Brief von Josef G. Rheinberger an David Rheinberger
Juli 1868, München
Mein lieber David!
Jetzt bin ich erst so kurze Zeit von zu Hause fort, und schon in doppelter Briefschuld gegen Dich. Ein bisschen davon will ich heute schon abtragen, obschon ich mich sonst mit dergleichen nicht sehr eile - wie Du weisst! Es war mir sehr leid von den grossartigen Rheinverheerungen [1] zu hören und doch wieder lieb, von Dir Nachricht darüber zu bekommen, da Zeitungsnachrichten eben gar so unbestimmt lauten. Allem nach scheint der Hauptschaden die Schweizerseite zu treffen, - (Du schriebst nemlich darüber nicht genau) vielleicht hatte man damals selbst noch keine Übersicht des Ganzen. Jetzt hatten wir die heimischen Fluren in so schöner Erinnerung, und nun ist's schon vorbei! Traurig! Wie unser Churer Aufenthalt ausgefallen, wisst Ihr wohl bereits durch Fanny; nun bin ich von Morgen an wieder im Geschirr. Meine sieben Rabensöhne befinden sich endlich im Hoftheater und sind angenommen, doch kann es Februar bis zur Aufführung werden, denn so eine Opera ist ein gar "gefährlich und langwürig Ding"- wie Abraham a Santa Clara sagen würde.- Bülow, den ich heute darüber gesprochen, verspricht grossen Erfolg, ich (für meine Person) würde bei einem dramatischen Erstlingswerk schon mit einem mässigen Erfolg zufrieden sein. Wie steht es mit Peter? Geht er nach Gries (bei Botzen) oder nicht? Wir haben bisher noch nichts darüber gehört.
An Peter's - wie an Alle, die lieben Eltern, Maly und Tony die herzlichsten Grüsse, vor Allem aber an Dich von Deinem Bruder Josef Rheinberger.
München, 30.9.68 Abends
So eben schiebt mir Kurt diess Blatt herüber mit dem Wunsche, ich möge einige Zeilen an Dich, lieber David, beifügen. Gerne thue ich es und fange gleich damit an, Dir für Deine zartfühlende Aufmerksamkeit zu danken, dass Du uns Nachricht gabst über die Überschwemmung. Hoffentlich haben sich die Fluthen wieder gesenkt. Es muss eine arge Aufregung gewesen sein. Ich glaube in Gedanken den lieben Vater zu sehen, wie er mit dem Regenschirm unter dem Arm rheinwärts schreitet und sich die Verheerungen kopfschüttelnd betrachtet! -
Bei uns sieht es indessen friedlicher aus. Kurt hat jetzt seine grosse Ouverture fertig componirt und ich habe ein neues Bild zur Hälfte fertig. Es stellt die Madonna mit dem Kinde nach Holbein vor und wird nach einer ganz kleinen Photographie lebensgross in Kreide ausgeführt. -
Nebenbei gibt es Körbe voll Flickerei, die ich grossentheils selbst überwinden will. So viel mir Kurt sagte, sprach sich heute Bülow überaus günstig über die Oper aus und verspricht sich sehr grossen Erfolg. Welche Freude wäre es auch für Euch, wenn Ihr ein grosses, gutes Werk von Eurem Josef hören könntet. Maly wird sich freuen, dass heute das Stabat Mater im Drucke von Leipzig zu uns kam. Auch das Duo [2] ist fertig und wird in Leipzig in der nächsten Conservatoriumssoirée vorgetragen. Bülow spielt es auch mit grossem Wohlgefallen. Ihr seht, dass Kurt nicht faul ist, wenn er auch kurze Briefe schreibt. Moscheles aus Leipzig [3] schrieb an Kurt, dass seit langer Zeit keine neue Compositionserscheinung ihm einen so bedeutenden Eindruck machte, als dieses Duo. Nun muss der Clavier-Auszug der 7 Raben gemacht werden und meine angebotene Mithülfe wurde vom Compositeur auch gnädigst angenommen. Nachdem ich Dir nun eine kleine Skizze unseres Lebens und Arbeitens gegeben, trage ich Dir noch herzliche Grusse an Maly auf, die hoffentlich meinen gestrigen Brief bekam, so wie auch an die lieben Eltern und auch besonders an Tony. Bald schicke ich das Buch. Kurt grüsst noch einmal. Jetzt gebe ich ihm ital. Stunde. Vielleicht mag er auch heute nicht mehr. Gott mit Euch und uns.
Er mag wirklich nicht italienisch lernen; heute ist er faul.
Deine Schwägerin Fanny.
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[1] Das Rheinhochwasser des Jahres 1868 war das schlimmste des 19. Jahrhunderts. Während Liechtenstein zwar glimpflich davonkam, wurden im st. gallischen Rheintal vierzig Menschen ein Opfer der Fluten.
[2] Duo in a-moll für zwei Klaviere, op. 15, komponiert Anfang Januar 1868
[3] Ignanz Moscheles (1794-1870), Pianist. Er wurde von Mendelssohn 1846 an das Konservatorium in Leipzig berufen, wo er bis zu seinem Tode wirkte.