Schafhäutl erzählt seinem Freund Josef G. Rheinberger von der Reise von Immenstadt nach München und der Aufführung Mozarts in der St. Michaelshofkirche. Schafhäutl beschreibt Voglers Wirken und die Biografie von Mozart.
Brief Schafhäutl an Josef G. Rheinberger
München, den 22. Juli 1853 Mein liebster Herzensjunge! Dein Brief hat mir grosse Freude gemacht. Ich sah aus ihm, dass Du wohlerhalten bei Deinen Eltern angelangt bist, ich sah, wenn auch nicht Dich selbst, doch Deine Handschrift, ich erhielt zugleich einen Brief von Deinem Vater, der sich freut, dass wir gute Freunde geworden sind. Du hast mir Deine Reiseschicksale von Immenstadt nach Vaduz erzählt - ich will Dir nun die meinigen von Immenstadt nach München zurück erzählen. Sie sind viel einfacher gewesen, als die Deinigen; denn ich kam nicht aus dem Wagen, ausgenommen zu Augsburg, wo der Train gewechselt wurde. Ich fuhr von Immenstadt mit mehreren Fremden in demselben Wagen, in welchem wir zu Immenstadt angelangt; aber ich war dennoch allein und nichts weniger als gut gelaunt. Die Fremden beriethen sich, was in drei Tagen alles in München zu sehen wäre. Ein Schwabe, der einen Verwandten in München hatte und schon öfters in München gewesen war, gab den Mitreisenden die wohlgemeintesten Rathschläge, freilich oft verkehrte, die ich leicht hätte berichtigen können, aber ich war, wie gesagt, viel zu verstimmt dazu, drückte mich in eine Ecke des Wagens, schlief bald ganz, bald halb, streckte den Kopf zum Wagen hinaus, wenn meine alten, lieben gigantischen Tyroler und Vorarl Berge ihr Haupt wieder über die nahe liegenden grünen Hügel emporhoben, und kam so in Augsburg an, wo ich nach einer halben Stunde mit demselben Zuge nach München abfuhr, welcher den König von Sachsen nebst Gefolge etc. nach demselben Ziele zu bewegen hatte.
Ich hatte Mühe mich durch den Haufen schaulustiger Personen nach meinem Wagen zu drängen, und warf nur einen halben Blick auf den König von Sachsen, den das Jahr 48 zum alten Mann gemacht hatte. Unter uns gesagt: wärst Du in dessen Wagen gewesen - das hätte uns mehr Vergnügen gemacht als der Anblick all der Könige von Sachsen, die bis jetzt geherrscht haben und noch in Zukunft herrschen werden. In München war bei unserer Ankunft gar der Teufel los. Es wimmelte von Hofwagen, Zuschauern, Vorreitern; an ein Abendessen (?) war nicht zu denken. Ich wäre beinahe von den königlichen Vorreitern überritten worden und vertrat mir dabei den Fuss, neuerdings den ich schon früher übertreten hatte. So hinkte ich nach Hause und wünschte den Vorreiter nach allen vier Winden. Es war gerade 1/2 Zehn Uhr abends, als ich den Schlüssel einsteckte: ich ging noch zu Quermann(?), referierte da, wie ich Dich nach Immenstadt expediert und ging hierauf um 1/2 zwölf zu Bette.
Am nächsten Sonntage führten wir in der St. Michaelshofkirche Mozarts schöne, wenn auch eben nicht sehr kirchliche Messe in C-dur auf, des Nachmittags fuhr ich mit Pentenrieder nach der Menterschweige, die Du wohl kennst. Wir waren da sehr lustig; aber schöner wärs doch gewesen, wenn Du Dich mit uns da gefreut hättest. Indessen tröstete ich mich damit, dass ich Dich zu Hause unter Deinen Lieben dachte, mir die Freude vormalte, mit welcher Dich Deine Eltern, Brüder, Schwestern und Freunde umpfingen und dass ich im Geiste mit Dir auf Deinen grünen Hügeln und Bergen herumkletterte. Von Deinem Leben und Treiben zu Hause hast Du mir in Deinem Briefe nichts gemeldet, das wirst Du natürlich in Deinem nächsten Briefe desto ausführlicher thun. Erschrick nicht, lieber Junge, über diese Anforderung: Du brauchst Dich bei Deinen nächsten Briefen nicht so abzumühen. Den ersten hast Du schön geschrieben, wie ein Söhnchen, dass seinem Papa zum ersten Male schriftlich zum Namenstage gratuliert. Im nächsten hoffe ich, schreibst Du, wie Dir der Schnabel gewachsen ist, mit flüchtigen Zügen, - ich kann alle Schriftzüge entziffern, obwohl's mir mit den meinigen am allerschwierigsten zu gehen pflegt. Auch lass die nichtssagenden Titel 'Euer Wohlgeboren' und dergl. weg und schreibe Professor, oder wie Du willst und fühlst. Erinnere Dich nur an das, was Du mir versprachst! Dass Mozart in seinen jungen Jahren so hart über Vogler urtheilte, lag daran, dass er ihn für seinen Nebenbuhler hielt, oder dass er ihm seiner Anstellung halber im Wege stand. Der junge Mozart stand damals bloss mit seinem Genius allein, ohne alle übrige Bildung. Vogler war ein gelehrter Musiker, ein tiefer Denker, ein Mann, der die Musik von ihrem Beginn bis zu seiner Zeit herauf genau kannte. In dieser Beziehung stand Vogler schon damals wie ein Riese an Gelehrsamkeit dem jungen Mozart gegenüber, der sich natürlich in dieser Beziehung nicht mit Voglern messen konnte. Mozart nennt Voglern einen Hexenmeister auf der Orgel! Warum hat er ihn denn nicht todt gespielt, wie er das später mit Hässler zu Dresden that? Er hütete sich im Gegentheile wohl, nach Vogler die Orgel zu spielen. Ein anderer Umstand war, dass Vogler die Kräfte des Mannheimer Orchesters genau kannte, wusste was jedes Mitglied desselben zu leisten vermochte und genau leistete; er schrieb deshalb weiter seine Compositionen mit dieser Rücksicht, und so kam es, dass die Vogler'schen Compositionen stets besser gefielen als die von Mozart. Selbst als der unsterbliche Idomeneo Mozarts nach Voglers Castor und Pollux gegeben wurde, fiel er durch. Mozart änderte in späteren Jahren seine frühere Meinung in dieser Hinsicht gänzlich. Als beide kurz vor Mozarts Tod im Hause des Barons van Swieten über ein aufgegebenes Thema wechselweise auf dem Flügel phantasierten, ergriff Vogler das Thema zum achten Male, worauf sich Mozart für überwunden erklärte, Voglern stets Papa nannte und immer demselben zur Linken ging. Du hast ja das Kyrie der Messe, von welcher Mozart sagt, es habe darin gar nichts gestimmt, bei mir selbst gespielt, und kannst also am besten urtheilen, wie gegründet oder ungegründet des jungen Mozarts Urtheil darüber war. Die Biographie Mozarts von Oulibicheff ¨[1] ist wirklich die beste Biographie von Mozart, denn das Nissen'sche Werk liefert bloss Materialien zu einer Biographie. Sie ist voll Sachkenntnis, voll Gefühl und voll Begeisterung für den unsterblichen Meister, ich sage voll Gefühl, denn höchst selten versteht der Verfasser einer musikalischen Biographie die Göttersprache der Musik; er kommt gewöhnlich über die Noten (die Buchstaben) nicht hinaus. Indessen ist auch viel Halbheit in den Urtheilen Oulibicheffs und manchmal Irrthümliches, namentlich was Geschichte der Musik betrifft. So ist was er Seite 109, I. Theil, über griechische Musik sagt ganz irrthümlich, eben so falsch ist, dass Vogler die Sucht besessen haben sollte, die Musik der Alten wieder aufleben zu machen. Vogler lehrte den Charakter des ursprünglichen Gesanges der kath. Kirche genauer kennen, er zeigte wie unsere katholischen Choralmelodien, die einzigen wahrhaft kirchlichen, welche existieren, durch unsere modernen Harmonien begleitet werden können und niüssen - ohne dass sie ihren eigenthümlichen Charakter verlieren, und das hat er so vollständig, so systematisch und logisch gethan, dass ihm bis jetzt wenigstens noch kein zweiter auch nur nahe kommen konnte. Was Seb.Bach empyrisch that, das hat Vogler nach Gründen ausgeführt, welche in der Natur der Sache lagen; Du kannst auch hierüber ein Urtheil fallen, denn Du hast gleichfalls die Seb. Bach'schen Choräle und deren Umarbeitungen von Vogler durchgespielt und sie mit der Weber'schen Analyse verglichen. Eben so ungerecht ist, was Oulibicheff z.B. über den Text der Zauberflöte sagt. Die Diction, Sprache und Wortführung ist freilich darin in der Regel wienerisch, läppisch, gemein, lächerlich, aber der Grundgedanke der durch die ganze Oper weht, ist sehr poetisch, den besten Beweis davon gibt, dass Goethe einen zweiten Theil der Zauberflöte schrieb, dabei ist das Sujet der Oper selbst vom moralischen Standpunkt aus ein durchaus unverfängliches, Reines, wie es sich - Méhuls Joseph und seine Brüder und etwa die Weisse Dame, Graf Armand ausgenommen, in keiner zweiten modernen grösseren Oper wiederfindet.
Über mehreres in diesem Bändchen Enthaltene sprechen wir ausführlicher, wenn wir wieder beisammen in unserer Stube zu München sitzen.
Dass Dein Vater die Photographie von Dir sehr ähnlich fand, freut mich, sie muss wohl ähnlich seyn, die Natur hat sich ja hier selbst gemalt, aber etwas fehlt ihr doch, was ich stets an ihr vermisse wenn ich an ihr vorübergehe. Es fehlt ihr Dein freundliches Lächeln, und Dein sonst so lebendiges seelenvolles Auge ist hier starr auf einen Punct in unbestimmter Ferne geheftet. So ist denn auch dieses Porträit wie unser Bischof Sailer sagte, nur des 'Schattens Schatten'. Damit bin ich jedoch, lieber Junge, der Du in der schönsten Blüthe Deines Körpers und Geistes stehst, nicht gemeint, Dich mein 'Schatten' zu nennen. Das Wort in des Bischofs Munde deutet auf das Vergehen und das Vergängliche alles Geschaffenen, auf das schattenhafte Vorübergehen und Verschwinden alles dessen, was uns auf Erden als schön, gross und herrlich entzückt. Aber nicht allein auf der Erde, auch durch die ganze Schöpfung wird es einst dämmern, Nacht werden und nichts mehr seyn als Gott - und die guten und bösen Thaten, die wir gethan.
Doch Raum und Zeit erinnern mich an den Schluss. Lebe somit recht wohl, lieber Junge, und denke manchmal an uns in München. Der Himmel schütze Dich, ich aber küsse Dich im Geiste und bin und bleibe
Dein alter Freund Schafhäutl. N Schr. Du musst sehen, wie Du mit meiner Schrift zurecht kommst und ich bin begierig, ob Du meinen Brief lesen konntest. Ich trage ihn gerade zur selben Stunde auf die Post, in der wir vor 8 Tagen (zu Augsburg) in der Restauration sassen. Die Arie 'Spinn du arme Margarethe' ist hier nicht zu haben. Ich schicke Dir deshalb den Dir bekannten Klavierauszug ganz. Ich besitze noch einen zweiten. Diesen Nachmittag, wenn ihn August, der Dich sowie Hr. Vater herzlich grüssen lässt, eingepackt hat, gebe ich ihn auf die Post und da lege ich auch einen Brief an Deinen Vater bei. Gott befohlen.
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[1] Biographie Mozarts von Oulibicheff = "Mozart's Leben nebst einer Uebersicht der allgemeinen Geschichte der Musik und einer Analyse der Hauptwerke Mozart 's von Alexander Oulibicheff. Für deutsche Leser bearbeitet von A. Schraishuon." Stuttgart 1847 (3 Bände).
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