J.G. Rheinberger schildert seinem Bruder David in launiger Weise seinen Tagesablauf (die Regel, aber nicht die Ausnahme). Er erwähnt die in München auftretende Cholera und das einzige Heilmittel - den Rotwein.


Brief an seinen Bruder David
16. Januar 1865, München


Lieber Bruder!
Da ich gerade ein freies Stündchen habe, im Ofen ein lustiges Feuer prasselt, die Schreibmaterialien in der Nähe sind (und mir eben keine musikalischen Gedanken einfallen) so ist es ganz natürlich, dass ich auf den eben nicht sündhaften Gedanken gerathe, Dir einige Zeilen zu widmen, in der frommen Hoffnung, dass dieselben Dir zu einiger geistigen, wenn auch nicht geistreichen Ergötzung auf Deiner mühsamen Pilgerschaft in diesem irdenen und irdischen Jammerthale (auch Deutschland genannt, von einigen Phantasten wenigstens) oho - ist das ein langer Satz - wo bin ich gleich geblieben - ja - irdischen Jammerthale dienen mögen. - Doch entbehrt ihr in Fad=Vz nicht gänzlich des leiblichen Trostes, da ihr einen billigen und guten Rothwein besitzt, wodurch es auch nicht an Trost, Kurzweil und Schutz gegen Cholera gebricht. Der letztere wüste und unheimliche Gast zeigt sich nun auch hier, wenn auch erst in sporadischen Fällen, so doch eingestanden vom offiziellen Blatte. In Folge dessen wird viel Rothwein konsumirt; auch Dein theurer Bruder findet dadurch sein tägliches Mittagessen um wenigstens 18 xer vertheuert; im Übrigen sprechen die Leute nicht gerne davon, und Jedermann gibt sich Mühe, keine Angst zu zeigen. Ihr zu Hause braucht unsertwegen euch gar nicht zu beunruhigen, so wenig als zu jeder andern Zeit. Ich für meine Person bin so wenig ängstlich, als wenn ich 'hinterm Kulma' wäre, ihr braucht es also auch nicht zu sein. Der Winter ist nun schon eingezogen - wenn auch vorerst ohne Schnee, so doch mit Eis und Frost und ich habe bereits eine gehörige Portion Holz zu Asche verwandelt. Mein Wohnzimmer ist sehr gross und hoch - wird also den Winter durch viel Holz fressen.
Wie geht es euch allen zu Hause? Sitzt der Meister Toni fleissig auf seiner grimmigen Burg Malepartus, hinter sieben Riegel und Schlössern handtierend mit Kleister und Pappe? Sitzt Bruder David fleissig seine täglichen acht Stunden auf dem Hämorrhoidenmarterstuhle in der Kanzlei, schneuzend und federschneidend? Sitzt der Kriegsoberste Petrus fleissig an seinem Arbeitstisch in dem alten Raubschloss, sinnirend und spekulirend, wie das plus seiner Familie mit einem plus von Habe in Einklang zu bringen sei? Das Alles stelle ich mir wenigstens so vor und wird auch nicht so weit von der Wirklichkeit abweichen.
Über mein hiesiges Leben habe ich nicht viel zu berichten. Früh 7 Uhr stehe ich auf, gehe zum Frühstück und lese ein paar Zeitungen; von 9 - 1 bin ich theils im Theater theils mit Schülern beschäftigt - dann gebe ich mich mit dem herrlichen und lieblichen Geschäfte des Speisens ab. Von 1/2 3 - 4 Uhr halte ich Sprech- und Besuchsstunde - von 4 - 6 gewöhnlich Schüler, dann gehe ich in's Theater, oder wenn nicht Theaterabend, zum Nachtessen und um 1/2 8 Uhr schon nach Hause, wo ich dann arbeite oder lese bis zur Schlafenszeit.
So jetzt weisst Du die Regel, wenn auch nicht die Ausnahmen. Ich muss eilen zu schliessen, da ein Schüler kommt.
Mit den besten Grüssen an die lieben Eltern, Lise Toni und Peter mit Familie.
Dein alter Mitbruder
J.G Rheinberger.
M. d. 16.1.65.

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