der 7 Raben spielte. Maier verspricht viel Effekt von der Ouverture, Kohlendampf machte Kurt unwohl. -
Sonntag. /15. November 1868/.
Klarer Wintertag. Auf dem Kunstverein gute Studienköpfe. Kurt arbeitete an dem 2. Liede zur unheilbringenden Krone und an einem Jubelchor hinter der Scene.
Montag, 16./November 1868/.
Wieder an der Musikschule von 8 - 10 Uhr. Um 11 Uhr kam der geistliche Erzieher der Söhne Prinz Adalbert's, um wegen eines Clavierunterrichts zu sprechen. Kurt will ihn selbst übernehmen. Vielleicht gibt es dann einmal einen Prinzen, der für eine Kunst wirklichen Sinn bekommt. Abends war der Oratorienverein enorm besucht und die Chöre aus Belsazar gingen schon vorzüglich. Hermann Scholz begleitete auf dem Clavier. Rossini starb gestern!
/T.B.1, 10/ Dienstag, 17./November 1868/.
Musikschule von 8 - 10 Uhr. Bülow [8] sagte ihm, seine Frau habe München verlassen, well sie zu grossen Verleumdungen ausgesetzt sei [9]... er könne sie nicht so dahinwelken sehen. Kurt war traurig über Bülow's Niedergeschlagenheit. - Perfall sagte mir heute, Frl. Stehle sei Feuer und Flamme für die Parthie der 7 Raben und Kurt möchte ihr die Parthie geben. Er war ganz merkwürdig liebenswürdig. Kurt arbeitete wieder am Clavierauszug der 7 Raben. Er ist so fleissig!
Mittwoch, 18./November 1868/.
Kurt kam den ganzen Tag nicht zum Componiren, weil er vormittags nach der Schule noch eine Stunde bei Keller's und Nachmittag 2 Orgelstunden hatte. Abends Concert der musikalischen Akademie, wozu sie ihm nicht einmal eine Karte schickten! Stockhausen sang zum erstenmal in München und Bülow dirigierte mit eigenthümlich zerstörtem und zerstreuten Wesen eine Sinfonie von Gade und eine von Schumann. Die hübsche Frl. Menter spielte vorzüglich ein wahnsinniges Clavierconcert von Liszt auf einem toll gewordenen Clavier. -
/T.B. 1,12/ Donnerstag, 19./November 1868/.
Eben kamen wir vom Hoftheater heim, wo die Sinfonie Wallenstein aufgeführt wurde (in zwei Jahren hier nun 3 Mal) und dann "Wallenstein's Lager" gegeben wurde. Kurt war nicht zufrieden. Jedenfalls spielten sie viel präziser und feiner unter Kurt's Direction - auch klang es im Theater weniger gut als im Odeon. Bülow selbst war morgens ausser sich über den Mangel an gutem Willen von Seiten des Orchesters, das gestern in der Schumannsinfonie fast umwarf. Bülow schickte nach Kurt und nach Perfall. Es ging nicht so schlecht. Am wenigsten gut waren die Blasinstrumente. - Auch die Musik zu Egmont klang neulich dünn. - Am Schlusse der Darstellung von Wallenstein legten die 3 primi Tenori glänzendes Zeugnis dar, dass sie wirklich nur auf ihren Athem und ihre Kraft etwas halten.
Samstag, 21. /November 1868/.
Vor- und Nachmittag hatte Kurt Schule; inzwischen schrieb er an der Ouverturen-Partitur zur unheilbringenden Krone. Abends 5 Stunden lang im Hoftheater Wallenstein's Tod gehört und gesehen. - Der Intendant sprach ihm ganz entzückt von der Sinfonie. Sie habe ihm enorm gefallen. Von vielen Seiten das gleiche Urtheil. Es scheint, dass nur unser Platz zum Hören schlecht war. Kurt ist fröhlich darüber. -
Sonntag, 22. /November 1868/.
Den ganzen Morgen arbeitete er an Melodramen zur unheilbringenden Krone. Ich las ihm den Text, während er dazu spielte. Heftiges Kopfweh hatte er. Von 11 – 1/2 12 Uhr in der Kirche - dann hatte er Sitzung. Nachmittag Maximiliansstrasse am klaren Wintertag spazieren. Unglaublichen Frauenerscheinungen begegnet. Abends nochmal Noten geschrieben; still zu Hause. Er studirte mit Missfallen an einem Buche über Theorie von Otto Tiersch.
/T.B.1,13/ Montag, 23. /November 1868/.
Unter Tags gab Kurt viele Stunden und Abends waren wir beim Theater-Intendanten Baron Perfall. Billow, H. v. Saar, Cornelius, Wüllners, Stockhausens und wir waren zu gutem Souper geladen. Perfall wurde leider zur Königin zum Thee abberufen. Bülow machte die Honneurs. Der Rehbraten schmeckte ihm so gut, dass er sagte, diesem zuliebe möchte er Reh-Actionnaire [10] werden. Er spielte die A-Sonate von Schubert wundervoll. Wirklich - Bülow schafft neu während des Spieles. Vollständige, tief empfundene Schöpfungen sind es, die er darlegt. Doch stand ihm der Schweiss auf den Stirne. Stockhausens waren ziemlich spröde, besonders die eisige Frau. Es ist was Fades um solch einen Sänger-Prinzen. Sehr munter bis nach 1 Uhr geblieben. Musikdirektor Richter [11] war auch da. Ein echter Wiener.
Dienstag, 24. /November 1868/.
Kurt arbeitete heute fürchterlich angestrengt, da ihm gestern Perfall sagte, die unheilbringende Krone müsse im Januar einstudirt werden. Mit dem ersten Akt wurde er heute fertig. Ich suchte ihm aus seinen alten Musikalien heraus, besonders die heitere Ouverture. Er nahm auch ein Motiv daraus auf. Alle Stunden abgesagt, damit er schreiben könne. Ich schrieb an Verleger Fritzsch und schickte die Eigenthums- Abtretung von op. 15 und 16 [12] bei. Abends Stockhausens Concert im Conservatorium's Saale. Bülow spielte die Toccata [13] von Rheinberger. Aber Kurt spielt gerade diese besser - verständiger. Stockhausen sang besonders die Arie von Boieldieu mit wahrer Vollendung. Das ist Kunst und scheint so einfach. Das Beste daran thut der liebe Gott. Der Baritonist Gura wäre der Einzige, welcher sich ihm nachbilden liesse.
/T.B.1,14/ Mittwoch, 25. /November 1868/.
Kurt schrieb heute die Hälfte eines Zwischenspiels zur unheilbringenden Krone. Ich machte ihn auf eine reizende Ouverture aufmerksam, die er mit mir vor elf Jahren gespielt und wirklich passte sie ihm.
[Hier folgen im Original Noten]
Er behielt dies Thema bei und behandelte das andre im Kopfe so klar, dass er ohne jedwede Skizze es als Partitur ausschrieb und dieselbe so rein wie eine Copie aussah. - Kurt schrieb und componirte 13 Partitur Seiten neben den 4 Stunden am Conservatorium und der einen Stunde bei Keller von 11 - 12.
Donnerstag, 26./November 1868/.
Dickster Nebel. Kurt vor 8 Uhr fort. Er sagte selbst, dass er von allen Lehrern der pünktlichste sei. Seine Schüler sind eben so. Kurt schrieb heute trotz der 2 Stunden an der Schule und der einen, die er Cavallo gab von 12 - 1, 15 Partitur Seiten und das Zwischenspiel fertig, das eine allerliebste kleine Ouverture wurde. Nun sind schon 19 Bogen von der Unheilbringenden Krone-Partitur fertig geschrieben. -
Welch eine anmuthige Thätigkeit! -
Jetzt macht er abends Studien an seinem gr/ossen/ Schubert. Sogar die Köchin sagte heute: "Mit dem Herrn Professor ist's doch ganz aus mit lauter Schreiben!"
Freitag, 27./November 1868/.
Als ich vom Paramentenverein [14] zurückkam, schrieb Kurt eben die letzten Takte an seinem Melodram des zweiten Aktes. Bei Tisch sagte er mir, ich möge ihm ein Motiv für den Entreact bereithalten, bis er von der Musikschule zurückkäme. Ich dachte gleich an das Abendlied in A-dur [15], das er mir einmal für Clavier geschrieben hatte, spielte es für mich durch... und fühlte, dass es mit feiner Instrumentation reizend klingen würde. Nun ist es Abend 7 Uhr und Kurt arbeitet schon an der vorletzten Seite des Entre-Actes. Man muss ihn arbeiten sehen, um seine Kunst würdigen zu können. Gestern dachte ich es mir: er hat wirklich nicht einmal eine Untugend.
Samstag, 28. /November 1868/.
Stunden an der Musikschule von 8 - 10 Uhr. Dann an dem Melodrama des III. Aktes gearbeitet.
/T.B.1,15/ Sonntag, 29. /November 1868/.
Den dritten Akt ganz fertig componirt und in Partitur geschrieben.
Montag, 30. /November 1868/.
Venus-Chor in der unheilbringenden Krone componirt und geschrieben. Abends tüchtige Probe von Belsazar gehalten.
Dienstag, 1. /Dezember 1868/.
Ballettmusik nebst Chorbegleitung und Zwischenmusik zur
unheilbringenden Krone. Freiherrn v. Redwitz und Kratzeisen Stunde gegeben.
Mittwoch, 2. /Dezember 1868/.
Von 8 - 11 Uhr an der Musikschule, dann zu Hause gearbeitet - den Tanz ausgeschrieben. Der 4. Akt hat noch enorm viele Musik. Abends ging Kurt fast wider Willen in das Abonnementsconcert, welches heute festlich gut ging. Suite von Raff, dreimal Stockhausen, Ouverture von Gluck und Pastorale.
Letztere wurde mit neuem Zauber gespielt; Kurt sagt, Bülow's Auffassung sei geistreicher als die Lachner's, doch habe Jener das Orchester noch nicht so in der Hand.
/T.B.1,15/ Donnerstag, 3. /Dezember 1868/.
Wie gesagt! Kurt ist jetzt nur mehr Componist und kaum mehr Mensch. Heute wurde er ins Theater gerufen. Perfall war entzückt von der Musik zur Krone, verlangte aber für den III. Akt noch ein Duett.
Freitag, 4. /Dezember 1868/.
Neben den fünf Unterrichtsstunden componirte Kurt 20 Partitur Seiten des Duetts und schrieb sie aus. Prinz Adalbert, k/önigliche/ Hoheit von Bayern, kann nicht für den Unterricht der beiden Prinzen, ditto Hohheiten, zwei ganze Gulden per Stunde erschwingen, werohalben die approbirte Hebammen-Künstlerin und dermalige Clavierbegleiterin Ihro spanischer königl/iche/ Hohheit Prinzessin Wadalbert die Stunde pro 24 Xer Zulage nebst einer Mass Franziskaner-Büer in gewohnter Ehrerbietigkeit und jährlicher Zuziehung des G. Schönchen gernlich übernommen hat.
/T.B.1, 16/ Samstag, 5. /Dezember 1868/.
4 Stunden an der Musikschule. 16 Seiten Tanz-(Ballett-) Musik componirt und geschrieben. Jetzt ist er müde und liest in den historisch politischen Blättern. Heute Abend spielt Bülow in Nürnberg die Toccata.
Sonntag, 6./ Dezember 1868/.
Trotz Kopfweh componirte Kurt den ganzen Tag an seiner unheilbringenden Krone. Er war schliesslich erschöpft.
Montag, 7./ Dezember 1868/.
Ein Programm eines Concertes in Düsseldorf bekommen, wo Pianist Katzenberger mit Julius Tausch das Duo Kurt's aufführte. Heute schrieb er lange Melodramen. Die Partitur zur unheilbringenden Krone ist bereits 188 Seiten! Jetzt fehlen noch ungefähr 12 Seiten! Wie froh bin ich für ihn, wenn er fertig ist. Abends hielt er scharfe Probe für den Oratorienverein. H. Cavallo, der Mustermann, war auch da. -
Dienstag, 8./ Dezember 1868/, Maria Empfängnis.
Heil Kreon v. Agrigent [16]! Heil Kurri! Fertig ist die Musik zur unheilbringenden Krone! 195 Partitur Seiten in 24 Tagen! Fleissiger, braver Kurt. - Abends im Vocalconcerte. Etwas ermüdend. Kurtzile hatte Kopfweh. -
Die Motette von Perti war herrlich. Ebenso "Charlie is my darling" von Beethoven [17] bearbeitet und das schottische Müllerlied. Köstlich. Kurt's Stabat Mater [18] heute in der Tonhalle, gut recensirt.
Mittwoch, 9./ Dezember 1868/.
Korrigirte die Stimmen für Belsazar's Orchester [19], gab Mittags Frl. Keller eine Stunde und hatte Nachmittag Musikschule. Abends sah er mit Dürck die Druckbogen für Belsazar durch.
Donnerstag, 10. /Dezember 1868/.
Heute bekam Kurt Heimweh nach dem dicken Regiebuch der unheilbringenden Krone, das seit Wochen fest auf seinem Tische lag. Nachmittag von 2 - 5 Uhr im Museum Orchester-Probe für Belsazar. Jetzt raucht er sehr behaglich und liest Herzog Bernhard von Lauke.
Freitag, 11. /Dezember 1868/.
Verschiedene Schreckschüsse. Heinrich [20] sagte den Belsazar ab. Nun gab es wieder Briefe zu schreiben und Laufereien aller Art. Schliesslich warf Kurt alles über die Schulter. Es gelang mir, ihn dennoch heiter zu stimmen. Er gab seine Stunde und schrieb an Clavierauszügen der 7 Raben.
/T.B.1,17/ Samstag, 12. /Dezember 1868/.
Es gelang, Heinrich wieder zu gewinnen. Nachmittag sang Frau Seyler ihre Parthie mit Kurt durch. Sie hat sie sehr schön studirt. Abends waren wir zusammen im Residenztheater, wo Rothmantel, Text von Paul Heyse [21], Musik von Krempelsetzer [22] gegeben wurde. Besonders der II. Akt war sehr gut. Riehl neben uns klagte, dass die Musik nicht naiv und gemüthlich sei. Es ist wahr, sie ist offenbachisch. - Ich fühlte heraus, wo Kurt ihm nachgeholfen hatte. Der Text ist gut, wenn auch manchmal Meidinger (?) - besonders die Witze. Am Schlusse wurde Krempelsetzer von den Freunden gerufen. Er kam zitternd und schüchtern heraus. Kurt bedauert ihn. Er sei zu spät daran und schon theilweise durch das Actientheater verdorben. Auch ist es traurig, dass lauter Sänger II. Ranges die Parthien sangen, ja sogar Schauspieler. Der Schluss fällt entschieden auffallend ab. -
Sonntag, 13. /Dezember 1868/.
Um 1/2 10 Uhr in der Ludwigskirche. Die Andacht Kurt's litt wahrscheinlich durch die falschen Quinten des Organisten. Von 11 - 2 Uhr Hauptprobe des Belsazar im Museum. Grossartige Schöpfung. Die Chöre gingen gut. Kurt schimpfte ziemlich unhörbar die Männer (Bässe) "Schlafhauben". -
Die Soprane waren ganz vorzüglich. - Etwas müde geworden. Nachmittag arbeitete Kurt am Clavierauszuge der Oper (= 7 Raben). Abends einfach zu Hause, da wir Faust von Gounod nicht hören wollten.
Montag, 14./ Dezember 1868/.
Kurt ging ein bisschen schwermüthig herum. Mittags kam Vikar Schricker und brachte ihm seinen romantischen Operntext "Bertha". Kurt war nicht recht disponirt dazu. Nachmittag gingen wir spaziren und dann war ihm ungemüthlich, bis ihn der Wagen ins Concert holte. Das Oratorium Belsazar ging ganz vorzüglich. Kein Chor war schwach. Alle gingen einig, feierlich und kräftig. Frl. Ritter sang Cyrus, Frl. Meyer Nitocris, H. Harlander Gobras, Frau Seyler David, H. Heinrich Belsazar.
Die Clavierbegleitung hatte Hermann Scholz aus Breslau. Bogen liessen sich schreiben über die Grossartigkeit dieses Werkes. In jedem Chore ist der Beweis, dass Händel in der That, im Können und Wissen längst dargethan hat, was sich Richard Wagner in seinen Schriften als Erfindung anmasst. Dass nenne ich die echte und wahre Tonmalerei, wie Händel die Verschiedenheit der Völker durch die Chöre charakterisirt. Das fromme, das bachantische, das kriegerische Volk, das fluchbeladene oder siegestrunkene. Und dabei diese Einfachheit der Instrumentirung. Wie mächtig wirkt die kriegerische Musik, ohne dass man nöthig hat, 10 Posaunisten von Deutschland und Frankreich zusammenzubestellen. Wir waren alle begeistert.
Nach dem Concert kamen noch die zwei Stielers [23] (Eugen und Guido) und Carl Dürck zum gemüthlichen Souper.
Dienstag, 15./ Dezember 1868/.
Musikschule, Redwitz Stunde, Flügel für sie besorgen, Clavierauszug der 7 Raben (erste Arie III. Akt). Kratzeisen Stunde, Abends mit mir die Mozartsinfonie in Es gespielt. -
Mittwoch, 16./ Dezember 1868/.
Eben vom III. Abonnements-Concerte heim. 4 Sinfonien gehört, d.h. Suite-Bach, Sinfonie von Haydn und Mozart und schliesslich f-dur von Beethoven. In der letzten überwältigende Leidenschaft. Bülow's Auffassung war sehr geistvoll. Kurt war ganz begeistert. - Perfall sagte ihm heute, er möge mit Frl. Stehle anfangen, die Parthie der Elsbeth [24] zu studiren. Grosse Freude.
Donnerstag, 17. /Dezember 1868/.
Wieder von 8 - 10 an der Musikschule Unterricht gegeben: Glötzner, Ludolffs, Kempter und Moosmaier Von 11 - 12 Uhr hatte Cavallo Contrapunktstunde, dann fuhren wir in die Mayerhof'sche Clavierfabrik, wo Kurt und ich auf zwei Blüthnerflügeln sein Duo gut spielten. Es ist ein schwärmerisches Werk. Bei den Eltern zu Tisch. Kurt ging dann zu P. Heyse, der ihm wieder andere Operntext- /T.B.1,19/ Vorschläge machte. Aber meinen Piratentext lasse ich nicht her! - Bürkel Stunde gegeben. Ich schrieb einstweilen am Clavierauszug - Arie Elsbeth III. Akt 7 Raben und ein Stück Duett. Abends sehr behaglich zu Hause.-
Freitag,/18. Dezember 1868/.
Kurt ging abends in die Quartettsoiréé, während welcher Zeit ich zu Hause an dem Clavierauszuge der 7 Raben schrieb. Er war nicht zufrieden mit Walter's Quartett. Wo sie stark spielten, da wurden sie roh.
Samstag,/19. Dezember 1868/.
Vormittag musste Kurt in das Theater gehen, um wegen der /"Unheilbringenden/ Krone" mit dem Regisseur zu sprechen. Nur an der Ballett-Musik sollte eine Repetition gemacht werden.
Sonntag, /20. Dezember 1868/.
Im Universitätsgottesdienst zusammen, dann auf dem Kunstverein, wo uns ein paar Genrebilder gut gefielen. Alex. Wagner hatte einen unwahrscheinlichen Mädchenraub zu Pferde ausgeführt. Comödienhaft... ebenso Ferdinand Piloty's Romeo. Auch überall das weibl. Gesicht, wie Carl P. es zeichnet.
Montag, /28. Dezember 1868/.
Die letzten Tage und die letzte Woche des Jahres 1868 vergingen in grosser Thätigkeit. Der Clavierauszug der Oper "Die sieben Raben" ist fertig und Kurt arbeitet gegenwärtig an dem Arrangement der Ouverture zu zwei Händen.
Am 28. Dezember war er bei Fräulein Stehle, um ihr die Parthie der Elsbeth vorzuführen, welche sie mit freudiger Anerkennung ergriff und sie binnen 8 Tagen zu lernen versprach. Die Weihnachtsfeiertage und den Sylvester-Abend verbrachten wir im engsten Familienkreise...
Am letzten Abende des Jahres schrieb Kurt noch die Composition einer grossartigen Orgelfuge [25], die mit Moll anfängt und einem mächtigen Dur-Accord schliesst.
Feierlicher kann man dem scheidenden Jahre nicht lebewohl sagen. Andere Menschen tranken während dieser Zeit über den Verstand! Gloria in excelsis Deo!
/T.B.1, 20/
[Hier folgen im Original Noten]
Also begann das neue Jahr mit einer Orgelfuge a 4 voci e due sogetti.
1869
G/ott/ g/ebe/ G/lück für Kurt & Mietz.
/T.B. 1,20/Freitag, 1. Januar 1869.
Kurt schrieb die Fuge in Reinschrift und wir spielten sie mehrere Male 4-händig, indem ich das Pedal als Octavenbass auf dem Clavier spielte. Der Schluss klingt majestätisch. Kurt arbeitete dann noch am Arrangement seiner Ouverture. Bei den Eltern gespeist, während ich einen Krankenbesuch machte.
Samstag, 2./Januar 1869/.
Vor- und Nachmittag Stunden an der Musikschule. Er bekam von Verleger Fritzsch einen Brief und sechs Exemplare eigens gedruckter Partituren des Scherzo aus der Wallenstein- Sinfonie. Kurt antwortete ihm, während ich II Akte der Goetheschen Iphigenie hörte. -
Sonntag, 3. /Januar 1869/.
Soeben beendete Kurt das zweihändige Arrangement der Sieben Raben-Ouverture und ist nun die Oper von seiner Hand vollständig fertig. Baronin Lobkowitz war Abends da und sprach über die Intriguen der Sängerinnen. Es scheint, als ob Frl. Mallinger doch bliebe. Sie trinkt angesichts der Spaziergänger in der Maximiliansstr. Champagner und küsst ihren Bräutigam.
/T.B.1,21/ Montag, 4. Januar /1869/.
Kurt war morgens in der Musikschule, arbeitete dann an den Correcturen der Copie des Clavierauszuges und sehnte sich nach einem heiteren Operettenstoff. Abends dirigirte er im Oratorienverein das Magnificat von Bach und las dann vergnüglich ein Buch von Dickens & Wilkie Collins.-
Dienstag, 5. /Januar 1869/.
Im Künstlerleben gibt es dunkle Schatten. Es kam uns heute zu Ohren, dass Bülow vor ungefähr 20 Schülern der Musikschule einem auftretenden Schüler gesagt habe: "Ihr Talent reicht nicht hin, ein Beethoven oder Mendelssohn zu werden - höchstens ein Rheinberger." Kurt hatte selbst diesem Schüler, einem Sachsen, der früher Kaufmann war, gerathen, die Kunst aufzugeben, und stand ihm in dessen Kämpfen wie ein Vater zur Seite. Kurt hat nun an ihn geschrieben, ob die Sache wahr sei, und wird sich Satisfaction zu verschaffen wissen. Wird sie ihm verweigert, so verlässt er die Anstalt. Er enthält sich noch jeden Urtheils, aber er wurde sehr bleich, als er es hörte.
Mittwoch, 6. /Januar 1869/.
Erfahren, dass alles eine schnöde Verläumdung und Klatscherei war. Kurt benahm sich musterhaft - auch Bülow betrug sich sehr als Ehrenmann.-
Kurt componirte ein Offertorium zu Ehren der Hl. drei Könige zu einem Texte aus meinem lateinischen Missale: "Omnes de Saba" [26].
24. Januar /1869/
Seit diesen letzten Wochen schrieb Kurt noch 3 Offertorien [27], I. zu Ehr S. Josefi, Justus ut palma; II. Diffusa est gratia zu Ehr S. Francisca Romana , III. Media in vita in morte sumus. Ein wunderbares lateinisches Lied, welches von einem Mönche in der Schweiz [28] gedichtet wurde, als dieser Arbeitern bei einem lebensgefährlichen Brückenbau zusah. Später soll dieses Lied in den Kreuzzügen eine grosse Rolle gespielt haben. -
Seit einigen Tagen arbeite ich an einem Texte zu einer komischen Operette für Kurt "Die respektable Gesellschaft" [29] von Kotzebue. Heute fing Kurt schon an, einzelne Nummern zu componiren.
/T.B.1,23/ 25. /Januar 1869/.
Vormittags Stunden an der Musikschule, dann an der Ouverture zur respektablen Gesellschaft skizzirt, später spaziren und Nachmittags angefangen, die Ouverture der 7 Raben 4-händig zu arrangiren'. Ich arbeite am Text zur respektabien Gesellschaft. -
Gelesen in den Signalen, dass in diesem Winter noch in Basel die Wallenstein-Sinfonie aufgeführt würde.-
26. /Januar 1869/.
Am Arrangement der 4-händigen 7 Raben-Ouverture gearbeitet.
27. /Januar 1869/.
Heute hörte Kurt die erste Orchesterprobe zu seiner Unheilbringenden Krone. Er kam sehr zufrieden und angeregt heim, da alles gerade so klang, wie er es sich vorgestellt hatte.-
Ich freue mich sehr.-
31. Januar /1869/.
Erste Aufführung der Unheilbringenden Krone von Raymund. Musik von Rheinberger. Lang spielte und sang den Simplicius Zitternadel. Frl. Leonoff die "abschnolzerische Kalidalierin" Kurt war sehr zufrieden mit der Aufführung.
Wir sassen allein in einer Loge des I. Ranges 4 1. Nach der Vorstellung Dusmann bei uns.- Er fand die Musik zu gut für das Werk.
Sonntag, den 28. Februar /1869/.
/Heute/ wurde in Wien Kurt's Lied für gemischten Chor "All' mein Gedanken" [30] im grossen Redoutensaale vom Akademischen Gesangverein mit grossem Beifall gesungen und musste wiederholt werden.
Im Monate Februar wurde auch die Lagerscene aus Wallenstein in Breslau aufgeführt. -
Die Ouverture im 4-händigen Arrangement zur "Zähmung der Widerspänstigen" und zur Oper "Die 7 Raben" sind gegenwärtig im Drucke. -
6. März /1869/.
Heute überschrieb Kurt seine H-moll-Phantasie [31] mit dem Gedichte von Jul. Hammer "Hoch geht die See, mit ihr mein Herz - es löst sich das Weh, das bange Weh und der schwüle, drückende Schmerz". - Er klagte, dass Niemand die Phantasie so verstehen könne, wie er sie empfinde. - Die Redwitz sind wieder aus Meran zurück.
/T.B.1, 24/ Sonntag, 7. /März 1869/.
Heute schickte Fritzsch aus Leipzig die gedruckte Ouverture zur Zähmung der Widerspänstigen, verschiedene neugedruckte Orchesterstimmen des Wallenstein, die Druckbogen der Toccatina [32], welche Kurt Reinecke widmen will, und Einzelausgaben der Clavierstücke, welche er Frau Dürck widmete. Eine grosse Sendung, die ihm viel Freude machte. Nun wurde auch die Wallenstein-Partitur nach Amsterdam geschickt. Das wünschte ich schon lange. Nachmittag studirte Kurt sein Trio [33] mit den Herren Fromm und Fischer. Jetzt liest Kurt (mit der Cigarre) behaglich Oscar v. Redwitz's Roman: Hermann Stark und schmeichelt hie und da dem dicken Scarlatti, der als aufgeblasene Kugel zu seinen Füssen liegt. -
1. /April 1869/.
Von Simrock aus Berlin einen Brief mit der Bitte um Übersendung von Compositionen Rheinberger's zurn Drucke. -
2. /April 1869/.
Erste Clavierprobe im Theater zur Oper "Die 7 Raben". Kurt leitete sie selbst. Kindermann habe die Rachearie herrlich gesungen. -
An Simrock geschickt: Trio für Clavier, Cello und Violine, 8 Orgeltrios op. 24, 4 Gesänge (Traunsee, Rothtraut, Ingeborg, Die Nachtblume) op. 22, Ballade und Romanze 4-stimmig mit Clavierbegleitung op. 17 a und b, Fantasie für Clavier op. 23. - Glück auf!
4. /April 1869/.
Brief bekommen vom Vorstand des Tonkünstler-Vereins aus Leipzig, welcher Kurt einstimmig zum Mitglied wählte und dann zwei Chorlieder von ihm sangen, welche ausserordentlich ansprachen: All' .mein Gedanken und Wanderlied [34], worüber ihm der Vorstand Dank für den grossen Genuss sagte. Heute änderte Kurt an "Hubert's" Parthie [35] und componirte an dem Quartette "Lockung" [36].
/T.B.1,271 9. /April 1869/.
Kurt bekam gedruckte Exemplare der Ouverture zu den 7 Raben und der Toccatina; grosse Freude.
10. /April 1869/.
Kurt componirte die "Lockung" fertig.
11. /April 1869/.
An Fritzsch die Lockung geschickt und das 2-händige Arrangement des Wallenstein-Scherzo, das Kurt heute fertig machte. Es war schwer. Fritzsch bat ihn, ihm im Verlage seiner Compositionen treu zu bleiben und frug an, ob Kurt einen Contrakt mit ihm abschliessen wolle? Von Simrock noch keine Antwort.
12. /April 1869/.
Er behielt die zwei Balladen [37] und bezahlte sie mit gutem Honorar.
14. /April 1869/.
Wieder Probe der 7 Raben. Nach Tisch fragte mich Kurt: schauen mir die Noten nicht oben zum Kopf heraus, so ein paar Sechszehntel? Er hat Kopfweh.
26. /April 1869/.
Heute Abend unter Bülow's Leitung zum erstenmale die Ouverture Rheinberger's zur Zähmung der Widerspänstigen vor dem gleichnamigen Stücke.
27. /April 1869/.
Die Orchesterstimmen der Wallensteinsinfonie reinlich (à la Göthe) zusammengepackt und nach Wien geschickt. Kurt schrieb an das Comité der Studentenschaft zur Veranstaltung einer Schilleracademie. -
28. /April 1869/.
Kurt hörte neulich das Liebesmahl der Apostel von Wagner und war dadurch so angeregt, dass er die letzten Tage des April dazu verwendete, neben seinen übrigen Stunden die schöne Preisballade Paul Heyse's für Männerchor zu setzen: Das Thal des Espingo [38]. - Die Proben der 7 Raben sind unterbrochen weil der König befohlen hat, "Judenopern" (Nach R. Wagner) einzustudiren. Man gab die Jüdin und gibt heute die Afrikanerin. Kurt benimmt sich bei allen Widerwärtigkeiten so nobel. -
/T.B.1,28/ Sonntag, 2. May /1869/.
Kurt schreibt noch jetzt abends an seinem Thal des Espingo. Ein Besuch bei Paul Heyse hat ihn auch sehr dazu angeregt. Eben spielte er das zweihändige Arrangement vom Wallenstein-Scherzo, das ihm sein Verleger mit andern Einzelheiten schickte. Er drängt wegen eines Accordes vom Verlage. - Ich glaube, dass die Ballade des Espingo ganz wunderschön wird und sehr originell klingen wird. -
Er will es dem akademischen Gesangverein geben und, wenn es gedruckt ist, Heyse widmen. - Es fällt mir auf, wie empfänglich Kurt für Eindrücke und Anregungen in musikalischer Beziehung ist. Als er Schumann's Duo von Rubinstein und Bülow spielen hörte, componirte er gleich Tags darauf an einem Duo [39] - und das letzte Männerconcert fiel auch wie Frühlingsregen auf sein fruchtbares Erdreich, das so durch Gott bereitet ist, und nun blüht das Thal des Espingo. -
Montag, 3. /Mai 1869/.
Kurt schrieb das Thal des Espingo fertig. Es kamen ihm noch gute Gedanken, besonders "die Tücke schleicht herbei" durch einen chromatischen Gang in Sechsten ausgedrückt.
Dienstag, 4. /Mai 1869/.
Eben sagt Kurt "gestern wandelte ich noch im Thal des Espingo, heut weiss ich schon nix mehr davon". Auch sagte er gestern "wenn ich componire und es kommen mir gute Gedanken, dann tausche ich nicht mit dem König und all seiner Regiererei aber das Musikantenvolk ... pfui Teufel".
Heute schrieb er Fritzsch in Leipzig, dass er ihn gerne als Verleger immer berücksichtigen würde, allein eine Fessel möge er weder ihm noch sich selbst durch einen Contrakt anlegen. Auch Julius Maier warnte davor. Wenn Kurt vormittags seine Arbeiten vollendet hat, so kommt er in meine blaue Grotte, setzt sich in einen fauteuil und liest Dante. -
/T.B.1,29/ Mittwoch, 5. /Mai 1869/.
Heute hatte Kurt wieder Theaterprobe der 7 Raben. Es ist unmöglich, fort zu studiren, da der König täglich andere Befehle ertheilen lässt, die er dann Nachmittags 4 Uhr wieder ändert. - Kindermann habe gesagt, er freue sich, aus seiner Rolle einen Charakter zu bilden. Ich suchte Kurt die Wasserfee [40] von Lingg zur Composition aus; er nahm sie an.
Donnerstag, Christi Himmelfahrt, 6. /Mai 1869/.
Kurt ist ganz und gar in den Banden der "Wasserfee". Schon morgens arbeitete er daran. Und nun abends 9 Uhr zog es ihn sogar vom Lämpchen weg und es rauschen unter seinen Fingern die Wasserwogen. Leise singt er die Einsätze dazu - ganz verloren und versunken in Schwärmerei, der ernste, klare, vernünftige Kurt. Wieder ein Paquet Manuskripte, das Thal des Espingo, Phantasie in Hmoll für Clavier and 4 Gesänge [41] (Rothraut, Ingeborg und Traunsee) an Fritzsch geschickt. Er gestand mir zu, dass, wenn ich nicht seine Paquete packte und siegelte, er kaum die Hälfte herausgegeben hätte. -
Fritzsch scheint verletzt über das umgangene Anerbieten des Contraktes. -
Freitag, 7. /Mai 1869/.
Kurt hatte heute Abend 6 - 9 Uhr Soloprobe im Residenztheater zu seinen Raben. Er ist musikmüde und nicht mehr aufgelegt, mir darüber zu erzählen. - Der erste Druckbogen des Operntextes zu den 7 Raben kam. Er fing auch heute schon an, seine Wasserfee auszuschreiben. Den Oratorienverein für heute abzusagen. Ein junger Holländer Namens "Wurfhain" meldete sich zur Privatstunde.
Samstag, 8. /Mai 1869/.
Die gewöhnlichen Morgenstunden in der Musikschule. Um 12 Uhr kam der Holländer wieder, der sagte, er habe die Harmonielehre schon durchgenommen und zeigte auf Kurt's Wunsch seine Präludienkenntnisse, wie ein Salonpräludirer.
/T.B.1,30/. "Nicht so", sagte Kurt. "Spielen Sie nur einen einfachen Übergang von C-dur nach Fis-dur". 0 Graus. Keine Möglichkeit. "Wir werden ganz von vorne anfangen", sagte Kurt, "und zwar wird es viele Mühe kosten". Damit war er verabschiedet. -
Nachmittag arbeitete Kurt an der Wasserfee. Er spielte sie mir eben vor. Es wird ein Prachtstück. "Die Wasserfee hat mir Mietzi aufgehalst" nun soll's ein "Sonntags-Bockerl" werden. - Fritzsch schickte die Druckbogen der Lockung. Kurt schrieb ihm sehr kurz und klug und nett entgegen.
Sonntag, 9. /Mai 1869/.
Heute sollte in Wien die grosse Schilleracademie mit Wallenstein sein. Wie sie wohl ausfiel? Es ist hart, im Ungewissen zu sein. Kurt arbeitete an der Wasserfee und übte Nachmittag mit Wüllner sein Duo für 2 Claviere, da er es Dienstag Abend im Tonkünstlerkränzchen spielen will. Jetzt liest er die Geschichte Venedigs von Dorn, findet sie aber trocken. Im Kunstverein derzeit grosse Ebbe. -
Montag, /10. Mai 1869/.
Abends bei Tombosi Café und um 7 Uhr Oratorien-Verein.
Dienstag, /11. Mai 1869/.
Schmerzensbrief von Fritzsch über Kurt's Ablehnen des Contraktes. Abermaliges Anklopfen. Er kann sich nicht entschliessen, das "Thal des Espingo" zurückzusenden. Zweifel. - Morgens kam Kurt sehr zufrieden von der Theaterprobe heim. Besonders das Terzett im 2. Akte habe so schön geklungen. Abends spielte er im Tonkünstlerkränzchen mit Wüllner auf dessen Wunsch sein grosses Duo. Riehl bat ihn um die Partitur der 7 Raben, weil er etwas darüber in die Zeitung setzen wolle, aus Dankbarkeit für die vielen Genüsse, die ihm Rheinbergersche Musik schon gemacht. -
Mittwoch, /12. Mai 1869/.
"Die Willis" von Lingg [42] ausgesucht für eine grossartige Concertscene für Orchester und 1 Sopran. -
/T.B.1,31/ Donnerstag, 13. /Mai 1869/.
Um 8 Uhr ging Kurt in die Musikschule, von da gleich in das Theater zur Orchesterprobe der 7 Raben, von der er erst um 2 Uhr zu Tisch kam. Er war sehr erschöpft, ging nur nach Tisch zu Tombosi und setzte sich dann im Schlafrocke mit der Cigarre auf meinen Balcon, wo es ihm sehr gemüthlich war. Er sagt, die Musik zu den Raben käme ihm sehr ernst vor.
In der Leipziger "Tonhalle" vom 10. Mai, No.20 ist eine eingehende Besprechung von Kurt 's Clavierduo, welche mir wieder den Eindruck der Portraitähnlichkeit zwischen Kurt's Compositionen und Gedanken gibt. "Wirkliche Leidenschaft in schöne, beste Form gebracht und vom Verstande gezügelt. Noblesse der Gedanken und lebendiger Funke schwungvoller Gestaltungskraft" - etc. Seine grosse Selbstbeherrschung zeigt sich auch hier. -
Freitag, 14. /Mai 1869/.
Die Singknaben des Domchors sangen im Maifest des Benediktiner-Knaben-Instituts Rheinberger's Auferweckung Jairi 's Töchterlein [43] vor grossem Auditorium, wobei H. Erzbischof den Ehrenplatz einnahm. Die rührend einfache Composition wurde von den Knaben mit aller Herzensunschuld und Verachtung jedweder Sentimentalität correct und herzig gesungen. Wie hörte und fühlte ich aus jeder Note Curt's lieben Charakter heraus. -
Kurt hatte Abends Oratorienverein. Ich hörte Frl. Mallinger als Susanne, Frau Diez als Gräfin, Kindermann als Grafen, Bausewein als Figaro, Frau Vogl als Pagen und Heinrich als Basilio. Es war eine Mustervorstellung, bei der mein Herz vor Entzücken über den Mozart'schen Wohlklang, Witz, Geist, Verstand, über dessen Meisterschaft in allen Zweigen seiner Kunst das Herz jubelte (sic). Welch ein Zauber in dem Schreibduett, wie wunderbar gesungen von Frau Diez und Mallinger, welch eine unvergleichliche Grazie in dem Duett zwischen Cherubim und Susanne. Dieses Stück allein könnte Mozart unsterblich machen. Kurt liess entmuthigt sein Köpfchen hängen, als ich ihm so begeistert mein Entzücken schilderte. Und eine solche Oper konnte durchfallen. Infamer Wühlhuber Salieri! -
Franz Wüllner hat Talent zu einem Saliererl!
Samstag, /15. Mai 1869/.
Die 4-stimmige Wasserfee an Verleger Fritzsch geschickt. - Kurt hielt Probe mit den Brautjungfern [44].
Pfingstsonntag, /16. Mai 1869/.
Feiertag ohne jedwede Arbeit. Von Carl Reinecke aus Leipzig beiliegendes Dankschreiben für die Toccatina. [45]
/T.B.1,33/ (Brief von Kurt an Franz Bonn). [46]
/T.B.1,34/ Dienstag, 18. /Mai 1869/.
Im Theater hatte Kurt Probe des Echo's vom ersten Jägerchor. Am Theaterzettel für die Woche ist bereits Kurt's Oper angeschlagen. - Er war nicht gut disponirt, weil er keine Arbeit hatte; desshalb ging
er daran, ein Heft Lieder [47] zusammenzustellen.
Mittwoch, 19. /Mai 1869/.
Die Lieder sind schon gefunden. 7 in einem Heft, darunter das A moll Lied (Herbstlied von C. Stieler) und das schöne: Ich träumte, du wärst bei mir von Ottilien...
Kurt ist heiter; Abends kam zufällig Dusmann, während Kurt Theaterprobe hatte; Kurt kam um 9 Uhr, Dusmann blieb da.
Donnerstag, 20. /Mai 1869/.
Brief von Fritzsch. Drängte wegen des Contraktes. Ich schrieb in Kurt's Namen zurück, dass er jetzt entschieden keine Zeit und Stimmung für solche Geschäftsfragen habe. -
Freitag, 21. /Mai 1869/.
Sehr angestrengter Tag. Um 1/2 10 Uhr ging Kurt in die erste Gesamtprobe. Ich ging unterdessen in das Museum, um zu zeichnen. Doch litt es mich dort nicht lange. Zu Julie Perfall, welche mich aufpackte und in die Probe nahm, wo eben das Volk lustig tanzte "Nacht mit frohem Tanz" [48] - eine eigene Stimmung. Ich war überrascht von der schönen Klangwirkung. Die Probe dauerte bis 1/2 3 Uhr. - Ziemlich müde kam er heim. Um 5 Uhr noch einmal eine kleine Probe bei der Stehle, dann um 7 Uhr Probe zum Oratorien-Vereins-Concert. Sie sangen gut. Um 1/2 10 Uhr gingen wir noch einmal ins Theater, weil dort eine Decorationsprobe gehalten wurde, da ich am Morgen bemerkt hatte, dass die 7 Brüder Elsbet's zu sehr in einer Grösse seien. Es wurden nun auch kleinere ausgesucht. Auch die Maschine probirt, in der Frl. Ritter als Fee zu erscheinen hat. Das bunte Treiben auf der Bühne regte mich sehr an. Es wurden fauteuils neben den Souffleurkasten gestellt für Julie Perfall und mich und Kurt spielte auf dem Querpiano dazu. Spät kamen wir heim, Kurt sehr müde. -
Samstag, /22. Mai 1869/.
Hauptprobe der Oper "Die sieben Raben".
Ein Einschnitt im Leben. Alles ging vorzüglich. Die Direktion war eben so nobel wie die Composition. Nur wenige Auserlesene hörten zu, waren aber ganz begeistert. Ein poetischer Duft schwebt über dem Ganzen. Die Stehle wird herrlich. Ich getraue mich noch nicht, mich zu freuen -
/T.B.1,36/ aber wir kamen doch Beide ganz begeistert nach Hause. Ich empfand, wie auf der Welt kein Mann seiner Frau ein reineres und innigeres Glück bereiten kann, als es mir durch Kurt zu Theil wird. Nichts in seinem Charakter - auch nichts in seinen Gewohnheiten - keine Laune, kein Eigendünkel und kein Neid stören und verdunkeln sein Talent. Das empfanden auch Alle durch, dass die Composition von seltener Noblesse spräche. Prof. Riehl besonders war ganz entzückt.
Die Erscheinung der tröstenden Fee im Kerker macht sich wunderschön. Und morgen... morgen!!!! Kurt hat sehr, sehr Angst auf Morgen. Er sieht erhitzt aus und hat gewiss im Verborgenen Fieber. Vor mir sass Franz Bonn und schaute ganz verwundert in das Textbuch. In den letzten beiden Akten ist fast keine Zeile geblieben. -
Beim Herausgehen sagte Hedwig Pacher sehr treffend: Diese Musik regt wirklich alle besseren Gefühle des Menschen an. So ist es auch. Die Luft wird wie abgeklärt, und das geistig reine Element der wahren Kunst wirkt auf die unschuldigen Empfindungen. Die reine Treue Elsbet's hat einen rührenden Zauber. Nur ein unverdorbener Mensch kann auch so unschuldig componiren. In Gounod's Faust regt das sinnliche Element auf, hier bei Elsbet ist man in besserer Region. -
Wir konnten Beide kaum zu Mittag essen. Der Körper war ganz in den Hintergrund gedrängt von unserer glücklichen Begeisterung. -
Ich ging Nachmittag aus, um Kurt für morgen Abend eine goldene Uhrkette zu kaufen nebst einem Medaillon, worauf in hohen Buchstaben das Wort "love" steht. Das wird ihn an Mozart's Ring [49] in Salzburg erinnern. -
23. Mai, Sonntag, 1869.
Erste Aufführung der Oper "Die 7 Raben". Morgens 7 Uhr sagte Kurt schon: im Kalender steht, im Juni sei der längste Tag. - Morgens 9 Uhr gingen wir auf den Chor in der Michaelskirche. Direktor Pacher legte uns zu Ehren die Messe von Mozart auf, von der Mozart an seinen Vater geschrieben hatte: Lieber Vater, schicken Sie mir die Missa ex B [50], damit die Münchner sehen, dass ich auch in diesem Style etwas kann. - Kraft geholt für den Abend. -
/T.B.1,37/. Vormittags war es noch erträglich, aber Nachmittag war dem armen Kurt ganz miserabel. Er konnte es allein in seinem Zimmer gar nicht aushalten und setzte sich mit der "Geschichte von Venedig" in mein Zimmer. Endlich wurde es 1/2 6 Uhr ... und er ging in das Theater, nachdem ich vorher im "Gnadenwinkelchen" (Betstuhl meines Schlafzimmers) ein paar Worte mit ihm gesprochen hatte. -
Recensionen werden nachfolgen. - Er wurde stürmisch gerufen - die Oper hatte vollständigen Erfolg. Wie mir war, von Anfang zu Ende durch die vergitterte Loge des Intendanten auf die liebe Gestalt des dirigirenden Componisten zu sehen?! - Man fühlte, dass es kein gemachter Lokal- oder Parthei-Erfolg war, sondern der Ausdruck der ins Herz getroffenen Menge. Mich beglückte bei Allem die gewonnene Überzeugung, dass die Freude des Publikums am wahrhaft Einfachen und Edlen nicht verloren gegangen ist. Kurt war sehr glücklich, der liebe gute Mensch! -
Frl. Stehle, welche unvergleichlich war, schüttelte ihm vor dem ganzen Publikum innig die Hände. Die ganze Vorstellung war ausgezeichnet. Abends waren noch Perfalls und Bonns bei uns zum Souper.
Montag, /24. Mai 1869/.
An die Eltern in Vaduz, an Holstein's in Leipzig, an Verleger Fritzsch etc. geschrieben. - Die grosse Erregung machte uns beide unwohl. - Es ist eben das geistige Element zu stark gewesen für den schwachen Körper.
/T.B.1, 39/. Trotz allem gab Kurt Morgens 8 Uhr schon seine Contrapunktstunde an der k/öniglichen/ Musikschule. Das hätte ein andrer nicht gethan! Meine Goldne Kette freut ihn so sehr. -
Dienstag, /25. Mai 1869/.
Die erste, gute Recension in der Augsburger Abendzeitung. Nur nehmen sie Anstoss an dem armen Schimmel. Dieser bleibt jedoch. Die Stehle wird unwohl und es ist unwahrscheinlich, dass Donnerstag die Wiederholung der Raben ist.
Mittwoch, 26. /Mai 1869/.
Kurt hatte viel Lauferei und Verdruss wegen des übermorgigen Oratorien-Verein-Concerts. Er war sehr böse.
Donnerstag, /27. Mai 1869/.
Erster Verdruss wegen der 7 Raben. Bonn scheint zu Weber der Ne/euesten/ Nachrichten gelaufen zu sein, um zu sagen, bei der Änderung des Textes seien schlechtere Verse gemacht worden. - Er ist falsch und gemein und bedenkt nicht, wie er sich vor uns blossstellt.-
Kurt hatte trotz der Frohnleichnamsfeier Quartettprobe.
Freitag, 28. /Mai 1869/.
Das 16. Oratorienvereins-Concert, welches Kurt dirigirte. Chor aus einer Motette von Bach, das Madrigal "Spirito di Dio" von Lotti, altfranzösische Volkslieder, ein bezauberndes Salve regina von Hauptmann, Hymnen für Altsolo [] Chor von Mendelssohn und das Mädchen von Kola bildeten das Programm. Frl. Ritter sang die Soloparthie mässig gut. Sie fängt an, sich zu sehr zu schminken und denkt mehr an das Äusserliche als an das Innere.
Sonntag, 30. Mai /1869/.
Kurt nahm noch das Ständchen (=op. 26, Nr. 6) in seine neue Liedersammlung auf.
Montag, 31. /Mai 1869/.
Heute bekam Kurt Brief von Vincenz Lachner, der ihn für die Oper die 7 Raben in Mannheim vormerkt. Er will zur nächsten Vorstellung nach München kommen. Das fängt gut an. -
Mit Franz Bonn textliche Rücksprache genommen. Ich glaube, dass er eine gemeine Natur hat. Kurt ist in jedem Worte so nobel dagegen. - Fritzsch schickte wieder Tarantellen [52], da die erste Auflage schon fort ist. Auch die Lockung kam nebst Stimmen gedruckt.
Dienstag, 1. /Juni 1869/.
Kurt schrieb an Vincenz Lachner in Mannheim und schickte ihm auf dessen Wunsch den Clavierauszug der 7 Raben.
/T.B.1,41/ Der König besinnt sich, ob er für Sonntag Lohengrin oder die Raben befehlen soll. Natürlich. Da Wagner ihm hundertmal mehr kostet als Kurt, so muss er ihn auch im Jahr 100 mal mehr sehen. Kurt war im Figaro. Er sagte, die Musik sei eigentlich zu viel Sonnenschein. Man sehne sich nach dem Moll-Schatten, da 2 Akte beständig in Dur spielen. - Die Ouverture sei sehr übersetzt.
Mittwoch, 2. /Juni 1869/.
Der Dirigent des Akademischen Gesangvereins nahm "Das Thal des Espingo" mit, weil er es seinen Jünglingen einstudiren will. Kurt fühlt sich müde und etwas erschöpft. -
Ich möchte, dass er mit der Zeit die Willis von Lingg [53] für Sopran und Orchester setzte ... und den Magus [54]!
Donnerstag, /3. Juni 1869/.
Musikdirektor Späth in Coburg hat das Oratorium Petrus zurückgeschickt. Fritzsch schrieb wieder halb verlangend, halb abweisend. Kurt antwortete sehr würdig. Immer verlangt Fritzsch neue Compositionen und schreibt zugleich, er mache keine guten Geschäfte. Dennoch schickte er die ersten Exemplare einer zweiten Auflage der im vorigen Jahre erschienenen vierhändigen Tarantella. - -
Freitag, 4. /Juni 1869/.
Zum erstenmale im Oratorienverein Curt's "Lockung" gesungen. Zauberischer Klang. Dann fast alle Chöre aus Judas Macabäus [55] durchgenommen. - Es kamen von Dresden aus Anfragen wegen der 7 Raben!! - Grosse Freude! -
Samstag, 5. /Juni 1869/.
Kurt schickte heute an Kirchenrath Stier in Eisenach 25 fl. als Beitrag zur Errichtung des Bachdenkmals [56]. Paul Heyse sprach mich im Theater Abends sehr erfreut an über den glänzenden Erfolg der 7 Raben, wunderte sich aber zugleich, dass der "schlechte Text" solches Glück gemacht habe. Die Musik müsse desto besser sein. "Ich freue mich, ein falscher Prophet gewesen zu sein", fügte er bei. -
Bülow begegnet, der Kurt schnell sagte, "S/eine/ Majestät habe mittelst Staffette den Tristan befohlen". Die Leute müssten nun zu Grunde gerichtet werden. Es thäte ihm leid aber es müsse sein. - Wohl eine Anspielung, dass man die 7 Raben vor Schluss des Theaters nicht mehr geben werde. - Nun - an Intriguen wird es nie fehlen.
/T.B.1,43/ Sonntag, 6. /Juni 1869/.
Als Curt von der Sitzung der Musikschule nach Hause kam, erzählte er, dass ihm Bülow einen Brief des Theaterregisseurs von Weimar zeigte, worin steht, der Grossherzog habe ihm persönlich den Wunsch ausgedrückt, im Laufe des Winters die 7 Raben auf der Bühne zu Weimar zu hören. -
Nun seit 14 Tagen der dritte Auftrag. Mannheim - Dresden - Weimar. Für eine erstmalige Aufführung ohne Reclame die Möglichkeit. -
Kurt arbeitet jetzt an einem Hefte geistlicher vierstimmiger Lieder. - Die Wasserfee spielt er mit Vorliebe. Frl. Stehle darf vor 14 Tagen nicht singen. So wird es wohl August - September bis wir die Oper wieder hören. -
Montag, 7./Juni 1869/.
Von Vincenz Lachner bekam Curt einen wundervollen Brief, der in Folge des Clavierauszuges einen ganz günstigen Eindruck der 7 Raben bezeugt. Er will die Oper Hälfte September (sic) auf dem Repertoire haben und schreibt von dem Glücke, wenn man unter so vieler musikalischer Spreu echten Weizen findet. -
Hermann Lingg möchte nun Kurt auch einen Operntext geben. In einer Recension wird Kurt wegen der seltenen Güte seiner Oper ein "weisser" Rabe genannt.
Dienstag, 8./Juni 1869/.
Abends zusammen leidenschaftlich die Ouverture zu den 7 Raben gespielt. Er lässt nun die Partitur für Mannheim copiren.
Mittwoch, 9./Juni 1869/.
Kurt schrieb an Vincenz Lachner, dass er die Partitur copiren lasse. Perfall hofft, vor Theaterschluss die Oper noch 2 mal geben zu kônnen. Auch an Fritzsch geschrieben, dass das Quartett: Die Wasserfee [57] Prof. Riehl und das Clavierstück [58]: Hoch geht die See V. Lachner gewidmet werde.
Donnerstag, 10. /Juni 1869/.
12 Jahre seit Kurt und ich uns kennen. Wir spielten zur feierlichen Erinnerung das 4-hand. Arrangement des Te Deum von Hasse, das erste Stück, das wir damals zusammen spielten.
Freitag, 11. /Juni 1869/.
Von Verleger Fritzsch Brief. Er will Clavierauszug & Partitur der 7 Raben drucken!!- Auch die Lieder, welche ihm Kurt geschickt. Er widmete sie Frl. Stehle.-
/T.B. 1,47/ Abends gab ich Kurt ein Thema zu einem 4-händ. Clavierstück [59]. Er liess im Oratorien-Verein "Samson" von Händel singen.-
Samstag, 12./Juni 1869/.
Von Offenbach von der Andre'schen Firma eine Einladung zum Drucke der Oper erhalten. Ich lief selbst auf die Musikschule, um Kurt den Brief zu geben. Julius Maier war hocherstaunt, dass Fritzsch auch die Partitur drucken wolle!!!
Leider scheint es sich zu bestätigen, dass Bülow von hier fort will. -
Ich fürchte, der lächelnde Intrigantenschleicher, dessen Profil ungefähr so aussieht / folgt kleine Federzeichnung von Franz Wüllner / wühlt und bohrt dabei. Von Vincenz Lachner wieder ein sehr netter Brief.
Sonntag, /13. Juni 1869/.
Ein wunderschöner Zug in Curt's Charakter! Eine irrsinnige, eigentlich gemüthskranke Freundin sprach Sehnsucht nach mir aus. Sogleich sagte er mir, wenn es ihr Arzt erlaube, so möge ich in die Irrenanstalt reisen, obgleich weit von hier, und ihr diesen Trost bringen.
Im Kunstverein interessante Photographien nach einer ganz neuen Methode.
Leider bestätigt sich die Nachricht, dass Bülow seine Stellen aufgibt. Anliegender Brief zeigt die Gründe:
[60]
Gestern gab ich ihm ein musikalisches Motiv aus Cis moll und spielte auch die Antwort dazu. Reizend war es, wie er es sogleich harmonisirte. - Abends sassen wir zusammen auf dem engen Balcon und sahen den Schwalben zu...
Montag, 14. /Juni 1869/.
Quittung aus Eisenach mit Dank für die zum Bachdenkmal gesendeten 25 fl. Brief von Fritzsch, der die Wasserfee sehr bald erscheinen lassen wird.
Curt stellt nun 3 Humoresken [61] für Clavier zusammen.
/T.B.1,491 Dienstag, /15. Juni 1869/.
Curt schrieb an den Humoresken.
Mittwoch, 16. /Juni 1869/ St. Bennotag.
Mit mir in der Theatinerkirche. Nachmittag schrieb. er die Don Juan Humoreske über Metà di voi quà vadano [62] aus.
Sturm und Regen. Abends Schlafrockseligkeit, Cigarre und Prairie [63] von Cooper. Scarli machte den Tanzbären einem Knochen zu Liebe.
Herrliche Gemäldegalerie von Wimmer. - Man war durch die wunderschönen Landschaften in ganz andere Welt versetzt, so dass Einem dann die Fürstenstrasse sehr nüchtern schien.
Donnerstag, 17. /Juni 1869/.
An den Humoresken gearbeitet. Der Intendant wünscht eine komische Oper von Curt. Er hat keine Lust dazu.
Freitag, 18. /Juni 1869/.
Heute kamen die Simrock'schen Druckbogen von op. 17 I und II, Ballade und Romanze, welche Curt gleich corrigirte und ich sofort zurückexpedirte. Vor dem Oratorienvereine grosse Scarliquälerei von Dusmann und Curt mit dem Blasbalge. Abends höchste Freude an den Prachtchören von Händel 's Josua. Das nenne ich Kunst, Kraft und "wahre Tonmalerei!" Dann der köstliche König von Thamos von Mozart. Welche grossartige "Don Juan-Züge" liegen schon in der Jugendarbeit! Schluss des Oratorien-Vereins. Curt spielte wie König David!
Samstag, 19. /Juni 1869/.
Köstlicher Abend mit Hedwig v. Pacher und Buonamici. Er spielte auf Kurt's Anregung die Garibaldi-Hymne. Ich machte aufmerksam auf den Contrast der bayerischen Hymne. Sie lachten enorm.
[Hier folgen im Original Noten]
- -
Samstag, /19. Juni 1869/.
Heute fing ich auch an, die 7 Raben in das französische zu übersetzen und "Les sept corbeaux" draus zu machen.
Sonntag, 20. /Juni 1869/.
Die Druckbogen der Lieder sind gekommen. Ich sang sie alle durch. Ingeborg [65] sollte Curt doch instrumentiren. Heute ist im Theater Tristan und Isolde. Wie gut ist's daheim.
Freitag, 25. /Juni 1869/.
Brief von Regisseur Schloss aus Dresden mit der Aufforderung Seitens Graf Platen, Curt möge seine Bedingungen wegen der 7 Raben stellen.
Samstag, /26. Juni 1869/.
Drei grosse Fugen [66] für Clavier zusammengestellt und mir das Heft zum Nähen gegeben. - Die Partitur abermals zur Abschrift gegeben.
Sonntag, 27. /Juni 1869/.
Heute sang ich in der Kirche St. Ludwig einen Psalm von Curt "Sperent in te omnes" [67]. Er neckte mich über mein laut jubelndes "Psallite Domino",
/T.B.1, 52/ Heute sprach ich ihm auch lebhaft zu, die Magus Partitur in Druck zu geben. Er stimmt nun mit mir überein, dass eine neue Ouverture dazu gemacht werden müsse, und in der Dämmerung setzte er sich ans Clavier und skizzirte. Die ersten feinen Takte bleiben, dann spinnt sich ein grossartiges Fugenthema daraus und schliesslich der Sieg des Christentums. Ich hielt mich ganz still im Nebenzimmer.
Montag, 28./Juni 1869/.
Sonderbarer Brief von Fritzsch, der plötzlich dem früheren widersprach.
1./Juli 1869/ Abends.
Könnte man es nur niederstenographiren, wie wundervoll, tief und leidenschaftlich jetzt gerade Curt im dunklen Zimmer (während ich im erleuchteten Speisezimmer schreibe) über Scarli 's Schnarchthema phantasirt. Heute antwortete Curt Vincenz Lachner und ich verpackte den 1. Act der 7 Raben. Wir brachten es selbst zur Post. Auch wurde die Wasserfee corrigirt nach Leipzig geschickt.
2. Juli /1869/.
Heute bekam Curt wieder einen Brief von Fritzsch, welcher sehr widersprechender Art ist, indem er eines Theils den Glauben (in Folge von Berathung mit Leipziger Componisten) ausspricht, dass sich die Oper nicht auf dem Repertoire erhalten wird, andererseits den Clavierauszug drucken und die Partitur autografiren will. Wozu dann soviel Mühe... Curt wird die Oper vor der Hand nun gar nicht drucken lassen. -
E.W. Fritzsch hatte am Ende seines Briefes eine Übersicht über die Kosten der Herstellung von Partitur, Clavierauszug etc. gegeben, die nachstehend wiedergegeben ist:
"Aufl. 50 autogr. Partituren (400 Seiten ca.) 250 Thlr.
" 150 Clavierauszuge (150 Seiten ca.) 300 Thlr.
" 150 Ouv. à 2 mains25 Thlr.
"150 Potp. 25 Thlr.
" 150 Ouv. Part 80 Thlr.
"150 Einzelne Nummern 40 Thlr.
[Total]
720 Thlr.
Dazu käme noch Ihr Honorar, Insertionsgebühren etc. etc."
3. Juli /1869/.
An Vincenz Lachner die Pause-Zeichnung des Schluss-Tableaux der 7 Raben geschickt. Perfall sagte, der technische Director sei ohnedem bei der ersten Vorstellung der 7 Raben hier gewesen. Curt sehr erfreut, dass sein lieber Wiener Johnie Maler wieder nach Kreuth [68] kommt. Abends spielten wir ungeheuer flott die von Brahms 4-händig arrangirten ungarischen Tänze, die von Feuer und Wildheit strotzen. Es war eine Wonne, wie wir so am regnerischen Abend zusammen losstürmten. Doppelt wohl that diese energische Musik nach einem überzahmen Sextett von Mendelssohn, das posthum erschien.
4. /Juli 1869/.
Den zweiten Akt für Mannheim corrigirt. Curt schrieb an einem Orgelpräludium
[69]. Schriebe er doch an der Ouverture zum Wunderthätigen Magus [70]. Ich darf ihn nicht drängen. Er war heute sehr schweigsam und ernst. Ich frage nicht, was ihn beschäftigt. -
6. /Juli 1869/.
Curt schreibt an einer grossen Orgelsonate [71]. (Mein Magus leidet darunter. Ich sehne mich so sehr danach). In der Dämmerung stand er mit mir (Beide hatten wir unsere Cigarette) auf dem Balcon, den er unser Landgut nennt, und freute sich an dem schönen Abend und meinen schlechten Witzen. - Jetzt liest er Sealsfield. -
7. /Juli 1869/.
Brief aus Dresden von Schloss [72]. Graf Platen geht auf die Bedingung Curt's betreffend 150 Thaler Honorar ein; nur wünscht er, dass bald nach Eröffnung des hiesigen Hoftheaters die 7 Raben gegeben werden können, um sich selbst von ihrem Werthe zu überzeugen. Vermutlich auch wegen der Inscenirung. Heute Nachmittag wurde auch im neugebauten Schulhause im Rosenthal als 25tes Jubiläum der Städtischen Singschule Rheinberger's Kinder-Oratorium "Die Auferweckung von Jairi Töchterlein" [73] aufgeführt. Curt hat es noch nie gehört. Man gab meiner Mutter und mir Ehrenplätze neben dem Präsidium. Ich genoss es ungemein. Ein Knabe sang die Mutter des gestorbenen Töchterleins und in seiner Stimme lag eine so rührende Beklommenheit, dass wir weinen mussten. Pater Helan, der Pfarrer der Franziskaner, war sehr gerührt. Ich dankte dem Dirigenten in Curt's Namen. Er war unterdessen in Bülow's Zimmer, um die Vorprüfung anzuhören, da einige Schüler Compositionen von Curt spielen. Von 3 – 1/2 7 Uhr an der Schule war anstrengend. Der Hund Scarlatti machte ihm dann Spass, als er die grössten Prügel aus dem Wasser apportirte. -
Curt hatte Kopfweh, machte aber dennoch seine Orgelsonate fertig. Abends ist er jetzt im akademischen Gesangverein, wo die Hauptprobe seines Männerchors : Das Thal des Espingo von Heyse gehalten wird.
9. /Juli 1869/.
Curt war sehr zufrieden mit der gestrigen Aufführung des Thals des Espingo.
/T.B.1,55/ Heute kam ein Brief von Fritzsch, wieder in zarterer Tonart geschrieben. Er scheint sehnlichst zu wünschen, dass ihm Curt den Clavierauszug der Oper lässt. Auch forderte er ihn auf, womöglich zum Allgem/einen/ Tonkünstler- Vereinstag nach Leipzig zu kommen, da dort sein Duo [74] für II Claviere zur Aufführung kommt. Die Lockung ist gedruckt und soll mit der Wasserfee gleichzeitig erscheinen. -
Curt widmet letztere Prof. Riehl und erstere dem Gesangverein Ossian in Leipzig. Die grosse Orgelsonate ist fertig. Die 4-stimmige Schlussfuge mit 2 Themen und einer herrlichen Engführung höchst imposant; -(wenigstens kommts Miezi so für!) /Eigenhändiger Zusatz von J.Rh./
10. /Juli 1869/.
Von der Musikschule Morgens heimgekommen, beantwortete Kurt Fritzsch's Brief sehr kurz, indem er über das Drucken der Partitur schweigt und vom Clavierauszug schrieb, es pressire mit dem Druck nicht; er möge nur einige Aufführungen noch abwarten. Auch an die Vorstandschaft der Gesangsgesellschaft "Ossian" geschrieben und ihr "Die Lockung" gewidmet.
Nun sind 5 Hefte erschienen und 7 liegen wieder für den Druck bereit.
I. Vier Humoresken für Clavier, 2 händig.
II. Orgelsonate. [75]
III. 7 Lieder für Mezzosopran. [76]
IV. 3 Fugen für Clavier 2 händig. [77]
V. Gemischte Chorlieder [78], Lieder des Gedächtnisses. [79]
VI. 8 Orgeltrios. [80]
VII. Capriccio für Clavier 2 händig. - [81]
Den dritten Akt der Oper "Die 7 Raben" nach Mannheim verpackt. Im philharmonischen Vereine wurde wieder das Oratorium für Kinder "Jairi Töchterlein" von dem Chorknaben- Institute unter ihres Präfekten Leitung aufgeführt. Curt hat wieder nicht hören können, da er während dieser Zeit Censursitzung im Odeon hatte. Nur geschulmeistert. Ich zankte, dass er so wenig in die Luft geht. Er antwortete, es reue ihn stets die schöne Zeit. Ich werde mich auf Kreuth vertrösten. Mein Vorschlag, "Jephta's Opfer" für Kinderstimmen zu componiren, gefiel ihm. -
13. /Juli 1869/.
Brief von Schwester Maly aus Vaduz.
14. /Juli 1869/.
Am Morgen kam ein Brief von Fritzsch und die sechs Freiexemplare der "Wasserfee", welche Curt alsbald Professor Riehl schickte, dem er sie auch gewidmet hatte. Er schrieb ihm (ungefähr):
"Eine arme Wasserfee, welche soeben in München angekommen ist, erlaubt sich, in der kühlen Gartenstrasse um Unterkunft zu finden (sic). Als Einlass- und Beglaubigungsschreiben bringt sie nichts als einen herzlichen Gruss von Jos. Rheinberger".
/T.B.1,57/ Curt hatte so grosse Freude an dem neuesten Opus, dass er es wie ein Wickelkind in den Zimmern herumtrug. Heute spielte er auch seinen Schülern seine grosse Orgelsonate vor. -
15. /Juli 1869/.
Abends im Akademischen Gesangverein Erste Aufführung des "Thai v. Espingo" [82]. Wir kamen erst um 1/2 10 Uhr hin, da Curt Sitzung hatte. Wir wurden feierlich empfangen, an den Ehrenplatz geführt. Curt musste zwei Mal aufstehen und sich gegen die ganze Versammlung verbeugen. - Ich musste immer seine Augen ansehen, während sie sangen. Ich erkannte, was ihm die Seele ergriff, obgleich er sich beherrschte.
[Hier folgen im Original Noten]
0 Heimat - - - won - ne
Riehl gesprochen. Er war sehr dankbar für die Widmung der Wasserfee.
16. /Juli 1869/.
Heute kam die Zahlung von Fritzsch für Toccatina und Lockung 27 Thaler. Kurt schrieb ihm, dass er für den Clavierauszug- Druck 100 fl. verlangt. Er will Orchesterbegleitung schreiben zum Thal des Espingo. Wie achtungsvoll waren doch gestern all die Herren gegen Curt. Wie ein Meister behandeln sie ihn. Auch M. Stahl gesprochen.
Musik-Zeitung und Director des Gesangvereins Ossian besuchte heute Kurt und sprach ausführlich mit ihm über den Musik- Tag in Leipzig, bei welchem Süddeutschiand garnicht vertreten war. Er besprach die Angelegenheit höchst wichtig, bot aber schliesslich Curt eine Composition von sich zur Aufführung im Oratorienverein an. -
Curt schrieb an seiner Messe und Nachmittag gingen wir in eine Dultbude [83], um einen preparirten Säuglings-Wallfisch von 36 Fuss zu sehen. Die Wallfischflinte ist höchst interessant.
18. /Juli 1869/. 9. Sonntag n. Pfingsten.
Drei Briefe kamen. Von Bruder David aus Vaduz, von Fritzsch [84] mit dem Ersuchen um schleunige Übersendung des Clavierauszugs der 7 Raben, und von Schuberth aus New York mit dem Ansuchen, Kurt möge eine Skizze seiner Lebensgeschichte schreiben.
Sonntag /18. Juli 1869/.
Fritzsch geantwortet und ihm die neue Orgelsonate geschickt, dann schrieb Curt an seiner Messe [85] bis zum Benedictus.
Nachmittag im engl/ischen/ Garten grossartige Scarlatti- Schwimmerei - gewiss 50 enorme Aportl /T.B.1,58/ zur Belohnung, weil er heute in die Ludwigskirche während des Gottesdienstes herein zippi-zappte, um seine Herrschaft zu suchen. Kurt sagte nur in panischem Schrecken: Der Scarli ist da. Richtig - da stand er dicht beim Hochaltar und kam dann mit einem Freudensprung auf uns zu. - Als ihn Kurt angesichts der versammelten Menge hinausführte, wurde er noch von einem Gend'arm (sic) höchst überflüssig gefragt: "G'hört der Hund Ihna? Hund' dürf'n net in d'Kirch!" "Das weiss ich schon selbst", antwortete der entrüstete Curt, doch der strafende Arm blieb auch hier nicht aus.
Montag, 19. /Juli 1869/.
Wie die Maler aus den gewöhnlichsten Strassenerscheinungen interessante Genrebilder malen können, wenn sie das ihrige dazu thun, so auch Curt als Musiker. Er steht nach Tisch am Fenster und raucht seine Cigarre. Da geht eine Frau vorüber und schreit: "Kaft 's Taubeer'!" [86] und siehe da! Curt sitzt bereits am Schreibtisch und macht eine Fuge daraus, (mittags 2 Uhr).
[Hier folgen im Original Noten]
I. Kaft’s Taubeer'! II. Kaft’s Erdbeer '!
Die bezeichnete Einzelausgabe sammt Clavierauszug an Fritzsch verpackt und geschrieben. Curt arbeitete an der Messe und gab viele Stunden - auch Ströll, der herrlich spielte. -
Dienstag, 20. /Juli 1869/.
Der arme Curt hat einen colossalen Catarrh und dazu Kopfweh, dass er kaum aus den Augen sieht. Trotzdem arbeitet er. Die Messe ist fertig. Fritzsch schrieb, dass er die Oper zu genanntem Preis annimmt, dass er sich freut, dass Curt zum Thal des Espingo eine Orchesterbegleitung schreibt und dass nicht nur der New Yorker sondern auch ein Anderer Curt 's Lebensbeschreibung zu besitzen wünscht. Das Duo habe einen grossen Eindruck gemacht und vergangenen Sonnabend (17.7.1869) ist wirklich Wallenstein in Cöln aufgeführt worden. Die näheren Nachrichten stehen noch bevor.
Musikhändler Werner, hier, bat mich, die Fürsprecherin bei Curt zu sein, dass er Jairi Töchterlein [87] herausgeben dürfe, da es im philharmonischen Verein so sehr gefallen habe. -
Der erste Akt der 7 Raben für Dresden ist auch bereits copirt. So rührt sich immer etwas. -
Mittwoch, /21. Juli 1869/.
Curt noch immer sehr unwohl; dennoch wollte er die Musikschule nicht absagen. Nicht einmal während des ganzen Jahres, trotz vielfachen Kopfwehes, liess er die Stunden zurück.
/T.B.1,59/ Von Fritzsch aus Leipzig die Nachricht, dass er die Orgelsonate prächtig fände und sofort dem Stich übergäbe. - [88]
Donnerstag, 22. /Juli 1869/.
Ich war in der Nacht sehr krank und Curt liebevoll in Sorge um mich. -
Freitag, 23. /Juli 1869/.
Curt war Vor- und Nachmittag in den Prüfungen. Abends spielten wir die letzterschienenen Claviervariationen, welche Franz Lachner seinem Sohn Eugen widmete und die mir vorkamen, als hätte er sie aus seiner Kinderschublade herausgezogen. Curt meint, es sei mehr die Kindheit des Alters. Noch Curt's frische Tarantella darauf gesetzt.
Die Lebensskizze nach New York schrieb Curt selbst. In der Tonhalle steht, dass von den Ensemble-Werken beim Musikertag in Leipzig das Clavier-Duo von Rheinberger das schönste Werk gewesen sei.
Samstag, 24. /Juli 1869/.
Vom heutigen Tag ist nichts zu berichten als dass Kurt in den Prüfungen Hitze und wahrscheinlich auch einige Langeweile ausstand und bei Tische Scarli lehrte, "Schnappauf" zu machen. Wie aus einer Wolke erscheint die drohende Hand und auf der Nase muss das Stück Brot sitzen bleiben, bis "Schnappauf" commandirt wird. Ein alle Aufmerksamkeit des Lehrers und des Lernenden absorbirendes Kunststück.
Nachmittag an die Klosterfrau in Moselweiss bei Coblenz die 4-stimmige Hymne [89] mit Harfenbegleitung geschickt und die Copie der 7 Raben-Ouverture-Partitur nach Leipzig. Abends im eng/lischen/ Garten spazieren. Uns nach Kreuth gesehnt und auf einsamen Bänken gesessen. Von ferne die melancholischen Musiken und vergnügungssüchtigen Menschen.
Sonntag, 25. /Juli 1869/.
Kurt kam heute nicht in die Kirche, weil er in das Theater gerufen wurde, um der Prüfung Niglischek's beizuwohnen.
Er soll nach 2-jährigem Studium bei Härtinger ungefähr 8 gute Töne haben, wenngleich etwas schwach. Das ganze Theater ist jetzt wie ausgewaidet, sagt Curt. Nur die Wände stehen. Es wird alles neu - überall Versenkungen und hauptsächlich Schwimmaschinen zu Rheingold, was Haupterforderniss einer guten Musik ist!
Nachmittag die Internationale Kunstausstellung besucht.
Montag, 26. /Juli 1869/.
3 Freuden, als ich von Starnberg, wo ich bei Ringseis zu Besuch war, zurückkam: 1) Curt hatte grosse Ehre von seinen Schülern, welche Contrapunktprüfung vorzüglich machten; 2) Ankunft des gedruckten Clavierheftes Phantasiestück zu dem Gedicht von J. Hammer: Hoch geht die See, und 3) ehrenvolle Erwähnung des "vortrefflichen Duo" von Rheinberger am Leipziger Musikertag; ferner Brief von Fritzsch.
/T.B.1,60/ 27. /Juli 1869/.
Abermals Brief von Fritzsch wegen der Widmung der Oper und wegen der Partitur von der Ouverture. Netten Brief von Frau v. Holstein aus Carlsbad.
Heute war unglückliche Singprüfung von Frau Richter und vorzügliche Clavierprüfung der Bülow'schen Schüler. Buonamici habe wunderbar schön Liszt'sche Etude gespielt. Kurt's Compositionsschüler hatten die Aufgabe am Morgen bekommen, über Mittag ein instrumentalisirtes Menuett zu schreiben. -
Mittwoch 28. /Juli 1869/.
Kurt hatte wieder den ganzen Tag Prüfungen. Um 12 Uhr Max Stahl zu ihm, um sich wegen der Oper "Schön Annchen" zu besprechen. Es sollte noch etwas Charakteristisches hineinkommen. Der Schäfflertanz [90] und dann eine entschiedenere Persönlichkeit des Liebhabers. Nachmittags war Curt von 1/2 4 Uhr bis 1/2 10 Uhr an der Musikschule. Lang genug. Perfall habe einen Anfall von Erschöpfung bekommen. Ich hörte unterdessen den Liebestrank von Donizetti und entdeckte, dass mich das oberflächliche Feuer nicht mehr beleben kann. Es ist Garnisons- Musik ohne wahres Gefühl.
Donnerstag, /29. Juli 1869/.
Beiliegender Brief kam von der Schwester in Moseiweiss.- Kurt macht überall Freude.
"Brief der Soeur Louise Adèle Boem von der HeimsuchungMariae an Fanny Rheinberger:
Aus unserm Kloster Moselweissb/Coblenz, d. 28. Juli 1869
Verehrte Frau Professorin!
Empfangen Sie meinen innigsten Dank für Ihre freundlichenZeilen, mit denen Sie das kostbare Manuskript Ihres HerrnGemahls begleiteten. Wären Sie Zeuge gewesen der freudigenAufregung, welche dieses Paketchen in unserem Kreise hervorrief,Sie hätten den besten Beweis, welch warme Verehrerinnenfür Meister Rheinberger in unserem kleinen Moselweisswohnen!/…/"
Er wurde in die Musikschule gerufen, um die Probe von Sachs "Thal des Espingo" beizuwohnen.
Freitag, /30. Juli 1869/.
Curt bei Julius Maier zu Besuch. Fritzsch schrieb, dass nun die Ouverture doch gestochen würde. Es war gut, das Curt das Autographiren nicht zugab.
Samstag, /31. Juli 1869/.
Erstes Prüfungsconcert an der Musikschule. Entschieden die beste Nummer des Abends war die vierstimmige Streichquartettfuge von Stich, einem Schüier Curt's. Sie hatte allerdings ein Motiv von Curt, aber die Zwischenspiele waren sehr originell und graziös. Ich lege die Programme bei.-
Als wir nach Hause kamen, lag ein Brief von Oberstkämmerer Graf Pocci da mit dem Ersuchen, Curt möge zur Goethe-Monuments- Enthüllung einen Chor für den König [91] schreiben.-
Curt sagte mir, Bülow sei durch hundert Verdrusse in einer gebrochenen Stimmung, er wolle nun wirklich fort und habe Curt als artistischen Direktor bei Cabinethsrath Lipowsky vorgeschlagen.
Sonntag, 1. /August 1869/ /T.B.1,64/
Zusammen in der Ludwigskirche. Um 11 Uhr 2tes Prüfungs- Concert, bei welchem ein Psalm von Hieber nebst einer grossen Fuge enormes Aufsehen machte. Curt war sehr zufrieden. Ich war aber unzufrieden, wie Frl. Decker das Jagdstück [92] spielte. Sehr gehudelt. Herrlich war am Schluss die grosse Fuge von Bach, von Hieber auf der Orgel gespielt. Königlich. Der ist der besste Organist von Allen - ganz bestimmt. Der arme Glötzner ist ja nicht hier. Nachmittags ging Curt zu Gf. Pocci [93] wegen des Chors. Er bat sich 14 Tage Arbeitszeit aus. Also auch in Kreuth keine Ruhe.-
Als wir Nachmittags im Englischen Garten spazieren gegangen waren, ging ich in die Erzbischöfliche Capelle, um den Hl. Geist für Curt anzuflehen, da ich ahnte, dass er jetzt zu Hause über dem Chor studiere. Als ich nach Hause kam, war den Chor fertig!-
Da kann man wirklich sagen, dass sich alles aufhört. Curt spielte ihn mir vor. Er wird sehr feierlich klingen - besonders der Schluss: "Für Goethe ein begeistert: Hoch!"
Curt verlangt kein Honorar vom König.-
Montag, 2. /August 1869/.
Ich sah Curt über die Schulter, als er den Chor ausschrieb, d.h. in Partitur. Im Gedichte heisst es, "Das Bild, das ihm ein König weiht". Und dabei war der König unterstrichen. Curt aber legte den Schwerpunkt auf 'ihm". Ich machte ihn darauf aufmerksam. Er lächelte und sagte, die Feier gälte Goethe, er wolle übrigens ein kleines "sf" auf den König setzen, um dem Hofdichter keinen zu argen Schrecken zu machen. Vormittags noch erhielt Gf. Pocci den Chor. Er antwortete erstaunt über die künstlerische Genialität Curts.
Abends wieder ein Triumph für ihn, da "Das Thal des Espingo" von Ernst Sachs so ausserordentlich gefiel. Ich erkannte den echten, tiefen Schüler des tiefen Meisters an ihm.
Hermann Lingg stand neben mir, während es gegeben wurde. Später ging ich weiter vor. Beethovens "Elegischer Gesang" war so wunderbar in Composition und Durchführung, dass ich fühlte: so solle man sterben. "Sanft wie du lebtest, hast du vollendet zu heilig für den Schmerz.! Kein Auge wein' ob des himmlischen Geistes Heimkehr!"
Ich musste Wüllner herzlich dafür danken! -
Dienstag, 3./August 1869/
Unter Tags ging Curt zu den Proben, gab Frl.v.Redwitz Stunden und Abends war das grosse Concert, bei welchem Rüber einen Sinfoniesatz aufführte, der mich durch seine grosse Bestimmtheit und Frische angenehm berührte. Ich sass weit vorne. Eminentes leistete auch ein kleiner Clarinettist und Frl. Möhrlin aus Mulhouse. Buonamici hatte einen riesigen Applaus. Im Hintergrund stand sein Freund Giucci. Hinter den Coulissen sanken sich die Freunde gewiss in die Arme.
Bülow sah krank und gereizt aus.-
Mittwoch, 4. /August 1869/.
Schluss des Schuljahres mit dem höchst brillanten 5. Concerte. Buonamici spielte die letzte Note und Bülow dirigirte den letzten Takt. Er verschwand dann, um sich das Abschiednehmen zu ersparen. Ich kann es nicht fassen, dass nun Bülow für immer fortgeht. Er hat doch in diesen 2 Jahren die Schule auf eine eminente Höhe gebracht. 6 Schüler von Curt erhielten eine Belohnung. Es ist uns beiden heute melancholisch zu Muthe. Morgen fahren wir nach Kreuth.
5. August /1869/.
F e r i e n.
In glühender Hitze nach Bad Kreuth [94].
Waldesstimmung. Noch in der tiefen Dämmerung mit Curt spazieren, während das wohlbekannte Einsiedlerglöcklein das Ave Maria läutete. Curt fand seinen Freund Johnie Mayer nicht und ist darüber enttäuscht. Jetzt im Rauchstübchen macht er vielleicht neue Bekanntschaft.
Kreuth, 8. August /1869/.
Brief von Fritzsch. Curt beantwortete ihn heute und schrieb, er überliesse es Fritzsch wegen der Annahme /der 7 Raben/ in Mannheim und Dresden zu drucken - er glaube nur, es sei vielleicht besser, es allgemein zu halten: /Die Oper ist/ "an mehreren Hofbühnen in Vorbereitung genommen". Das wäre auch das Richtige. Kurt ist hier wohl und vergnügt. -
9. August /1869/.
Curt bekam das Textbuch /zu Thürmers Töchterlein/ von /Max/Stahl zugeschickt und beiliegenden Brief [95].
[...]
Ich übersetzte an den 7 Raben lange fort - bis zum Eintritt Elsbeth's im Finale des I. Aktes. Es kostete mich grosse Anstrengung.
10. August /1869/.
Immerwährend strömender Regen. Curt ist aber heiter. Er liest ein unterhaltendes Brennerbuch von Nol. Von Fritzsch Brief bekommen. Die Lieder an Frl. Stehle geschickt und ihr dazu geschrieben. - Ich verpackte die Sendung.-
Donnerstag, 12. /August 1869/.
Fast den ganzen Tag Regen. Erst gegen Abend heiterte sich der Himmel auf. Gleich einen Gang durch die grünen Wälder gemacht und die vielen Wasserfälle und Quellen bewundert, die ihr "Laudate" aus den Bergen sprudeln. Curt schrieb an Fritzsch, dass das Textbuch zur Oper gehöre.
Freitag, 13./August 1869/.
Die Druckbogen der Orgelsonate kamen an, Curt corrigirte sie und schickte sie sogleich an Fritzsch zurück. Eugen Stieler besuchte uns am Tegernsee. Sie warfen wie die Kinder Blöcke in den Wasserfall und bombardirten jeden, der fest sass, mit Steinen so lange, bis sie flott wurden. Ich sass unterdessen mit der Arbeit unter einem Baum und dachte mir, die Landschaft mit dem Wasserfall vor mir sei wie componirt als Illustration zur Wasserfee. Ich will es zeichnen. -
Sonntag, 15. /August 1869/.
Der II. Akt der 7 Raben-Partitur kam copirt aus München. Er ist sehr schön geschrieben. Ich machte heute während des strömenden Regens die Übersetzung des I. Aktes in das Französische fertig. Ich fürchte aber, dass die ganze Arbeit umsonst ist in doppelter Hinsicht! -
Montag, 16. /August 1869/.
Curt schrieb einen vorzüglichen Brief an Holstein und an /unleserlich/ in Dresden. Geistreiche Antworten und Bemerkungen.
Donnerstag, 19. /August 1869/.
Die Druckbogen der II-händig arrangirten Opernouverture kamen und wurden von Curt corrigirt und von mir wieder eingepackt und zurück geschickt.
An Oberst Salis-Soglio geschrieben. In der Zeitung steht, bei der Oper Rheingold müsse bei einer Stelle "Schwefelgeruch" die Bühne füllen. Edle Musik!
Freitag, 20. /August 1869/.
Anfrage einer neuen Firma um ein Rheinberger'sches Clavierheft. Curt will ihr die 4 Humoresken für Clavier schicken, wenn wir nach München kommen. In der Tonhalle Nr. 34 ist die Toccatina günstig besprochen und die neuen Werke angezeigt. Curt war heute viel im Freien und am Gerlossbach in Betrachtung der mächtigen Felsen versunken. -
/T.B.1,73/ Samstag, 21. /August 1869/.
Heute kamen 12 Freiexemplare von opus 27 - der Orgelsonate, welche Curt seinem Freunde, Dr. Herzog in Erlangen, widmete. Er freute sich darüber. -
Sonntag, 22. /August 1869/.
Die Druckbogen des Opertextes sind gekommen. Curt muss sie nun auch corrigiren.
Montag, 23. /August 1869/.
Curt bekam beiliegenden Brief von Frl. Stehle, der mich gewiss noch mehr freute, als ihn, wenigstens wechselte er nicht die Farbe, während er ihn las, während ich vor Freude über die Aussicht, die Raben bald zu hören, ganz blass wurde. Ich empfand es wieder, wie theuer mir Curt und seine Musik ist. Curt bekam auch die Druckbogen des Jägerchors und die erste Seite der Elsbet-Arie. Von Herzen freue ich mich, wenn die einzelnen Rollen nicht mehr Privat-Eigenthum der Sängerinnen sind. Curt schrieb auch heute an Fritzsch. -
Das Wetter war ziemlich schön, aber kalt. Curt ist unendlich gerne hier.
Dienstag, 24. /August 1869/.
Abermals Opernauszug-Druckbogen. Curt schrieb an Fritzsch.
Mittwoch, 25. /August 1869/.
Überrascht worden durch den Besuch von Herrn von Saar; er erzählte unter anderem, Richard Wagner habe vor der letzten Aufführung an Bülow geschrieben: nur ein ehrvergessener Dirigent könne mit solcher Besetzung eine Parodie des Tristan aufführen... Bülow habe seiner Frau, die immer bei Wagner ist, geschrieben, sie möge protestantisch werden und Wagner heirathen, damit sie nicht mehr seinen Namen trage. Allerdings habe auch Bülow darin gefehlt, dass, als Wagner vor 3 Jahren sagte, "lasse mir deine Frau, ohne sie kann ich die Meistersinger nicht componiren", er sie bei Wagner gelassen habe.
Jedenfalls ist Wagner ein Teufel von Schlechtigkeit und genialster Gemeinheit.
Donnerstag, 26. /August 1869/.
Die Druckbogen des Duett's der Oper. Curt hat sich am Morgen beim Regenwetter entschlossen, nach München zu gehen, nun scheint die Sonne - es war ein wahrhaft himmlischer Abend und das Herz wird ihm so schwer, dass er ganz sentimental wird vor Kummer, von Kreuth fortzusollen. Was thun?
27. /August 1869/.
In Kreuth geblieben. Herrlicher Tag!
28. /August 1869/.
Statt an der Kgl. Hoftafel tief in den Alpen gewesen. Curt genoss es mit vollen Zügen. - Ich hoffe, es hat keine schlechten Folgen. Mich zog es im Stillen schon zur Göthefeier.
In der Tonhalle Nr. 35 herrlicher Aufsatz über Wagner, den unverschämten.
30. August /1869/.
Heute in München erste Aufführung von Wagner's Rheingold. In der Zeitung steht über die Hauptprobe: selbst die begeistertsten Verehrer Wagners konnten nicht umhin, über diese Musik bedenklich die Köpfe zu schütteln! -
31. /August 1869/.
Rheingold abgesagt, da sich Musikdirektor Richter auf Verlangen Wagner's weigerte, des Königs Befehl zu vollziehen und die Oper zu dirigiren. Die ganze Sache scheint nur die äusserste Reklame; Wagner will den König demüthigen! -
1. September /1869/.
Abbé Liszt besuchte Curt. Er sprach davon, dass er die 7 Raben in Weimar empfohlen. Was hast Du darauf geantwortet, frug- ich Curt: Nichts, ich habe ihn mir angeschaut, und als er von Bülow sprach, dass er das "malheur" bedauere, habe ich wieder geschwiegen und ihn angeschaut. Curt kann ungemein ausdrucksvoll schweigen.
Donnerstag, 2. /September 1869/.
Abends bei Riehls, wo noch ein paar Professoren waren. Als sie über das Concil [96] absprechend docirten, brachen Hedwig Pacher und ich in Gelächter aus. Curt musste auch mitlachen. Manchmal ist Humor zu rechter Zeit besser als Opposition.
Curt entsetzte sich an einem Schlaflied von Lenau, welches Syra Falconi componirte und Frau Riehl sang. Entzückt waren wir über ein Beethoven'sches "Gramlied"! Das rüttelt an den Stangen geistiger, seelischer Haft. -
Freitag, 3. /September 1869/.
Die 7 Raben Partitur nach Dresden verpackt und einige Worte an Regisseur Schloss geschrieben. Prof. Kiel [97] aus Berlin kennengelernt. Ich konnte mir die Freude nicht versagen, dabei zu sein. Es war ein äusserst gediegenes und höchst
interessantes Gespräch zwischen beiden Componisten, die sich gegenseitig sehr schätzen. Kiel hat etwas wie H. Lingg.
Ein verlässiger, biederer Mann. Sie lachten beide über die Idee, dass Perfall, Wüllner und Scholz vor einigen Jahren ein Circular an ihn und andere Componisten zur
Unterzeichnung schickten, als Protestation gegen die Wagner'sche Musik. Kiel sagte, er habe sie zurückgewiesen, da er durch seine Compositionen eine bessere Darlegung seiner
musikalischen Richtung zeige. Dieser Wüllner! Armer Tropf!
Natürlich sprachen sie auch viel über Wagner's "Scheingold", wie sie jetzt Rheingold heissen. Als dann Kiel, ahnungslos, dass Curt's Heimat Liechtenstein sei, das Rheinthal als seine Lieblingsgegend pries, wurde Curt ganz warm und zeigte ihm die Vaduzer Landschaft. -
Samstag, 4. /September 1869/.
Curt schickte die 4 Humoresken an Forberg in Leipzig [98], da dieser etwas zum Verlag wünschte, und widmete sie Kiel.
Vormittag waren wir in der japanischen Sammlung, staunten über Vieles, und Nachmittag spazusten (sic) wir in den engl. Garten, um Scarli im See baden zu lassen, Curt hat Heimweh nach der Natur. Louis Arco war da. Er erzählte von Liszt's Äusserung, für ein Genie gäbe es kein Gesetz - es trüge über die Schranken der gewöhnlichen Nothwendigkeit hinweg. -
Also dürfte ein Genie auch tödten?! - O Christus! Dein Genie war doch anders! -
/T.B.1,81/ Sonntag, 5. /September 1869/.
Abends lernte Curt tarroken (sic), da auch Dusmann da war. So sehr er sich beherrschte, sah man doch, dass er innerlich vor Hast und Leidenschaftlichkeit zitterte. Auch hat er gewaltige Sehnsucht nach aussen.
7. September /1869/.
Hauptprobe von den 7 Raben. Wir sassen allein im dunklen Parquet und hörten zu. Ich bin froh, dass das Orchester tiefer gebaut ist und man die prosaischen Hofmusiker nicht mehr sieht. Stehle that zopfig und indisponirt, weil sie ihre Stimme schonen will, um Freitag als Lilien in Stuttgart aufzutreten. Maier dirigirte. Curt war zufrieden. Ich genoss es mit bewegtem Herzen. Heute seine Photographie bekommen, welche ganz vorzüglich ist; grosse Freude daran gehabt. Das Duett im I. Acte war nun doch transponirt.
Es thut Curt weh. Im Ballet wurden auch Kürzungen vorgenommen. Das Orchester klingt wunderschön. Wir zittern beide etwas für morgen und ich glaube, dass die Oper überhaupt in Frage steht.
Es war mir doch eine eigene Empfindung, als ich meine eigene Dichtung in mehr als der Hälfte des Textes erkannte, sowie die verschiedenen Rathschläge, die Curt freundlich von mir annahm - z.B. das schöne Lied Roderich's, das 2 male kommt und hauptsächlich die Ouverture. -
II te Vorstellung der 7 Raben.
Am Morgen waren wir zusammen in der Theatinerkirche. Der übrige Tag schien Curt sehr lang. Er sass und dämmerte in meiner blauen Grotte herum, sah oft nach der Uhr und ging endlich, gegen 1/2 6 Uhr fort. Um 1/2 7 Uhr folgte ich mit Hedwig v. Pacher nach (seine einstige Schülerin).
Wir sassen zusammen auf der Galerie noble und verfolgten Beide mit klopfenden Herzen den ersten Ton bis zum letzten. Es ging schön - obgleich ein paar Grade weniger gut als unter Curt's Direction. Frl. Stehle war lieblich - doch sang sie beklommen und die Höhe that ihr weh, weil sie zu dick wird. Aber ihre Darstellung war vollendet. Auch Roderich war gut. Wie sehr ist in der Oper ein Stück Lebensgeschichte von Curt und mir. In den Kämpfen Opfer - Liebe
- Sehnsucht und Treue! -
Für mich wird sie ewig theuer bleiben. Sie machte mir heute einen noch ernsteren Eindruck als neulich im Mai. Manches störte mich und ich musste es wieder empfinden, dass der Geist die Hoffnung haben darf - ja muss auf ein einstiges Vollgeniessen des Geistigen und Künstlerischen. Das Plaudern Einzelner, das Versagen einiger Stimmen und Instrumente, kurz das Schattenbild des Ideals regte die Sehnsucht an, das, was Gottes Geist durch die Seele des Componisten auf die Erde gebracht, dereinst in ungetrübter Vollendung zu sehen - zu hören - zu fühlen - und unwillkürlich fiel mir der Psalm ein, den Curt auch schon componirt hat: "Es schmachtet meine Seele nach dem Vorhof des Herrn". - [99]
Wir hatten vielleicht 9-10 Freunde im Theater - alles andere waren Fremde und dennoch errang die Oper wieder die wärmste Theilnahme. Abends kam Guido Stieler zu uns und wir schmauchten höchst behaglich unsere Cigaretten zu einer Flasche Champagner. -
Donnerstag, 9. /September 1869/.
Es kam "Die Schäferin vom Lande" und "Das Schloss am Meer" /op. 17/ vom Verleger Simrock im Druck an, sowie das Honorar der 4 Humoresken /op. 28/ mit der Bestellung um neue Clavierstücke von der Verlagshandlung Forberg.
Curt schrieb an Baron Loen in Weimar wegen der Widmung seiner Oper.
Freitag, 10. /September 1869/.
Ich rieth Curt, auf einige Tage in seine Heimath zu gehen, da ich mir vorstelle, dass die alten Eltern dort sich nach ihm sehnen. Ich bleibe indessen hier und besuche Papa fleissig. Curt ging gleich darauf ein.
Vincenz Lachner telegraphirte, die Raben könnten vor 4 Wochen nicht sein wegen Erkrankung Elsbet's. Consul von Dreyfuss aus Stuttgart besuchte uns mit seiner Frau und lud Curt sehr ein, nach Stuttgart zu kommen und auch seine Oper dort anzubieten. Wir waren sehr entzückt davon.
Samstag, 11. /September 1869/.
Curt ist heute abend, (so Gott will) in Vaduz. -
Sonntag, 12. /September 1869/.
Brief von Vincenz Lachner [100]. Zu Hause ist es traurig - bei den Eltern noch mehr; denn der arme Papa ist wieder sehr krank. Gut' Nacht Curti! -
14. /September 1869/.
In einer Recension steht: Rheinberger sucht Wagner in der Wahl seiner Stoffe nachzuahmen, aber mit weniger Glück! Der Arme gerieth in die Rheinüberschwemmung.
16. /September 1869/.
Da Curt von Forberg die Aufforderung bekam, ihm noch Clavierstücke zum Druck zu überlassen, so schreibt er jetzt ein Heft von 3 Stücken zusammen, und nachdem wir zusammen über den Titel beriethen, tauften wir sie "Aus Italien" [101]:
N. 1) Dolce far niente, N. 2) Rimembranza und N. 3) Serenata.
Er will sie Buonamici widmen.
17. /September 1869/.
Heute schrieb er schon am 2. Stücke. Hofprediger Gross verlangte aus den 7 Raben etwas durch die Militärmusik in der Michaelskirche zu hören. -
18. /September 1869/.
Das Heft mit den 3 Clavierstücken (aus Italien) fertig geschrieben und für 20 Thaler an Forberg überlassen. Curt sagt, es seien alte Ladenhüter. Es ist ihm aber nicht ernst; denn er spielte sie doch mit grosser Liebe. In den Zeitungen immer noch die heftigsten Schlachten und Ehrenkriege zwischen Richard Wagner und der Intendanz. Sie sagen sich schmähliche Dinge. Wie gut ist es, ferne zu stehen.
Das arme Wüllnerchen wird schliesslich auch noch was auf's Näschen kriegen, wenn er nicht genug in die Intentionen des Rheingoldes eingeht! -
/T.B. 1,88/ 20. September 1869.
Druckbogen der I. Scene des II. Actes corrigirt und wieder fortgeschickt. Von Bonn [102] kam beiliegender Brief. Curt wird ihm den Drittheil seiner Einnahmen geben. -
Ferner schrieb Curt an Vincenz Lachner. Unter anderem die gute Bemerkung, das am Theater hier so unbegreifliche Dinge Einem natürlich erscheinen, dass man sich nur mehr über das Natürliche wundere. Ich regte heute Curt an, die Musik des Wunderthätigen Magus endlich 4-händig zu arrangiren, Er wird es thun und den Stücken einzelne Namen gehen: Beschwörung, Sturm, Justina, Sieg. -
Er arbeitet fleissig, während ich unaussprechlich leide durch das fort gesetzte Sterben meines armen, heissgeliebten Vaters! -
21. /September 1869/.
Curt schrieb den "Sturm" aus dem Magus 4-händig aus und wachte kleine Änderungen. Von Fritzsch kam Einladung zu weiterer Verlagssendung. Ich packte auf seinen Wunsch die einstimmigen Lieder [103], welche er Hedwig Pacher widmet, und die 4-stimmigen Lieder des Gedächtnisses [104]. Den Brief schrieb ich und kündigte das grosse 4-händige Heft des wunderthätigen Magus an. -
An Franz Bonn den Drittheil 49 fl. geschickt.
Abends 1/2 10 Uhr starb mein Vater.
/T.B.1, 89/ 22. /September 1869/.
Das Theater in Dresden ist abgebrannt [105], wahrscheinlich auch die Partitur der 7 Raben und die Hoffnung, dass sie dort auf - geführt werden.
Von der am 22.9.1869 im Münchner Hoftheater stattgefundenen Uraufführung von R. Wagners "Rheingold" hat Fanny Rheinberger in ihrem Tagebuch keine Notiz genommen. Über die Aufnahme des Werkes in München gibt die bisher unpublizierte Privatrezension von Max Greis interessanten Aufschluss. [106]
23. /September 1869/.
Curt arbeitete trotz der Trauer an seinem Magus. Holsteins aus Dresden sind da. -
24. /September 1869/.
Papa 's Beerdigung.
25./September 1869/.
Brief von Fritzsch an mich. Er wird die Lieder des Gedächtnisses für gemischten Chor, sowie die einzelnen Lieder bis Anfang nächsten Jahres drucken. Curt ist verstimmt über die abscheulichen musikalischen Verhältnisse. Seit Bülow fort ist, hat er keinen Freund mehr (unter den Künstlern hier). Er ist auch ungewöhnlich einsylbig und still. Wohl mag ihn Papa's Tod recht angreifen. -
26. /September 1869/.
Er arbeitete an seinem 4-händigen Magus und erhielt abermals Druckbogen der Oper, welche er expedirte.
/T.B.1,90 128. September 1869/.
Curt machte das 4-händige Arrangement des wunderthätigen Magus ganz fertig. Er nahm 7 Stücke heraus mit folgenden Bezeichnungen:
1. Einleitung; 2. Justina; 3. Sturm; 4. Erstes Intermezzo; 5. Melodram und Geisterchor; 6. Zweites Intermezzo; 7. Sieg des Glaubens. -
Er will nun (auch sehr nach meinen Wünschen) die Musik zur Unheilbringenden Krone als kleines Orchesterwerk für Concerte arrangiren. Dann wird man erst sehen, wie reizend diese Musik ist. -
Frau v. Holstein war abends freiwillig da. Sie überbrachte uns Klagen Paul Heyse's v. Saar's (sic) etc.etc.etc., das wir so sehr zurückgezogen leben. Herrn Ernst Sachs (einem Schüler Curts) ein schönes Zeugnis geschrieben.
Conservatoriumsdirector aus Prag, Herr Krejci war bei Kurt, um seine Bekanntschaft zu machen und zu sagen, dass er in Prag die Wallensteinsinfonie aufführen würde, wozu er Curt zur Direction einlüde. Sollte er verhindert werden, so doch jedenfalls das Vorspiel zu den 7 Raben. -
Gegen Abend mit Dr. Heinrich Bürkel einen Spazirgang gemacht gegen Norden - zur Kuppelmaler-Villa und zum neuen Nordfriedhof.
29. /September 1869/.
Kurt fing heute an der Oper von Max Stahl [107] zu skizziren an. Auch die "Unheilbringende Krone" liegt auf seinem Pulte. Er wohnte in einer Loge verborgen der Probe seiner 7 Raben bei. Kindermann soll wieder ganz an der nehmlichen Stelle gebockt haben. -
30. /September 1869/.
Vom Grossherzog v. Weimar die Antwort auf die Frage bezügl. der Widmung bekommen. Gleich an Fritzsch geschrieben wegen des Titelblattes.
/T.B.1,90/ 30. /September 1869/ Abends
IIIte Aufführung der "7 Raben".
Curt war vorher sehr aufgeregt und unbehaglich gestimmt. Nach der Oper kamen Holsteins und Herr v. Sahr zu uns. In leuchtender Stimmung und mit Thränen in den Augen. Das Haus war ganz ausverkauft, die Vorstellung eine ganz vorzügliche.
Curt war sehr glücklich. Scarlatti und ich schauten eine halbe Stunde lang vor Beendigung der Oper vom offenen Fenster in die Sternennacht.
/T.B.1,93/ Gegen 1/2 10 Uhr rollten die Wagen, von ferne hörte man das Geräusch, das nach Beendigung des Theaters gewöhnlich ist; allmählich kamen einzelne Herren und Damen und endlich hörte ich Curt's heiteren Pfiff, der dem Hunde gilt. Scarli rannte ihm auf der Strasse wie ein Pfeil entgegen - ich lief auf die Treppe, um zu hören, wie es gegangen hatte? "Mietzi kann zufrieden sein, es war eine ausgezeichnete Vorstellung". Als Holsteins kamen, küsste sie mich und sagte mir, den ganzen Abend habe sie an mich gedacht und sich auf den Augenblick gefreut, da sie mir ihre innige Freude aussprechen könne. -
In der blauen Grotte war der Thee im Silber des Fürsten v. Liechtenstein [108] reizend serviert. 6 Fauteuils standen um den Theetisch. Dann wurde im Speisezimmer soupirt und Champagner getrunken. Es war ein echtes, sympathisches, kleines Künstlerfest, und von Zeit zu Zeit sagte ich innerlich dem lieben Gott Dank und gab ihm die Ehre: -
1. October 1869.
Fritzsch schickte ein gar zu naives Titelblatt, auf welchem die 7 Raben wie zahme Spatzen auf dem Theatervorhang sassen. Es ihm zurückgegeben und Curt's Cigarrenetui als Muster geschickt.-
Curt war schon scharf an Max Stahl 's Oper, die wir heute Thürmers Töchterlein, oder Schön Gertrud tauften.
Sonntag, 3, /Oktober 1869/.
Curt schrieb ein Capriccio für Clavier [109] II-händig aus und um. Es ist das nehmliche, welches das Motiv des Liedes hat "ich träumte, du wärst bei mir". Es ist noch eine Composition aus früheren, einsamen Jahren. - / ... /
/T.B.1,931 Heute Nachmittag waren wir in der gothischen Maleridylle des originellen Trettenbacher. Nur Walter Scott könnte es beschreiben. Auf seinem Schreibtische stehen zwei Figürchen, das eine ein studirender Mönch, der die Kaputze über den Kopf gezogen auf einem Steinblock kauert und aus einem Folianten studirt, der Andere ein betrachtender, entsagender Trappist.
/T.B.1,95 ohne Datum, Anfang bis Mitte Oktober 1869/
Curt componirte in 3 Tagen 5 Quartette [110] für gemischten Chor, meist im Volkston:
1. Abschiedslied von Carl Stieler 2. Ein Stündlein wohl vor Tag. Mörike 3. Um Mittemacht. Mörike 4. Neujahr. Mörike 5. Ein Tännlein grünet wohl. Mörike.-
Ferners neues Feuer für Calderon's Magus zu schüren gesucht. Ich möchte zu gerne, dass Curt eine Sinfonie daraus machte. Jeden Nachmittag waren Prüfungen für die Aufnahme.-
Donnerstag, 7. /Oktober 1869/. St. Justina.
Ihr zu Ehren mit Curt die Musik des Magus gespielt. Sie dauert 22 Minuten.-
Er schrieb das Tännlein aus u. spielte mir alle 5 Quartette vor. Nachmittags in der Musikschule Stundeneintheilung.
Samstag, 9./Oktober 1869/.
Seit gestern schrieb Curt aus seinem grossen Fugenwerk [111] 3 Fugen aus für Clavier, die er zu drei früher geschriebenen stellt, so dass es ein Werk von 6 Fugen in zwei Heften gibt. Vielleicht schickt er sie an Simrock. Abends spielten wir wieder die 4-händige Musik des Magus zusammen.
Meine linke Hand ist noch schwach.
Sonntag, 3. /Oktober 1869/.
Heute die letzten Druckbogen des Oper-Clavierauszug an Fritzsch zurückgeschickt. Er lässt einen Titel nach dem Cigarrenetui zeichnen. Ich bin sehr begierig, wie es ausfällt, fürchte mich aber davor.
Curt hat die 6 Fugen fertig und will nun ein weiteres Heft Lieder zusammenstellen. -
16. /Oktober 1869/.
Curt arbeitete eine grossartige H-dur Fuge [112] mit grossem Präludium aus. Er will kleine Sachen für den Druck bereit legen und dann erst eine grössere Arbeit unternehmen. Neuerdings den Plan wegen des Cleveland aufgegriffen. Ich arbeite jetzt am II. Acte und habe, wie ich glaube, einen guten Schluss für die Oper gefunden.
Ich will es nun vor Allem fertig machen.
17. /Oktober 1869/,Sonntag Abend.
Eben spielt Curt seine qrossartige Fuge, von der er selbst sagt, dass sie riesig sei. Nun klingt das Vorspiel durch die geschlossene Tür herein. So ernst und tief. Am Morgen kam ein Brief aus Mannheim, dass die "7 Galgenvögel" erst II. Hälfte November seien. Vorher soll noch die Sinfonie Wallenstein aufgeführt werden, wenn Curt nehmlich die Stimmen dazu leiht.-
/T.B.1,100/ 19. Oktober 1869
Die langathmige, grosse Concertfuge nebst Praeludium und Cadenz liegt riesenhaft fertig da und wird bald zu einem Verleger wandeln. Heute die Stimmen der Wallensteinsinfonie verpackt und nach Mannheim geschickt. Fritzsch schrieb um die 4-händigen Stücke, desshalb packte ich auch den lieben, guten Magus ein.(Wenn nur Curtele die Instrumentirung begönne.) Ich arbeite heute an der II. Scene des II. Actes - Piraten.
Morgen will ich die Scene Erich-Noma machen.-
21. /Oktober 1869/.
Curt hat heute angefangen, die Musik zur Unheilbringenden Krone 4-händig zu arrangiren.- Nichts am Piraten arbeiten können wegen Kopfweh. Morgen hoffentlich.
22. /Oktober 1869/.
Curt hat heute die Ouverture zur Unheilbringenden Krone fertig geschrieben. Wir haben sie bereits zusammen 4-händig gespielt. Sie klingt sehr feurig und originell. Von Holstein die Recension aus Leipzig bekommen.
Heute hat Curt Oratorienverein. Es wird Josua von Händel studirt.-
/T.B.1,100/ 23. /Oktober 1869/.
Zweite Nummer zur Unheilbringenden Krone geschrieben: Ewald's Traum mit der Chornummer.
Montag, 25. /Oktober 1869/.
Eben haben Curt und ich zusammen die Ouverture zur Unheilbringenden Krone gespielt. Etwas feuriger als damals die Leimsieder im Theater.
Die 8 Orgeltrios emballirt und hingeschickt, dann an Fritzsch geschrieben, dass die Mannheimer Textbücher wollten und keine zu haben sind. - Auch der Widmungstitel an Grossherzog von Sachsen-Weimar kam zur Besichtigung. - Brief von Capellmeister Reiss aus Kassel mit der Anfrage und dem Ansuchen um Übersendung der 7 Raben Partitur.
28. /Oktober 1869/.
Heute die Partitur nach Cassel geschickt.
Heute kam auch der Clavierauszug der 7 Raben in festlich schönem Gewande an und wurde mit grossem Jubel von Curt begrüsst.
Die Oper ist reizend ausgestattet, Curt sehr glücklich darüber. Fritzsch findet auch die
/T.B.1,102/ Magusmusik prächtig und wird sie natürlich drukken. Curt arbeitet jetzt mit Liebe an der Unheilbringenden Krone und ist gerade beim "Tanz". So oft er eine Seite fertig hat, muss ich sie mit ihm spielen. -
Gestern abend war er mit Perfall, Saar und Brahms bei Wüllner aussen. - Er unterhielt sich mässig. Brahms habe über Curt's Musik gestaunt.
Frl. Gungl wird als Probe zum Odeonsconcerte morgen Curt's "Ingeborg" [113] singen.
29. /Oktober 1869/.
Wir hörten sie als Ingeborg: Es war ein wunderschöner Anblick, wie das bildhübsche Mädchen am Clavier stand und sich in ihre Aufgabe vertiefte. Das reiche, gewellte blonde Haar umfiel wie ein Schleier ihre Schulter, während der übrige Theil des Haars hoch auf dem Kopfe zusammengeschlungen war in einem Knoten. Curt sass im Halbdunkel am Clavier und sah von Zeit zu Zeit mit seinem ernsten, tiefen Gesicht auf die Sängerin. Das Licht, das ihr vom Rücken kam, spielte hie und da flüchtig auf ihrer Wange und lag leuchtend auf dem Haar. Dazu das bescheidene Dachstübchen und das leidenschaftlich stürmende Lied. Es war wirklich ein Stück Künstlerleben. Leider entsprach mir ihr Gesang nicht so wie ihre Schönheit. -
Samstag, /30. Oktober 1869/.
Heute hat Curt schändlich Kopfweh. Desshalb geht er auch nicht in das Quartett Jean Becker, das in diesem Augenblick die Menschen hinreisst.
Er schrieb heute den Tanz aus der Unheilbringenden Krone:
[Hier folgen im Original Noten]
Es ist ungeheuer angenehm zu spielen. -
Mit dem letzten Tage des October ist auch die Musik zur Unheilbringenden Krone fertig.
Am 21. fing er an, also neben allen anderen Berufsgeschichten in 10 Tagen geschrieben.
Wir spielten die Musik abends durch. Curt hatte selbst solche Freude daran, dass er sagte, er wisse nicht, welchem der 9 Stücke er den Vorzug geben solle.
I. Vorspiel
II. Ewald's Traum
III. Intermezzo
IV. Opfergesang im Tempel
V. Zweites Intermezzo
VI. Tanz
VII. Drittes Intermezzo
VIII. Marsch und Chor
IX. Schlussgesang.
/T.B.1,104/ 1. November 1869.
Curt schrieb an Fritzsch, da er von diesem 90 Thaler für verschiedene Compositionen erhalten hatte, und schenkte ihm als Anerkennung für die schöne Ausstattung der 7 Raben seine 7 Lieder für Singstimme [114]. -
Heute wurde auch im Concerte Ingeborg's Klage zum erstenmale gesungen. Curt glaubt, dass die Composition gefallen hat.
Starker Schneefall und Kälte.
3. /November 1869/.
Curt hat neues Partiturenpapier bekommen und schreibt jetzt sein grosses Requiem [115] um. Er will es vollkommen neu instrumentiren, da er sagt, seit jener Zeit, als er es anfing, viel gelernt zu haben. Er freut sich innig dieser ersten geschriebenen Seiten. Fritzsch möchte die 4 Lieder im Volkston für Quartett auch haben. Er bat uns heute um Mitarbeiterschaft an seiner musikalischen Zeitung. -
4. /November 1869/.
Curt arbeitet angestrengt an der 20-zeiligen Partitur seines Requiems. Ich copirte ihm daher die 4-stimmigen Lieder.
5. /November 1869/.
Oratorienvereinsprobe. Josua grossartig. Curt Kopfweh.
6. /November 1869/.
An Fritzsch geschrieben, ihm die Quartette geschickt und wegen der Zeitschrift angefragt. - Curt arbeitete am Requiem bis er Augenflimmern bekam. -
7. /November 1869/.
Curt ist wahrhaftig schon mit dem Kyrie des Requiems fertig.
Die Partitur wird das Appetitlichste und Liebenswürdigste,
das man sich denken kann. - Er fing bereits am Dies irae an. -
8. /November 1869/.
Heute den Clavierauszug schön gebunden an den Grossherzog von Sachsen-Weimar geschickt. Auch an Bonn in Bayreuth. -
Ich schenkte einen Clavierauszug der Hof & Staatsbibliothek, also sind heute drei ausgewandert. Es wird gut sein, sich zu sagen: 'Den Dank, Dame, begehr ich nicht' [116], denn gewöhnlich folgt auf solche Sendungen tiefes langathmiges Schweigen. -
Curt arbeitete am Requiem. Er spielte heute aus dem Dies irae, wobei die erschütternde Begleitung trefflich das Zittern und Bangen der geängstigten Seele vor dem Richter gibt.
10. /November 1869/.
Brief von Vincenz Lachner, dass die Raben am 28. flügge werden. Curt sagt, er sei sehr bange darauf und fühle, dass er mit den Jahren immer ängstlicher würde. Es wird für mich wohl das schwere Opfer kosten, hier zu bleiben!!!
Curt arbeitete am Requiem und ich sah ihm dabei über die Schulter. Rex tremendis majestatis wird dröhnend und erschütternd! -
Donnerstag, 11. /November 1869/.
"Kurt, was hast du heute gearbeitet?" "Nur a bissi Requiem schripps has, nur a bissi".
Freitag, /12. November 1869/.
Wie oben, schripps has. -
Abends Oratorienverein. Curt war strenge. Die Zahl der Sänger wächst.
17. /November 1869/.
Curt hat enorm an seinem Requiem gearbeitet, sodass er schon über die Hälfte der Partitur fertig hat. Er hatte fast 14 Tage lang sehr starkes Kopfweh.
Dienstag, 23. /November 1869/.
Heute Abend hörten wir zusammen im Museumssaale das Concert von Carl Tausig [117]. Curt nennt ihn den eminentesten Techniker, doch stellt er Rubinstein [118] & Bülow [119] geistig unvergleichlich höher. Im Modernen ist er besonders einzig, und richtig ist Curt's Bemerkung, dass Liszt mit Piloty [120] zu vergleichen sei, indem beide die technischen Künstler in so grosser Zahl schaffen. Curt lernte Tausig kennen.
/T.B.1,107/ Mittwoch, 24. /November 1869/.
Curt sagt, dass er zwei Dritt-Theile des Requiems bewältigt habe. Leider quält ihn das Zahnweh immer noch.
Cathariana, 25. /November 1869/.
Curt hat sein Requiem heute bis zum Benedictus gebracht. Er hat das Sanctus fertig componirt. Heute steht in der Concertrevue der Signale, dass die III. Scene der Wallensteinsinfonie [121] in Jena aufgeführt worden sei. -
Von Mannheim noch keine Nachricht!! Es dauert lange. Perfall dürfte auch endlich die Musik zur Unheilbringenden Krone bezahlen. -
Heute nach langer Zeit mit Curt Rheinberger'sche Lieder gesungen. Das eine "Der verpflanzte Baum" [122] ist ein Stück Biographie von uns selbst und desshalb sehr rührend für mich - ebenso "Ständchen" [123] mit seiner schwülen Luft. -
Beim letzten Liede: "Abends, wenn die Kinder mein" [124] war ich so ergriffen [125], dass ich kaum singen konnte! -
Curt findet, dass meine Stimme durch die Schmidt'sche Schule gewinnt.
Freitag, 26. /November 1869/.
Die Künstlerbahn hat rauhe Steine, das erfährt Jeder; desshalb war ich auch durch beiliegenden Brief Lachner's [126] nicht überrascht. Curt auch nicht, aber er war doch verstimmt; denn Lachner's erster Brief liess einen andern Ausgang erwarten. Curt will nicht gehen, auch wegen seines vielen Zahnweh's. Er schrieb an Hänlein, dass ihm dieser Montag sogleich telegraphire. Allerdings wäre der Rückschlag für Weimar & Cassel nicht angenehm und gut.
/T.B.1,110/ Samstag, 27. /November 1869/.
Da Curt fürchtete, dass Lachner das Telegramm zu schroff sein möchte, schrieb er ihm nach und ich copirte anliegenden Brief [127], weil er mir gefiel.
Vormittags schrieb Wüllner um ein Lied Curt's, dass Frl. Stehle im nächsten Concert singen wolle, von dem sie aber nichts wusste, als dass darin vorkäme "ich hab' geliebt, ich hab' geschwärmt".
Es sind die Lieder, welche mir Curt widmete [128]. Er sah sie noch durch und fand, dass das "bezeichnete" eine wirkliche Concertnase habe.
Wollen sehen.
Curt ist innerlich sehr verstimmt wegen der Mannheimer Geschichte. Für mich hat er durch sein Benehmen gerade in dieser empfindlichen Sache wieder sehr gewonnen - wenn das möglich ist. So leidenschaftlich im Schaffen, so gemässigt im Leben. Wohl ihm! -
/T.B.1,110/ Heute schrieb er am Benedictus seines Requiem.
Sonntag, 28. /November 1869/.
Der Mensch denkt - Gott lenkt. Heute schickte der junge Hänlein aus Mannheim beiliegende Zettel, welche anzeigen, dass die 7 Raben nicht sein können, wegen Unwohlsein der Primadonna. Wie gut, dass wir nicht nach Mannheim gingen - und dazu dieser Sturm und Regen! - Curt fühlt sich unwohl. Hat stark Kopfweh.
Montag, 29. /November 1869/.
Curt hat heute das Benedictus in seinem Requiem fertig geschrieben. Ich räumte heute seinen Notenkasten ein und staunte über die Masse, die er schon geschrieben!
Die Nachricht bestätigt sich, dass Max Zenger [129] Musik-Director an der hiesigen Oper und Dr. Grandauer Opernregisseur wurde. Man sagt, Perfall habe sich durch die patriotische Kammerwahl gewarnt geglaubt, keinen Ausländer anzustellen. Komisch! Für Zenger freut es mich. Er ist geschickt und hat allenfalls auch die nöthige Grobheit zu diesem Geschäfte.
/T.B.1,112/ 1. December 1869.
Fräulein Stehle sang im Abonnements-Concert ein Lied Curt's "Vorüber" aus dem mir gewidmeten Liederheft op. 3. Sie sang es mild resignirt. Meine Auffassung war leidenschaftlich - eine Erinnerung an Vollgenügen. Dann sang sie ein Lied von Zenger sehr neckisch mit den Augen weit mehr als mit dem Herzen. Ich freute mich als die Beethovensinfonie kam, welche wirklich ein Strom aus göttlichem Borne & nicht aus irdischer Gefallsucht ist.
/T.B.1.112/ 2. /Dezember 1869/.
Curt arbeitete am Requiem, bereits am Agnus Dei, unglaublich; ich schrieb die Marcello Skizze fertig. Curt spielte dann die berühmte Rossini-Messe [130] durch. Einiges ist besonders für die Singstimme herrlich gesetzt, doch kommen
manchmal sehr fatale Salonjodler vor, die mit dem ernsten Texte verletzend kontrastieren. Heute an Regisseur Schloss in Dresden & an Capellmeister Reiss in Cassel geschrieben, ob denn die Partituren der 7 Raben angekommen seien? Mit bestellen sind sie flink, mit antworten höchst langweilig.
Und Mannheim?
3. /Dezember 1869/.
Abends eine herrliche Probe im Oratorienvereine über Händel gehabt. Ganz vorzügliche geistvolle Chöre!
4. /Dezember 1869/.
Herrn Wallenreiter aus London singen gehört. Verständniss- und gemüthsvoll. Nur die Stimmung trat hervor, der Sänger verschwand.
5. /Dezember 1869/.
Soeben wurde Curt mit seinem Requiem fertig [131]. Er lud mich ein, die letzte Note daran zu schreiben, das B im Bass. -
Es ist abends 1/2 8 Uhr und während wir still und ernst bei der Lampe sassen, ist in Mannheim erste Aufführung der 7 Raben.
Curt hatte keine andere Nachricht bekommen, nur den Zettel durch Hänlein geschickt. Curt ist ganz resignirt. Er glaubt an keinen günstigen Erfolg. Jetzt singen sie vielleicht gerade das Frauenduett: "Nahe, nahe du schönste der Stunden". Es ist ein schmerzliches Gefühl, so ferne zu sein. Wir haben nur eine Seele, die mit liebendem Herzen dort zuhört ... es ist der dankbare Schüler Hänlein. Wie es wohl geht? Später, wenn wir gestorben sind, hat der Geist freie Bewegung. Niemand, Niemand weiss, der es nicht erlebt hat, was das für ein eigenthümliches Gefühl ist. -
Heute ist auch Mozarts Sterbetag. Man fühlt sich wie verflochten mit den Menschen, deren Werke uns ein so theures Vermächtniss sind. Sonderbar... Ich kann heute auch nicht beten. ist es schlimme Vorbedeutung?
Telegramm aus Mannheim. 5. Dez. 1869. Aufgegeben 9 Uhr nachmittag, aufgenommen 10.30 Uhr nachmittag:
Herrn Professor Rheinberger, Fürstenstr. 22, München. Oper mit Beifall aufgenommen, besonders erster und dritter Akt. Näheres Lachner brieflich. Hänlein.
/T.B.1,116/ Vormittag war ich im Orgelsaale der Musikschule. Hieber spielte mir Curt's Orgelsonate. Es fiel mir wieder auf, wie kein Nötchen überflüssig, wie alles so überlegt, abgerundet in Empfindung und Form ist. Nicht weichlich und doch so innig und gewaltig. Hieber, sein Schüler, spielte vorzüglich. Zweimal spielte er sie. Einmal hörte ich von ferne zu, das andere Mal war ich neben ihm und half Register ziehen. Dann sang ich zweimal mit seiner Begleitung das Ave Maria von Rheinberger [132].
Nachmittag mit Curt einen Spaziergang in der Winterlandschaft. Zugesehen, wie die Kinder mit Schlitten spielten. Curt erinnerte sich seiner heiteren Kinderzeit. Dann Scarli im Schnee gewalkt. Zu Hause machte Kurt noch die Correktur des Töchterlein des Jairus und metronomisirte es. Er widmet es dem Institute der Chorknaben bei St. Johann. - Jetzt wird Roderich seine Arie singen ... nichts weiter. Wir sangen gegen Abend Schubert-Lieder. Curt erzählte mir, wie er das Eine als zehnjähriger Knabe von einem Sänger hörte, der sich mit der Guitarre begleitete und bei einer Wendung den Accord nicht fand. "Fis-dur" rief ihm Curt von unten im Saale zu, ohne das Lied zu kennen, und richtig war es genau so. Das Lied heisst: Sehnsuchtswalzer [133].
Abends 1/2 11 Uhr kam noch ein Telegramm aus Mannheim an, dass die Oper Beifall errang. Wir lagen schon zu Bette. Morgen wird der Brief Lachner's das Nähere wohl sagen. -
6. /Dezember 1869/.
Von Dresden kam die Partitur der 7 Raben zurück, da man auf einem provisorischen Theater die Oper nicht geben kann.
Heute fing Curt an der Komischen Oper von Max Stahl: Thürmers Töchterlein fleissig & ernstlich an. G/ott/ g/ebe/ G/lück/. -
7. /Dezember 1869/.
Gute Nachrichten über die Oper aus Leipzig. Die Intendanz hatte dem Verleger geschrieben, dass die 7 Raben Glück gemacht haben. Nur von Lachner direkt noch keine Nachricht.
8. /Dezember 1869/.
Hänlein schickte eine sehr gute Recension der Aufführung in Mannheim [134]. Fritzsch schrieb entzückt von der Musik zur Unheilbringenden Krone und wird dieselbe gerne drucken. Auch mein Marcello-Aufsatz wurde angenommen [135]. -
/T.B.1,121/ 9. /Dezember 1869/.
Heute wurde im Theater wieder die Ouverture zur Zähmung der Widerspänstigen von Rheinberger gegeben. Durch das Tieferlegen des Orchesters hört man nun von den Feinheiten gar nichts mehr. Für die brutale Wagner-Instrumentirung muss das Orchester unter der Erde spielen - gleichviel ob dann alle andere Musik darunter leidet oder nicht. Curt übte Josua em. Welch eine Geduldsprobe für ihn mit diesen Schneegänsen! -
Von Cassel [136] gute Nachricht. Wahrscheinlich wird die Oper angenommen. -
12. /Dezember 1869/.
Die 7 Raben /in München/.
Ganz ausverkauftes Haus, obgleich auch im Residenztheater gespielt wurde. Die Sänger waren alle ausgezeichnet, die Stehle einzig. Nie noch habe ich sie so vorzüglich gesehen. Kurt und ich hatten in der zweiten Reihe unsere Parquetplätze und waren ein Herz und ein Gedanke. "Wahr is!"
Als wir zusammen bescheidenlichst im Nebel zu Fusse hingingen und durch das Foyer gingen, flüsterte der Theaterdiener meinem Manne zu: "Der Baron Perfall lasst Herrn Professor sagen, dass im 3. Act ein Sprung gemacht wird." Curt war ernst darüber, aber so sehr ich ihn auch bat, auf die Bühne zu gehen und sich zu überzeugen, so widerstand er doch und sagte, "ich habe meine genauen Gründe, warum ich so handle, nun sei gut und werde nicht ärgerlich, was auch kommen mag". -
Nun scheint es aber doch ein falscher Lärm zu sein; denn es kam kein Sprung, sondern es wurde musikalisch und von den Sängern aus bis zum Schlusse immer schöner. Scenisch waren es sicher die Papierfahnen nicht, die die Oper glänzen machten. Das ist der Unterschied zwischen andern Opern, wo die Inscenirung so brillant ist, dass die Musik verschwindet. -
Die Raben waren verhängt, sodass man über sie lachte, und die Vehmerichter erschienen, als der Theaterhimmel noch im Hintergrunde statt vor der Kirchenthüre war. - Doch das sind Nebensachen. Die Stehle war Künstlerin - Genie! -
/T.B.1, 122/ Wie lieblich die Erscheinung der Fee im Kerker wirkte - wie vollendet Gesang und Darstellung der beiden Künstler im Kerkerduett war...nicht zu sagen. Es hat das Ideal des Komponisten erreicht. Wie froh bin ich, dass mir dieser Einfall kam wegen der Fee! -
Heute auch die Partitur des Requiems an die Simrock'sche Verlagshandlung nach Bonn geschickt.
13. /Dezember 1869/.
Probe der Solisten Damen Leonoff und Ritter gehabt für das Concert Josua von Händel. -
17. /Dezember 1869/.
Simrock schickt die Requiem-Partitur wieder zurück, da er mit der Missa Solemnis von Kiel [137] schlechte Geschäfte gemacht hat. Der arme Curt dauert mich. Er thut mir leid. - Ich glaube, dass Simrock die Partitur garnicht angesehen hat. -
Wollen wir die Partitur anderweitig versenden. - Am Nachhauseweg erzählte gestern Cavallo, dass ihm ein Hofmusiker erzählt habe, wie sie Curt's Oper zustutzten - das Quartett weglassen wollten. Direktor Meyer habe sich gewehrt, Perfall aber gesagt, er wolle es schon verantworten. Desshalb schickte er also den Diener an das Portal des Parquet's. -
Nicht übel, das muss ich sagen. Und wir hatten den ganzen Abend die Annehmlichkeit, im Parquet zu sitzen und zu warten, welcher Strich gemacht wurde. Recht hübsch. - Das soll ihm aber doch eingetränkt werden. - Curt sagte, nur eine bodenlos unmusikalische Dummheit könne so etwas verantworten. Und wieder fiel mir so recht grell die Ungerechtigkeit, der Unsinn auf, dass ein Mensch wie Perfall, der durch seine eigenen Schöpfungen nichts wie gerechte Entrüstung hervorgerufen hat, allen musikalischen Institutionen vorsteht!! -
Nun! Jetzt ist eben wieder Sturmfluth. Curt hat nöthig, dass ihm die Schwingen wachsen! -
Noch immer kein Brief von V. Lachner. Ist es zu glauben? Auch Hänlein dankt nicht für die erhaltenen Musikalien und Curt schickte ihm doch zum Ersatz für die Auslagen des Telegramm's 1) sein Duo für 2 Claviere, 2) Toccatina und 3) Wallenstein's Lager. Das ist doch gewiss nobel genug - wenigstens rentirte sich Curt's Composition der Göthehymne nur durch die Unterschrift Pocci's - obgleich er sie für den König gemacht hatte.
/T.B.1,125/ Curt erklärte heute Perfall in der Sitzung, dass er feierlich gegen die Wegnahme des Quartetts in der Oper protestire. Perfall sagt: Ich gebe zu, es ist eine wunderschöne Nummer, aber sie hält die Handlung auf (gar nicht wahr, sie hat gerade Handlung). "Nun, wenn es eine wunderschöne Nummer ist, so wird es dem Publikum nicht zu lange dauern, 60 Takte anzuhören", erwiderte Curt.
Heute componirte er ein 4-stimmiges Studentenlied [138] von Scheffel's Trompeter und ich skizzirte ein paar Takte zu einem andem, reizenden Gedicht von Scheffel [139].
19. /Dezember 1869/.
Brief von Hänlein. Dankbar. Hauptprobe im Oratorienvereine zu Händel 's Josua.
20. /Dezember 1869/.
Curt componirte an einem Männerquartett [140].
21. /Dezember 1869/.
Grosse Befriedigung durch vollkommen gelungene Aufführung von Händel 's Josua im Oratorienverein. Josua wurde in München zum allererstenmal gegeben. Fräulein Leonoff = Achsa, Frl. Ritter = Othniel, Herr Thorns = Kaleb, Herr Heinrich = Josua; die Chöre waren mächtig und fehlten nicht einmal.
Es war eine grossartige Freude, die sich durch jeden Ton wach hielt & steigerte. -
23. /Dezember 1869/.
Der getreue Herr von Peche aus Prag schickte wieder sein Fasanen-Ehepaar in Tannen eingewickelt. Sollte je Curt ein berühmter Mann werden, so müsste in seiner Biographie dieses edlen Notars gedacht werden, der nach 14-tägigem Zusammensein eine so liebe Erinnerung bewahrt.
Johnie Mayer aus Wien schickte eine 2 ellenlange Kiste: ein türkisches Rohr nebst Pfeife und Tabak enthaltend. Curt sagte, nur ein so unverdorbenes Herz wie Johnie könne einen solchen rührend unpraktischen Einfall haben. -
Zum Ende des Jahres war Franz Lachner zweimal da, um mit Curt Freundschaft zu schliessen und ihn zu werben, dass er ihm seine Quintette spielen helfe. Curt hat auch angefangen ein Quatuor zu schreiben [141]. Ich wünschte, dass das Requiem gedruckt würde. -
Curt hat in diesem Jahre Enormes geleistet: 1 Musik zur Unheilbringende Krone mit Clavier Arrangement, ebenso Magus. Das grosse Requiem, viele 4-stimmige Chorsachen. Die Messe umgearbeitet, Clavier-Compositionen - Lieder etc.
In Norddeutschland wurde auch die Lockung und All mein Gedanken aufgeführt...
Gesundheit! 1869 Addio!
/T.B.1,126/ 1870 Benvenuto!
Spirito di Dio. . .!
1. Januar 1870.
Guter Anfang. Nachricht aus Prag, dass die Ouverture der 7 Raben einen glänzenden Erfolg gehabt. Curt wurde um irgend eine andere Nummer aus der Oper gebeten. -
2. /Januar 1870/.
Fritzsch ersuchte um Portrait und Biographie Curts. -
Wir warten immer auf die Opusse im Drucke. Nun sind es 8, die unter der Presse sind:
1. Musik 4-händig zur unheilbringenden Krone,
2. Musik 4-händig zum wunderthätigen Magus,
3. Lieder des Gedächtnisses, 4-stimmig,
4. Lieder im Volkston, 4-stimmig,
5. Lieder für eine Singstimme, bei Fritzsch.
6. Bilder aus Italien für Clavier,
7. Humoresken für Clavier, bei Forberg.
8. Die Erweckung von Jairi Töchterlein, bei Werner.
Nun wurde auch das Requiem zu Fritzsch geschickt.
11. /Januar 1870/.
Heute spielte Curt bei Franz Lachner dessen beide neuen Quintette in C moll und A moll. Es sei sehr interessant gewesen und Lachner habe sich auch gefreut.
13. /Januar 1870/.
Curt schrieb nach Prag an Krejci.
2. Februar /1870/.
Seit langer Zeit schrieb ich nicht mehr ein; seit dieser Zeit hat Curt ein ganzes Quatuor [142] geschrieben für Clavier, Cello, Viola und Violine. Es sind 4 Sätze. Ich freue mich sehr, sie zu hören. Curt sagte, als es beendet war, er habe sich auf die Stunden der Vollendung gefreut und nun sei es ihm schon wieder wie eine längst vollbrachte That.
Heute morgens 6 Uhr ist er nach Mannheim gereist, wo am Freitag Vorstellung der 7 Raben mit Sofie Stehle als Elsbet sein soll. Es thut mir sehr weh, nicht mit zu können, allein ich war ein paar Tage zu Bette und getraute mich wegen der grossen Kälte /nicht/.
Von Fritzsch kam einen Monat lang kein Brief, obgleich ich viele Theaterrecensionen lieferte; auch die gewünschte Rheinbergerbiographie in Skizze hinschickte. Ferners schickte ich eine Recension des musikalischen Märchens Schwind's "Die schöne Melusine" nach Leipzig an Dr. Paul. Curt war so bezaubert davon, dass er sagte, es kämen ihm dabei musikalische Gedanken. - Wir fanden auch Franz Lachner in Schwind's Atelier [143]. - Gute Nacht, lieber Curt in Mannheim. Ich hoffe, du hörst jetzt vergnügt Lohengrin an und kommst gerne wieder nach München.
IV. Februar /1870/.
IIte Aufführung der "7 Raben" in Mannheim.
Ich sitze hier allein! Es ist abends 8 Uhr; Curt wird Aug' und Ohr sein... Nun ist, denke ich, eben das Kerkerduett und vielleicht die Erscheinung der Fee. Curt und Hänlein werden zusammen sein. Curt wird an mich denken, lieber Curt! Es thut mir leid, dass ich nicht bei dir sein kann. Scarli schläft unterdessen neben mir auf dein Sofa. Nun wohl!!! -
Geduld, Geduld! Morgen kommt hoffentlich ein Telegramm.
Beiliegendes Telegramm! Wieder eine kleine gewonnene Schlacht. -
Telegrammvordruck:
Mannheim, 5.11.1870.
Frau Fanny Rheinberger, München, Fürstenstrasse 22. Vollständiger Erfolg. Heute Nachmittag Heidelberg, morgen München.
Grüsse. Kurt.
/T.B.1,130/ Sonntag, 6. Februar /1870/.
Als wir, Maly und ich, beim Frühstück sassen, überraschte uns plötzlich Curt. Er kam mit dem Nachtzug ganz starr vor Kälte, aber sehr glücklich, wieder da zu sein. Gestern nachmittag war er auf dem Heidelberger Schloss. Er erzählte sehr nett über die theilweise kleinen Theaterverhältnisse in Mannheim, wie ihm bei der Ankunft ein Bube nachgelaufen sei: "Kaufe Sie mir das Textbuch ab von die siebe Rabe", wie er einem Herrn begegnet, der unter dem Arme den Clavierauszug der 7 Raben getragen, und wie die Zettel überall geklebt seien. Das Theater sei überfüllt gewesen und die Stehle habe meisterhaft gesungen. Besonders schön sei die Schluss-Decoration gewesen. Der Antheil und Andrang des Publikums von Speyer, Strassburg, Worms etc. sei gross gewesen - auch in Heidelberg haben überall die Zettel gehangen.-
Lachner habe ihm gesagt, seine nächste Oper sei ungesehen schon angenommen. -
Heute wurde in der Hofkirche [144] sein Graduale [145] gemacht: Tui sunt coeli. -
Die Stimmen zum Quatuor sind fertig. -
/T.B.1,135/ 11. Februar /1870/.
Curt bekam eine Einladung von der Musikhandlung Schmidt, etwas zu verlegen. Curt und ich denken an die Operette: "Der arme Heinrich" [146]. Auch spukt es in Curt's Kopf, welche Oper er zu machen gedenke - Den Piraten oder die Max Stahl'sche Oper. Ich muss berathen. Ich glaube, er fühlt sich gerade sehr dramatisch angeregt. - Mich würde der Pirat mehr noch anziehen. Vortheilhafter vielleicht "Schön Gertrud". - Viele Recensionen gekommen. Franz Lachner passirte das Unglück, dass seine Wohnung ein Raub der Flammen wurde.
12. /Februar 1870/.
Heute kam endlich ein Brief von Fritzsch. Er war nicht krank, sondern protzte nur gegen Curt, weil dieser auch einem andern Verleger Clavierstücke gegeben hätte. Er schrieb auch desshalb, dass er noch keine Zeit gehabt, das Requiem anzusehen. Ich schickte ihm eine kleine Skizze [147] von Curt's Geburtshäuschen und der Heimathkirche.
Curt arbeitet heute an einer kleinen 4-händigen Ouverture zum "Armen Heinrich". -
Sonntag, 13. Februar /1870/.
Heute nachmittag spielte Curt zum erstenmal mit den Herren Bruckner, Fromm & Vischer sein frisch componirtes Quatuor. Ich hörte mit Wonne zu. Bruckner belebte sich ganz feurig und nahm enormen Antheil. Bei jeder besonders leidenschaftlichen Stelle lachte Curt auf mich herüber. Er spielte selbst prachtvoll Clavier. Wie gross ist der Reiz solcher Stunden! Wenn etwas Geschaffenes zum erstenmale in der beabsichtigten Form und Durchführung ans Leben tritt. Ganz kostbar! Der erste Satz ist wild, der zweite wieder so tief schwärmerisch. Besonders die Einsätze so genial. Ich wünschte, dass bei solchen Gelegenheiten immer die Rechten da wären, die es geistvoll mit Gemüth, Kenntniss ohne Neid würdigen könnten.
Eine wahrhaft edle Freude:
[Hier folgen im Original Noten]
Montag, 14. /Februar 1870/.
Curt gab sein Quatuor zum Copiren und arbeitete selbst an der kleinen 4-händigen Ouverture. Es reute mich, dass ich nicht zu Hause blieb, als er es fertig machte, denn als ich vom Sticklokale [148] im erzbischöflichen Palais heimkam, war Curt schon am Ausschreiben seiner Ouverture.
/T.B.1,136/ Das Zimmer sah so friedlich behaglich in seinem gedämpften Licht aus - Curt arbeitete bei den breiten Blattpflanzen - am andern Fenster stand mein Stickrahmen - mit herzlicher Freude setzte ich mich an die Arbeit, schaute dann später Curt zu, wie er für die kleinen Fingerchen zur "Armen Heinrich"-Operette ein liebenswürdiges Thema niederschrieb.
[Hier folgen im Original Noten]
15. /Februar 1870/.
Curt schrieb an Fritzsch.
Seine Stunden an der Musikschule, dann bei Fräulein Steppes Stunden. Nachmittags auch an der Musikschule und Abends die Ouverture zum armen Heinrich fertig gemacht. -
Er hat erregten Puls. Hübsche Briefe von Holsteins aus Leipzig.
/T.B.1,136/ 17. /Februar 1870/.
Heute copirte ich die kleine Ouverture für den Armen Heinrich und Curt schrieb endlich, endlich seine Rechnung an Perfall. Für die Aufführung der 7 Raben 250 fl. und für Composition zur Unheilbringenden Krone 150 fl. -
Wahrscheinlich dauert es ein Jahr, bis er das Geld bekommt.
18. /Februar 1870/.
Abends Oratorienverein. Herrliche Sachen gesungen. Curt gab sehr viele Stunden und erlebte an einem Schüler, den er nur aus Liebe unterrichtet - an Carl Dürck - eine grosse Gemeinheit. -
19. /Februar 1870/.
Perfall schrieb an Curt, dass er auf seine pekuniären Ansprüche einginge. 73 fl treffen jedoch auf Bonn, da 30 fl Copiaturkosten der Partitur abgerechnet werden, Curt erhielt wieder einen Stoss neues Notenpapier. Auch skizzirte er an "Schön Gertrud" [149].
20. /Februar 1870/.
Heute bekam Curt einen Brief von Fritzsch, worin er sagte, dass er das Quartett sehr wünsche; es ihm desshalb geschickt und verpackt.
21. /Februar 1870/.
Heute war ein lebhafter Geschäftstag. Morgens kam die Einladung einer neuen Verlagshandlung um Manuskripte Curt's.
Er wird das Trio für Clavier, Cello und Violine [150], das er im 1. Satze ein wenig kürzte, schicken und die 4-stimmige Frauenhymne mit Harfenbegleitung [151]. Ich setzte mich gleich darüber und copirte sie vollständig. Ferner kamen aus dem Forberg Verlag die 4 Humoresken, je einzelne Hefte in je 6 Exemplaren. Erstere sind an Professor Kiel in Berlin gewidmet und wurden von mir gleich an denselben verpackt.
Die "Italiener" [152] widmete Curt G. Buonamici in Florenz; auch diese stecken schon reisebereit in Leinewand.
Curt schrieb heute an Kiel, an Buonamici und an Dr. Zapff in Leipzig, der ihm eine Brautscene für den Oratorien- Verein octroirte. - Curt hat einen Riesenschnupfen.
22. /Februar 1870/.
An Buonamici die Clavierstücke geschickt. Porto 1 fI 30 xer. Mit Curt die Passionsmusik [153] durchgenommen. Sie ist in ihrer Einfacheit so erschütternd rührend. Bei dem C dur Schlusse musste ich schluchzen. Ich glaube, es griff ihn selbst an. Ich begiesse sein reines religiöses Gefühl wie eine zarte Pflanze. An seinem Trio machte er manche Kürzung und Anderung, bevor er sie dem Copisten gab.
Er ist ein bischen unwohl.
/T.B.1,137/ 23. /Februar 1870/.
Kurt sehr cattarhig (sic). Wir hörten zusammen Cimarosa's "Heimliche Ehe" im Residenztheater und ergötzten uns sehr daran. Wir empfanden die Feinheiten recht zusammen.
24. /Februar 1870/.
Heute den Armen Heinrich und die Ouverture hiezu an Schmidt in Nürnberg geschickt. 17 xer.
Über den Operntext mit Julius Maier gesprochen; als ich auf die Hofbibliothek ging, um von Cimarosa's Leben Notizen zu machen. Curt fühlt sich catarrhig und unwohl. Er ist aber doch sehr gerne zu Hause.
25. /Februar 1870/.
Aus Dresden Brief bekommen, wie beiliegt [154]. Ich brachte ihn sogleich in das Conservatorium hinauf.
26. /Februar 1870/.
Heute kam Curt's Biographie und Portrait in dem Musikalischen Wochenblatt. Ich schickte einen Bericht hin über Belisar und Matrimonio segreto.
Von Schmidt aus Nürnberg abermals Bedenken wegen Herausgabe des Armen Heinrich. Es muss aber dennoch geschehen. -
27. /Februar 1870/.
Armer Curt, hatte heute einen unmusikalischen Tag. Der Arme liess sich von Prof. Koch einen Zahn ausnehmen und hat jetzt vom Schmerze noch Fieber & eingenommenen Kopf. -
Rezensionen aus Dresden wanderten papierkorbwärts.
28. /Februar 1870/.
Curt noch sehr leidend. Er schrieb an Schmidt, dass das ganze Werk gedruckt werden solle, oder nichts. (Armer Heinrich). Dann einen Dankesbrief an Capellmeister Rietz und einen sehr netten Brief an Fritzsch mit dem ausgesprochenen Wunsch, das Quatuor Rietz zu widmen.
/T.B.1,140/ 1. März 1870.
Schlechter Frühlingsanfang für Curt - er hatte starkes Kopf - weh und noch immer die heftigen Zahnschmerzen dazu. Es ist nicht ermuthigend, sich selbst einen Zahn ausnehmen zu lassen. Er ist wirklich recht, recht übelgelaunt der Arme, dass er seine Ferien so verloren hat. Ich habe heute seine beiden anderen Schüler Hieber & Glötzner auf der Orgel in der Michelskirche gehört - herrlich. -
2. /März 1870/.
Nicht mit Curt, sondern allein mit Maly im Concerte Rubinstein's gewesen, da uns dieser Karten schickte. Es hätte mich mehr interessirt, von ihm irgendeine Composition zu hören, als so viel abgedroschne Virtuosenstücke. Bülow ging mir den ganzen Abend ab; auch hätte er die unruhige Zuhörerschaft und die rauschenden Damenschleppen besser im Bann gehalten.
Curt bekam heute von Geisser die Copie des Trio's. -
Er ist noch immer sehr leidend und hat viele Schmerzen. Dr. Lotzbeck tupfte ihn mit Hölnstein (sic). Der Arme Heinrich ist also nebst Ouverture angekommen und das Honorar schon gezahlt. - Ich ging früher heim wegen dem guten, leidenden Curt. -
3. /März 1870/.
Noch immer leidet Curt sehr am Zahngeschwüre, gab aber dennoch seine Stunden an der Musikschule. Die Hymne für 4 Frauenstimmen und Harfe und das grosse Clavier-Trio an Siegel in Leipzig geschickt und an Franz Bonn für Text- Antheil der 7 Raben 73 fl. 40 xer vom hiesigen Theater und für Antheil des Textes am Armen Heinrich 8 fl. - Ob sich Bonn nicht schämt, letzteres anzunehmen? Ich würde an seiner Stelle darüber erröthen, da er ja ohnehin den Text schon in den Jugendblättern hatte drucken lassen.
Wenn nur der arme Curt wieder wohl würde. Sein Bruder Peter hatte auch wieder eine Lungenentzündung.
4. /März 1870/.
Curt sehr unwohl. Abends ein Prüfungsconcert im Conservatorium. Ich ärgerte mich, weil Glötzner so schön Orgel spielte und es nicht anerkannt wurde.
5. /März 1870/.
Curt so unwohl, dass er fast den ganzen Tag zu Bette lag. Seine Zahnentzündung dauert schon über 8 Tage. Er bekam abscheuliches Gurgelwasser. Ich nähte ihm mit der Maschine neues Bettzeug. Auch lachte er herzlich über meine improvisirten Verse. Das Programm des gestrigen Concertes an Fritzsch geschickt.
6. /März 1870/.
Von Leipzig einen Brief. Da Fritzsch schrieb, je nach den Bedingungen des Quatuors und der H moll-Fuge würde er das Requiem behalten (schlaue Kaufmannsseele), so setzte Curt den Preis obiger Nummern auf 35 Thaler fest. Ich antwortete und mahnte auch wegen der Lieder.
Curt brachte auch den heutigen Tag grösstentheils mit Schmerzen zu Bette zu. Ich pflegte ihn möglichst liebevoll. -
In Basel wurde Curt's Lockung für gemischten Chor und in Leipzig im Tonkünstlerverein sein neues Quatuor [155] aufgeführt.
/T.B.1,143/ 7. /März 1870/.
Noch immer ist Curt krank. Er leidet sehr an seinem armen Kopf. Von Guido Stieler aus Berlin netten Brief, ebenso von Salis-Soglio [156] aus Chur und Franz Bonn, der sich kein bisschen wegen des übersandten Honorars genirt. Ich sass abends allein im Speisezimmer, nachdem ich Curt kalte Umschläge gemacht, und copirte an seiner Passionsmusik. Eine Stelle, die das schwere Athemholen des Heilandes am Kreuz darstellt, rührte mich zu Thränen. -
8. /März 1870/.
Ich sprach dem Arzte meine Besorgnis aus, dass Curt am Ende eine Gehirnkrankheit bekömmt; er hatte vor 8 Jahren einmal eine Gehirnentzündung. Der Doctor wies es nicht zurück. Er gab ihm abends eine Morphium-Injection.
Von Vaduz Nachricht, dass sich bei Peter ein Exsudat gebildet und dass das Kloster Zams, wo Curt's Schwester [157] als "Barmherzige Schwester" lebt, ganz abgebrannt sei.
Mittwoch, 9. /März 1870/.
Curt war durch die Morphium-Injection betäubt, aber er hatte noch den ganzen Tag Kopfweh. Siegel-Linnemann aus Leipzig schickte die 60 fl. Honorar für das Trio und die Hymne mit Harfenbegleitung; bat auch um fernere Übersendung von Manuscripten. -
Buonamici aus Florenz schrieb allerliebst italienisch.
10. /März 1870/.
Es ist noch nicht gut mit Curt. Arge Schmerzen. Er war nur über Mittag ein paar Stündchen auf.
11. /März 1870/.
Immer noch leidend. (Dr.) Lotzbeck gab ihm eine neue Salbe. Ich spielte Curt seine Stücke aus Italien vor. Ich sollte sie doch eigentlich gründlich studiren - ihm zu Liebe.
12. /März 1870/.
/Brief/ von Fritzsch. Er will das Requiem nur autografieren, was ich aber nicht zugeben will. Der Brief enthielt manches Unzarte. Curt ist sehr leidend. Ich spielte ihm heute einige seiner Clavierstücke. Sowie er krank oder abwesend ist, scheinen mir diese Compositionen wie das schmerzlich rührendste Vermächtnis seiner lieben Seele! -
13. /März 1870/.
Curt antwortete Fritzsch, dass er nur unter der Bedingung des "Stechens" sein Requiem herliess - andernfalls bäte er, das Requiem, Quatuor und Clavierphantasie wieder zurückzuschicken. Er ist noch immer sehr leidend und hat soeben ein Schlafpulver genommen, um wenigstens ordentlich ruhen zu können.
Die letzte Nacht war sehr schlecht. Scholz kam, auch Cavallo frug nach. -
16. /März 1870/.
Eben komme ich vom Concert nach Hause. (2. Abonnementskonzert der "Musikalischen Akademie" am 16. März 1870; es wurde u.a. ausgeführt die "Fantasie für Piano, Soli, Chor und Orchester" von L. van Beethoven).
Leider konnte Curt nicht mitgehen - es wäre wegen des letzten Jubelchores von Beethoven der Mühe werth gewesen. Dieser ist so begeisternd. Er hat mir alles andere vorher Gehörte in den Hintergrund gedrängt. Es war wirklich als /wenn/ Beethoven's Geist spräche und riefe: Nun hört auf mit Eurem symphonischen Unsinn von Liszt, mit Eurem styllosen Geschmachte von Max Bruch, nun will ich ein Wort reden und zeigen, was Styl, Form, Kunst und vor allem wahre Begeisterung ist!!! -
Franz Lachner sass neben mir. Der alte Mann war ganz glühend. Er forderte mich auf, ihm einen Operntext aus dem Französischen zu übersetzen. -
17. /März 1870/.
Curt's 31. Geburtstag. Er brachte ihn leidend zu.
Johnie's Telegramm mit der Nachricht, dass am Sonnabend in Wien sein Duo gespielt wird, freute ihn sehr. Armer Curt.
18. /März 1870/.
Beim Frühstück noch im Bette bekam Curt beifolgenden Brief aus Berlin. Er ging heute wieder aus und ass auch zum erstenmale mit mir zu Abend - aber seine Stimmung ist noch immer nicht gut. Der Brief von Kiel [158] that ihm recht wohl. -
19. /März 1870/.
Curt's Zustand hat sich wieder verschlimmert. Die Knochenentzündung ist nun "in floribus". Er ist ganz eingebunden und sagte, es wäre der Rache eines Todfeindes würdig, ihn so zu photographiren mit seinem Hals- und Zahnbund.
Generaldirektor Lachner besuchte ihn und war lange Zeit da. Er theilte Curt seinen Auftrag mit bezüglich seiner allenfallsigen Annahme der Moscheles'schen Stelle [159] in Leipzig. Ich zeigte ihm die Humoreske Métà di vol qua vadono. Lachner las sie aufmerksam durch und sagte, sie sei meisterhaft.
Lachner warb mich dann auch wegen der Übersetzung der Oper Ossian von Lesueur, Curt sagte ihm in meinem Namen zu, was den alten Mann sehr freute. Er sagte, Pauer in London verdiene sich ohne die Concerte täglich 100 Gulden!
Heute wird also das Duo in Wien gespielt! - Glück auf.
Die Besprechung der 7 Raben [160] ist doch unbegreiflich! Wesshalb nahm sie Fritzsch an?
20. /März 1870/.
Von Curt ist nur zu schreiben, dass er gesteigerte Schmerzen hat, nun auch ein Vissicatom hinter dem Ohre, das sehr schmerzt. Beim Essen weint er fast trotz aller Selbstbeherrschung. Er kann höchstens ein bisschen lesen.
Ich erzählte ihm heitere Anekdoten von Lully und Mehul, auch von Gluck. -
22. /März 1870/.
Heute kam Opus 26 [161] aus Leipzig an, die Lieder, welche er Hedwig Pacher widmete.
Curt wurde abermals am Kiefer geschnitten und es floss viel Blut dabei. Cataplasmen und warm Wasser.
Ich übersetzte bereits die erste Scene der Oper für Franz Lachner, die Barden nach Lesueur. Man, kann es allerdings eher ein Umschaffen als Übersetzen nennen. Ich begreife, dass sich Franz Lachner am Stoffe begeistert. Er nennt mich scherzend Hofpoet. Dann, nachdem ich bei ihm war, besuchte ich Frl. Stehle, wo ich mich aber nicht heimisch fühlte.
Ich lasse gelten, dass sie sich würdigt, aber sich in dieser Quantität Weihrauch zu streuen, geht doch über die Marken. Wie sehr leidet die Seele bei solchem Geschäft. Diese Wichtigkeit, diese Lorbeerkränze an den Wänden, den Blumenbouquets in den Ecken, dieses Aufblasen und -pusten vor Dünkel! Schade! Es scheint, auf den Primadonnen ruht kein Segen!
24. /März 1870/.
Curt ist noch nicht wohler. Ich war im Odeon wieder mit Lachner zusammen, um das Concert zu hören. Die Pastorale ging sehr matt, Iwan IV. von Rubinstein fiel vollkommen durch, Pischek war scheusslich und es war nur gut, dass wir uns untereinander so gut unterhielten.
Freitag, 25./März 1870/.
Es ist wirklich zum Weinen, wie sehr der arme Curt leiden muss. Dr. Lotzbeck schnitt ihn heute wieder und es kam viel Eiter heraus.-
Heute wird im Hoftheater Racine's Athalia mit Mendelssohnscher Musik in deutscher Übersetzung gegeben. Ich las nachmittags die Racine'sche Tragödie mit grösstem Wohlgefallen.
26./März 1870/.
Es will gar nicht besser werden mit Curt. Ich glaube im Gegentheil, dass die Hauptqual wegen des Abscesses erst kommen wird. Ich schrieb an Fritzsch eine Rüge, dass er meine Recension kürzte. Warum vor Franz Liszt so bange? Ist er ein Popanz?
27. /März 1870/.
Heute wurde der arme Curt äusserlich tief operirt. Dr. Lotzbeck schnitt ihm tief ein, es strömte der Eiter auf seine Weste. Gegen Abend kam Lotzbeck noch einmal und wechselte Charpie [162]. Curt war den ganzen Tag auf und fühlte sich etwas leichter.
28. /März 1870/.
Curt muss eben still halten! Sonst ist nichts über ihn zu schreiben. Er erzählte mir heute seinen Kampf als Kind, als er die Wahl hatte, den Clavierauszug zu Figaro's Hochzeit oder zur Zauberflöte zu bekommen. Figaro habe etwa 30 Seiten mehr gehabt, aber bei der Zauberflöte sei eben die Ouverture gar so schön gewesen. Da habe er sich doch für die Zauberflöte entschieden.
Ich frug ihn, wie er denn schon als Kind habe wissen können, welche Musik gerade schön und gut sei, da er so einsam stand? Er sagt, sein Gefühl habe ihn darin nie getäuscht.-
Cornelius war da und wollte ihm erzählen, wie es sich mit der Scheidung Bülow's von seiner Frau und deren Heirath mit Wagner zutrüge. Curt brach kurz ab und frug Cornelius: Wie geht es ihrer Familie? Gewiss hat Bülow unter allen Freunden keinen so zarten Bekannten wie Curt.- Gott gebe ihm die volle Gesundheit wieder. Ich machte heute für Lachner den ersten Akt der Barden fertig.
29. /März 1870/.
Curtus vulnera erit sanabilia (sic) .... hoffentlich. Aber noch ist immer das langsame Dahinsiechen. Manchmal durchzuckt mich schlimme Ahnung......Panic? Es wäre schrecklich.
/T.B. 1,150/
Freitag,1. /April 1870/.
Der arme Curt brachte wieder den Tag in geduldiger, melancholischer Ergebung zu. Der Doctor sagte nur, es würde wohl noch 8 - 10 Tage dauern, da noch ein Knochenstückchen herauseitern muss.
Es ist recht hart. Es ist jetzt, als stünde alles still, sogar die Correspondenzen und Fritzsch, der noch immer nicht schrieb, ob er das Requiem stechen will oder nicht. Sahr besuchte Curt.-
Das Qrarorienvereins - Concert wird nach Ostern verlegt werden. Vielleicht ist es besser. Wenn nur Curt mit mir am Passionssonntage in das Abonnements - Concert gehen kännte!
2. April 1870
Wahrscheinlich wird heute Abend in Wien Curt's Duo gespielt.
In einem Laden erzählten sie mir schreckliche Dinge über Curts Leiden. Knochenfrass - keinesfalls vor einem halben Jahr arbeitsfähig! Gott gebe dass die falschen Nachrichtenträger nicht zu wahren Propheten werden. Curt hat gar kein Interesse ausser dem, wieder gesund zu werden.-
Gott gebe es!
3. April /1870/.
Armer Curt, hat noch immer Schmerzen und sehnt sich nach Luft und Gesundheit.
8. /April 1870/.
Heute in der Ludwigskirche Abends 1/2 6 Uhr das Stabat mater [163] von Rheinberger aufgeführt. Hieber spielte Orgel, Dr. Barraga dirigirte, Student Schlosser sang Tenor, Rüber Bass und ich Sopran. Es ging sehr schön und ich sang unendlich gerne.-
Curt ist noch immer sehr leidend.
Ostersonntag, 17./April 1870/.
Die Lieder des Gedächtnisses sind angekommen und die Druckbogen zur 4-händigen "Unheilbringenden Krone".
Curt's Wunde am Kiefer eitert noch stark. Dr. Lotzbeck sagt, man müsse Kurt sehr subtil behandeln. Er will nach Spanien reisen - so brauchen wir einen anderen Arzt: Dr. Posselt ? -
18./April 1870/.
Dr. Posselt war schon da. Vor der Hand spricht er nur nach, was Lotzbeck sagt. Dieser reist übermorgen nach Spanien. -
Die kleine Operette sieht ganz reizend aus. Druckbogen vom "Armen Heinrich" /eingetroffen/. Ich hoffe, dass sie Schmidt gut verkauft. Es machte mich glücklich, als Curt heute wieder Clavier zu spielen anfing. Aber er ist noch immer sehr leidend.
21./April 1870/.
Mein armer, armer Curt noch sehr leidend. Dr. Lotzbeck ist nach Spanien gereist und übergab ihn an Dr. Posselt, der noch von Wochen und Wochen spricht.
Nachricht aus Wien, dass Curt's Duo in der Eppstein'schen Soirée mit grossem Beifall gespielt wurde.
Der arme Kurt ist recht angegriffen. Das Leiden dehnt sich unsäglich. Wenn am Ende Lotzbeck ihn doch unrecht behandelte! Ich darf gar nicht daran denken! -
23./April 1870/.
Heute geht es wieder schlimm. Es bildet sich ein dicker Sack mit Eiter und wahrscheinlich muss morgen wieder geschnitten werden. Ich leide qualvolle Angst! 0 Gott, sei uns doch gnädig.
24./April 1870/.
Nun ist auch Dr. Posselt krank! Wir leiden!
26./April 1870/.
Heute hat Curt eine furchtbar schmerzliche Operation durchgemacht Professor Nussbaum [164] brach ihm, ohne Chloroform, die kranken Kiefernknochen aus. -
Eine Stunde später spielte sich Curt die Wasserfee auf dem Clavier. So wunderbar süss spielte er es. Er leidet aber noch! Gott sei ihm gnädig. Curt benimmt sich wie ein heiliger Mann!
28./April 1870/.
Prof. Nussbaum erklärte, Curt sei unverantwortlich schlecht durch Lotzbeck behandelt worden. Es sei nun eine gründliche Operation dringend geboten! So kam er mit Bratsch, um, wie er sagte, alle kranken Theile abzusägen und abzuhobeln.
In welcher Todesangst erwarteten wir den Wagen! Hatte doch Lotzbeck gesagt, energisches Eingreifen hielte Curt nicht aus. Er wurde chlorophormirt [165] - ich hatte Dusmann holen lassen und lag bei ihm auf den Knien - als ich wieder ins Zimmer kam, war Curt noch betäubt, weinte, reichte mir die Hand und sagte jammernd aber liebevoll: Ja, ja! So traurig. Nussbaum wickelte das ausgelöste Objekt in sein blutiges Taschentuch, mir Curts klaffende Halswunde (er hatte auch eine Drüse ausgeschnitten) zum Verbande überlassend.
Allmählich schwoll die Mundhöhle und Backe ganz dick auf, er litt noch grässliche Qualen; aber nach vierzehn Tagen [166], gerade wie Nussbaum mit aller Bestimmtheit prophezeit hatte, ging Curt zum erstenmale wieder aus - allerdings wankend. Das waren Schmerzen! Grosser Gott, auf unsern Knien danken wir Dir für Deine wunderbaren Fügungen, dass durch Reise & Krankheit die falschen Ärzte entfernt, und du den Doppelretter Nussbaum sandtest! -
Mit dieser Eintragung endet das erste Tagebuch der Franziska Rheinberger.