Josef G. Rheinberger freut sich über Peters Avancement als Oberlieutenant und gratuliert ihm. Er erzählt von seiner neuen Professorstelle am Conservatorium für Musik und der Militärsituation.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Bruder David
9. Mai 1859, o. O. [München]


Lieber David!
Letzten Freitag erhielt ich Deinen, und Tags darauf Vater's Brief; für beide meinen Dank. Wie sehr mich Peters Avancement gefreut, kannst Du Dir denken; ich lass ihm herzlichst gratuliren. Er soll mir doch vor seinem Ausmarsch noch schreiben, und zwar recht ausführlich. z.B. über seine Reise nach Bonn (zum alten Arndt.) [1] und unsern jungen Fürsten, welcher sich bisher ganz vernünftig gezeigt, nun sollte er (d.j. Fürst) auch Dir bald ein Portefeuille übergeben, etwa das der Politik, - oder doch wenigstens einen Gesandtschaftsposten, z.B. in Lissabon oder New-York; wann kommt er zur Huldigung nach Liechtenstein?
Hier wird so viel politisirt und geschimpft und gelärmt, den ganzen Tag, in allen Classen, in Wirthshaus und Privathaus, von Kammern, König, Regierung, Minister, Napoleon und Garibaldi, dass ich sowas nicht einem Brief anvertrauen würde. - - -
Hier sagt man, dass der Liechtenstein'sche Contingent nach London käme.
In meine neue Stellung finde ich mich ganz gut; ich gebe im Conservatorium in dem nämlichen Zimmer Unterricht, in welchem ich vor 5 Jahren Klavierunterricht empfing; denn ich kam an Leonhard's Stelle. (Leonhard hatte in Folge eines Auftritts mit Hauser seine Entlassung genommen.) Wer kommt nun als Lieutenant an Peters Stelle? Wahrscheinlich ein Fremder?

Was sagt man in Liechtenstein vom Krieg [2] und der bevorstehenden Ausrückung? Wird von Seiten der Bauern recht geschimpft? Hier herrscht ungemeiner Patriotismus; - wenn Napoleon auf bayrisch-rheinländerische "Sentiments" reflektirte, so hat er sich gewaltig verrechnet. Du solltest nur so eine patriotische Demonstration etwa im Theater sehen; wie auch geringe deutsch-patriotische Stellen eine zündende Wirkung wachrufen. -
Ist Peter zufrieden mit seinem neuen Wirkungskreis als Oberlieutenant? Die l/ieben/ Eltern werden. grosse Freude darüber äussern. Mali, Lisi und Toni sollen mir auch bald schreiben. -

Es ist gegenwärtig wirklich eine Kunst, einen Brief zu schreiben, in welchem die Grenze des politischen Gebiets nicht verletzt wird, indem man, wo man nur geht und steht und sitzt und schwitzt den Krieg verhandeln hört. Unter meinen hiesigen Bekannten hat die Conscription wie eine zweite Cholera gehaust, indem fast Alles zum Militair muss. Einstandsmänner für Cürassiere kosten schon 3000, 3500fl! Hanfstängl musste auch einen Mann für 2000fl stellen.

"O welches Glück ein Liechtensteiner zu sein!" Wie Viele haben mich hier heuer darum beneidet. - Das nimmt sich sonderbar aus. Die hiesigen Besitzer von österreichischem Papier kennt man jetz alle sogleich auf der Strasse, indem alle so aussehen:

Wenn Hr. Onkel Carigiet  Bischof von Chur wird [3], bitte ich es, mir zu schreiben.

Ich lasse Vater, Mutter, Seffa, Peter, Toni, Lisi und Mali grüssen, vor Allen aber Dich, denn Du bist noch der fleissigste Correspondent Deines Dich amanten frater's

München 9.5.59. G.J. Rheinberger

Abend 6 Uhr Professor am kgl. Musik-Cons.

NB. Die Professoren am Conservatorium sind kgl. Lehrer, die sich aber Professoren schimpfen lassen dürfen (Hätt'es bald vergessen, Pardon!)

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[1] (zum alten Arndt) = Ernst Moritz Arndt (1769- 1860), pout. Schriftsteller, Erzähler und Lyriker. Seit 1818 Prof. für Geschichte in Bonn. Mit glied des Frankfurter Parlamentes.
[2] Krieg = Italienische Befreiungskriege mit führender Rolle von Giuseppe Garibaldi, in denen Oesterreich die Lombardei an Italien und Frankreich verlor.
[3] Wenn H. Onkel Carigiet Bischof von Chur wird... = Jakob Anton Carigiet wurde nicht Bischof (vgl. David Rheinberger, Regierungssekretär in Vaduz, schildert Fanny Rheinberger die Verhältnisse, in denen Jos. Rheinberger aufwuchs, besonders ausführlich sind die Notizen zum Leben von Rentmeister J. P. Rheinberger. Sommer 1876, Vaduz, in: Wanger/Irmen, Bd. 1, S. 1-25.
).