David Rheinberger schreibt seinem Bruder David in launiger Stimmung in einem historisierenden Kanzleistil in drei "Kapiteln". Er schickt ihm ein Stück “ostindisches Pflanzenpapier,” mit dem der beim Rasieren so ungschickte David sich das Blut trocknen könne.


München, 25. Mai 1860
Brief an Bruder David Rheinberger

Unsern Gruss und Segen ehvor!
Viellieber und ehrwürdiger, namhafter Bruder!

Die epistolam, mit welchem Ew. Liebden mich den 24. = m. Maji gar männiglich erfreuet, beeile ich allsogleich zu respondiren, dieweilen die Reichspost von Munichen durch die schwäbische provincia hindurch gen Rhätia monatlich nur zween male fahren thut: ich ansonst wiederumb 14 Tage auf den Abgang benamseter Reichspost warten müsste. Vor Allem schicke ich Dir, viel  lieber Bruder! ein Stückgen Papier, zubenamset: Ostindisches Pflanzenpapier. Damit Du es nicht unrecht gebrauchest, will ich Dir nur bemerken, dass dasselbe pappen bleibt. Diess zum Verständniss anvorhero geschickt. Ich babe nämlich vernomben, dass Ew. Liebden im Baartscheren gar männiglich ungeschickt seien und oft in die Backen schnitten, anwodurch gar viel unschuldig Blut gefleusset, auch dero Antlitz sodann durch grosse Zundelpflaster aufs höchlichste entstellet sey - diesem grossen Gebresten entgegenzusteuern halte ich für Pflicht, sintemal Ihr mein leiblicher Bruder seid; derowegen sende ich ein Stückgen Ost-Indischen- Pflanzen-Papieres, welches an Stelle des hässlichen Zundels auf durch ungeschicktes Baartscheren (barbieren) resp. empfahende Blessuren angeklebet wird.

Sollte Dir die gesendete Probe erspreussliche Servituten thun, so bin ich gewillt Dir einige Ellen davon zu übermachen, damit Ew. Liebden zeitlebens diese güldenen Pflästergen gebrauchen mögen. Hiemit wäre nun dieses Capitel abgethan.

Kapitel secundum.

Die höchst ergötzlichen und wahrhaftigen Historiae, welche Ihr, viellieber Bruder! mir gar treulich erzählet, haben mein Ohr gar trefflich geletzt und mein Herz ergetzt, dieweilen darinnen die Sage ist von wahrhaftigen, lebendigen personis, sowohl traurig, als auch lustiglich erzählet in der modernen manière. Mitte Julyi hoffe ich gen Vaduz zu fahren. Ich habe mir die Kosten der Reise pro zwo personen zusammenaddiret, thut 50 fl Reichswährung, und der im m. Octobris dräuende Hauszins mit 66 fl, thut zusammen 116 Gulden in unbeschnittener Münz! Diese Invention hat mein Herz mit grosser Traurigkeit erfüllet und mich in bitterer Bangigkeit wach erhalten, diewellen die Geldspeculationes immer meine Achillesferse gewesen sindt. Mit dieser herzbrechenden Meditatio schliesst das zwote Kapitel.

Finis secund. cap. den 25 m. Mayi 1860.

Kapitel III. 

Mein neues Decretum zu 400 fl empfahete ich demnach am nämblichen Tage, als ich mein letztlich Sendschreiben nach Hause erliess; sintemal meine persönliche Recommendatio bei seiner Excellenz Hrn. Ministro gar wohl muss gewürket han. 

Du wirst, viellieber Bruder und getreuer! mit wohlwollender Contenance allsogleich bemerket han, mit welch erstaunlicher elegantia ich mich in diesem gleich einem zärtlichen Täubgen gar säuberlich und anmuthend flatternden Kanzleistylum zu exprimiren weiss! Non est? /unleserlich/ Mein Schwestergen, so sich Amalia nennet, lässt ihren sittiglichsten Gruss gehorsambst an Alle Geschwister vermelden.

Lasse dem getreuen Bruder Antonius, dem buchbekleidungskunstverständigen und wohlbestallten diese Epistul lesen, auf dass er sich ergetze an den neuen Mähren, so hier aus der Fremde nach Hause gelanget; auch dem Petrus, dem Streitbaren [1], vermelde ein gruss-liches Complimentum.

Diese drei Capiteln thue ich Ew. Liebden! kund, und nenne mich anitzo, sowohl fruh als spät, bei Regen und lieblichem Sonnenschein, bei Strauchen und Katarrh, bei Tag und bei Nacht, sowohl im communen als im fürnehmberen Schaltjahr in saecula saeculorum

Euern vieltreuen Bruder

(L. S.)

Josephus Gabrielis Rhenusmontanus
wohlbestallten Professorem musicae, resp. artis
contrapunctis compositionisque.

Datum in Munichen in Bavarien anno Christi natum den 1860 = 25ten Mayi am St. Urbanstag.

 

 

 

 

 

 

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[1] ... Petrus, dem Streitbaren = Rh's Bruder Peter war Offizier im Liechtensteinischen Militärkontingent.