Brief an J.G. Rheinberger
Hamb. d. 11. Septber 1866.
Werther Herr Professor!
Ihren Brief habe ich erhalten und bin mit demselben sofort zu Dr. Garvens gegangen, ihm den Inhalt mitzutheilen. In Betreff der Aufführung Ihres Requiem's hier, ist jedoch der Uebelstand, dass bereits ein solches (das von Mozart) von dem Garvensschen Verein einstudirt wird, und Dr. Carvens nicht gerne 2 Werke derselben Gattung in einem Winter aufführt. Ihm wäre das stabat mater oder auch sonst irgend eine kirchliche (oder weltliche) Composition von Ihnen lieber. Dass Sie Ihr stabat mater den süddeutsch kirchlichen Verhältnissen gemäss komponirt haben, kann doch gewiss kein Hinderniss sein, es hier im protestantischen Lande aufzuführen; ich habe mit Maragen und Garvens darüber verhandelt und sind die vollkommen gleicher Meinung mit mir. Hier sind ja so viele stabat mater aufgeführt, z.B. im vorigen Winter die von Pergolesi und Astorga sowie noch früher das von Rossini, alle diese im Concertsaale, also warum sollte das Ihrige sich nicht auch zur Aufführung ohne die kirchliche Handlung eignen? Das Requiem würde Garvens schon gem im nächsten Winter singen lassen, doch für diesen wünscht er gem ein anderes Werk. Sie haben doch zweifelsohne keinen Mangel an h.ligen Sachen, auch eine Messe oder Cantate, Alles wäre willkommen. Ihr Werk sollte dann schon im 2. Concerte zur Aufführung kommen, das erste, in welchem mein Te Deum zur Aufführung kommt, findet Ende October oder Anfang November statt, das 2. wahrscheinlich Mitte Januar. Doch möchte ich Sie bitten, mit dem Einsenden Ihres Werkes nicht zu zögern, Garvens studiert gerne im Voraus für sich und sieht sich auch früh nach Solisten für das betreffende Werk um. Also schicken Sie nur sofort irgend eines Ihrer Werke, ich muss Ihnen auch gestehen, ich möchte es selbst gem kennen lernen und da ich am 19. d. Monats von hier fortreise um nach kurzem Aufenthalt in Leipzig nach Ansbach zu gehen, wo ich die dortige Capellmeisterstelle beim Theater erhalten habe, so bleibt für mich allzuviel Zeit hier nicht übrig. Jedenfalls möchte ich Sie um eine Ihrer sofortigen Zeilen ersuchen, welches Werk Sie hierher schicken würden, es wird wie schon gesagt Jedes genehm sein ausser Requiem und Te Deum und würde auch Jedes mit allen Sätzen aufgeführt werden. Es thut mir recht leid, dass es mit dem Requiem nicht geht, weil es eben Ihr Wunsch ist, doch wird es im nächsten Jahr kein Hinderniss dafür geben.
Ich komme also wieder nach Baiern zurück, wie Sie oben schon ersehen haben, mein Engagement geht vom 1. Oct. bis Ende März und habe ich dann die Absicht mal wieder München zu besuchen und meine liebgewordenen Bekannten dort aufzusuchen.
Leben Sie wohl für heute, lieber Herr Professor und schreiben Sie wo möglichst umgehend.
Mit freundlichen Grüssen,
Ihr Ferd. Thierrot.
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