J.G. Rheinberger berichtet seinem Bruder David mit, dass er seinen Vertrag mit dem Theater um ein Jahr verlängerte.


Brief an seinen Bruder David
21. Januar 1866, München 

Lieber Bruder Goliath!

Dein letzter liebenswürdiger Brief (fast eben so lang als sein Verfasser) hätte mich vielleicht erfreut, wenn er überhaupt einen Inhalt gehabt hätte; als Lebenszeichen mag er gelten, wie z.B.ein Räuspern zwar kein Deklamatorium, aber doch ein mit dem Stimmorgan hervorgebrachter Laut ist - oder: Dein soit-disant Brief war so wenig ein ehrenhafter Schreibebrief, (merke Dir diess dictum!) als c... non est pictum. Eben so wenig war Dein Brief ein Kunstwerk - 'denn ein Kunstwerk muss hawa zom wenigsten an Inhalt, ond an Schreibebrief, wo nix hat, as eppas an Überschrift ond eppas an Unterschrift ist wie an Ölgamaal worin herausgenommen ist das Bild ond mangelt die Rahm' sagt Salomon Herschle der Kunstjud! Also bilde Dir ja nichts ein auf jenes stylistische Machwerk und thue am Aschermittwoch Busse indem Du Streusand und Tinte über Dein sündiges Haupt giessest und und über die Zergänglichkeit des Irdischen katzenjammerst. Dann will ich sagen: absolvete, contrite homine!

Meinen Theatercontract habe ich zu Neujahr nur auf ein Jahr erneuert, um auf alle Fälle ungebunden zu sein; das Theater gibt mir für die 600 fl, die ich von dort beziehe, verhältnissmässig nicht sehr viel zu thun, und ist mein Leben im Ganzen ein behagliches; es mag überhaupt viele melancholischere Junggesellen geben, als ich bin, ja, wenn ich oft Abends im warmen Zimmer sitze und meine Theemaschine vor mir auf dem Tische brodelt, so fühle ich fast eine Art irdischer Glückseligkeit und bin mild gestimmt gegen die Hinfälligkeit dieses Jammerthales.

Wie geht es zu Hause? Den lieben Eltern, welche ich herzlichst grüsse, übersende ich mein Bildchen mit der Bitte, sich beim nächsten Besuch in Chur od. Feldkirch doch auch einmal photographiren zu lassen; es würde mir dies unendliche Freude machen. - Wie geht es auf dem Schloss, so frage ich voll onkelichen Hochgefühls für Hermine und Olga - Peter und Theres meine herzlichsten Grüsse, wie auch Toni und Lisa. Wir haben einen milden Winter, aber heftige und bosartige Typhusepidemie und schlechtes Bier, was (letzteres nämlich) den biedern Münchner nicht wenig verstimmt. Mali ist gesund und lustig so wie auch Dein liebenswürdiger

Bruder Jussuff.

M. d. 21/1 66.

Lieber Bruder Goliath!

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