Jos. Rheinberger erzählt seinem Bruder David von den zahlreichen Festen in München, aber und dass es halt immer am lumpigen Geld fehle, wofür man sich auch noch schämen solle.


Brief an Bruder David
Begonnen am 12. Oktober 1863, fertig gestellt am 15. Oktober 1863, München

M. 12.10.63

Lieber Mitmensch und Bruder!

Ich schreibe Dir heute in festlicher Stimmung - nicht als ob ich gerade dem hl. Maximilian zu Ehren ein besonders festlich Gewand angezogen hätte, nein! wir Münchner kommen vor lauter Feste zu gar keinem Werktag mehr - erst das Musikfest, dann das Oktoberfest, dann das Königsfest, dann das Leipzigerfest - von aussen betrachtet möchte man glauben, das goldene Zeitalter sei hereingebrochen, nur von innen sehen die Geldbeutel traurig aus - die guten Münchner! Die kümmern sich nicht halb so viel um die Politik, als wie der Vaduzer Lehrverein und tanzen und singen, trinken und jubiliren von früh bis spät - vielleicht dem Musik=Oktober=Königs= oder Leipzigerfest zu Ehren?

O nein! o nein!

Die Ursach muss noch grösser sein!!

Warum denn? Nach langer Schlechtbierzeit schenkt das Hofbräuhaus wieder das beste Neue! O die Kinder! Lieber David, wenn Du in München wärest mit 2 - 3 fl täglich, so würdest Du nichts spüren von Podagra Hämmorhoiden, Zipperlein, Magenweh und Kindbettfieber und wie die schönen Gegenden alle heissen,

würdest froh und munter sch----lafen gehen
und Dir das Leben recht besehn etc'.

Über das Musikfest will ich Dir nicht viel berichten, ich wüsste nicht, wo anfangen. Sehr gefiel mir das Pschorrkellerfest. Denke Dir eine riesige Halle, feenhaft beleuchtet durch hunderte von farbigen Ballons, dekorirt mit Tannreisern, dass man glaubte in einem Walde zu sein, dazwischen das blendende Weiss der gedeckten Tische, ungeheure Pyramiden von Blumentöpfen - zur Bedienung 12 gigantische Brauknechte in rothen altdeutschen Wämsern u. ebensoviele in silberne Mieder gekleidete Mädchen, die ungezwungenste Heiterkeit, der herrlichste Staff und - kannibalische Räusche - von letztern sah ich nicht viel, da ich nicht ganz wohl war und mich schon früh entfernte. Viele von den Fremden sollen gleich aussen unter den Tischen übernachtet haben, da es vom Pschorrkeller eine 1/2 Stunde zur Stadt ist.

An interessanten musik. Bekanntschaften fehlte es nicht. Meine Oper liegt noch bei Lachner. Wenn nicht alle Zeichen trügen, bringe ich sie hier zur Aufführung. Von der Leipziger Künstler-Zeitung erhielt ich unvermuthet die Aufforderung, ihr Einiges daraus zur Veröffentlichung zu überlassen. Ich weiss noch nicht, ob ich darauf eingehen soll.

den 15.10.63

Da heute wieder ein Festtag (Geburtstag der Königin) ist, so nehme ich den Brief wieder auf, wo ich ihn gelassen, nämlich - im Kasten. Mit was für Neuigkeiten soll ich Dich traktiren? 'Ein politisch Lied, ein garstig Lied' - doch gibt die Feier des 18. October wieder genug Anlass dazu. Wenn nur einmal die guten Deutschen mit ihren Festen aufhören - denn diese bringen eben am meisten das böse Blut in Aufregung.

Apropos! Hr. Pf. Gmelch v. Balzers war während des Musikfestes hier - ich konnte ihn (obschon ich ihn aufsuchte) nicht treffen.

Mir ist heuer der Suser ausgefallen! Hoffentlich wirst Du ihm zu Ehren den 'Staatshämorridarius' vertagt haben, oder herrscht bei Dir noch 'Dürre Zeit'? Tröste Dich mit mir - ich erwarte auch sehnlichst das Ende des Weinmonats, das lumpige, elende, erbärmliche Geld! wie das 'Nichtvorhandensein' desselben einem immer so quer kommt! Da fragt Dieser oder Jener: 'Ja, warum thun Sie nicht das - warum gehen Sie nicht dorthin etc'? Bescheiden antwortet man: 'O, ich habe nicht Lust, nicht Zeit'. Lüge! kein Geld habe ich! Und dann sollte man sich dessen noch schämen - ist das nicht eine erbärmliche Welt?

Verlassen wir dieses unharmonische Thema. Schreibe mir doch bald - es soll Dir an Antwort nicht fehlen. Lisi lass ich grüssen, ich habe seinen Brief empfangen. Die lieben Eltern lasse ich ebenfalls herzlichst grüssen; Toni, Peter u. Schwägerin ebenfalls.

Nun, alter Schwede lebe wohl und schreibe bald
Deinem Bruder
G. J. Rheinberger.

M. d. 15.10.63.

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