Josef Gabriel Rheinberger berichtet seinen Eltern, dass es ihm und seiner Schwester Mali gut geht. Mali führt den Haushalt, ist aber noch keine gute Köchin.


Brief an die Eltern
9. Dezember 18
59, München

Theuerste Eltern! [1]
Längst schon war es mein Wunsch, Ihnen zu schreiben, nur wollte ich noch einen Brief von Ihrer Hand erwarten; da dieser aber ausgeblieben und nur Mali zwei Briefchen von Hause erhielt, benütze ich nun die erste freie Stunde, Ihnen Nachricht von uns zu geben. Mali ist wohl und munter, doch wollte ihm bis vor 8 Tagen das Essen nicht recht schmecken. Doch habe ich es in einigen Familien eingeführt, auch hat es bereits eine Freundin. Besonders Prof. Maier [2] und Frau nehmen sich seiner sehr freundlich an. Im Übrigen bemerkte ich sehr wohl, dass Lisi [3] weit besser zur Haushaltung taugte, da Mali etwas launisch, langsam und hie und da unbeholfen ist. Im Ganzen ist unsere Haushaltung gemütlich und friedlich, ausgenommen, da ich manchmal den 'Peter' spielen (über das Essen schimpfen) muss. So brachte Mali letzthin einen Pudding auf den Tisch, welcher kaum zu erkennen war; auf meine Frage, ob das Ding auch Beiner [4] habe, hätte Mali bald 'grerat' (geweint). Doch bessert sich seine Kocherei.
Schade nur, dass ich so wenig zu Hause sein kann. Mali zeigt sich gleichgültig und interesselos an Allem, was es sieht, worüber ich oft ärgerlich bin - es wälscht sein Vaduzer Kauderwälsch unbekümmert fort, was ich ihm auch sage; im Ganzen genommen bin ich durchaus nicht unzufrieden mit ihm. Vor allem muss ich bitten, dem Mali es nie merken zu lassen, wenn ich einen Tadel über es nach Hause wissen liess, indem sonst aller gute Wille seinerseits beim Kuckuck wäre.
Nach dem, was mir Mali aus seinen erhaltenen Briefen erzählte, muss die Schillerfeier in Vaduz grossartig gewesen sein. David's [5] Kapuzinerpredigt aus Wallenstein möchte ich gehört haben.

Der Triesnerbergerischpolltechnische Schädler lässt den Peter [6] 'fründschäftli' grüssen, er kommt aber selten, was besonders dem Mali lieb ist. Mein Leben ist ziemlich einförmig geworden vor lauter Schulmeisterei; doch hoffe ich beim nächsten Oratorienvereinsconcert eine kleinere Composition zur Aufführung zu bringen.
Im Ganzen genommen finde ich, dass das Leben zu Zwei doch theurer kommt als das Einsiedlerleben, doch es wird sich schon machen! Von Maier und Schafhäutl viele Grüsse.

Im April werde ich eine neue Wohnung in der Blumenstrasse No. 16/1 beziehen; sie kostet 124 fl und ist kleiner, aber angenehmer als meine jetzige.
Sonst weiss ich nichts Neues. Hoffentlich befindet sich Alles zu Hause wohl. David oder Toni sollen mir bald schreiben. Nun ist es 1/2 3 Uhr und Zeit, wieder ins 'Gschäft' zu gehen. Die herzlichsten Grüsse an Alle, vorzüglich an Sie

Theuerste Eltern!
von Ihrem Sohne

G. J. Rheinberger.

München, den 9.12.59

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[1] Rheinberger wohnte damals in München, Müllerstrasse 35, II
[2] Julius Joseph Maier, Rh's Kontrapunktlehrer
[3] Lisi = Rh's Schwerster Elisabeth
[4] "Beiner" = Beine (mundartlich)
[5] David = Rh's Bruder
[6] Peter = Rh's Bruder