Brief Jos. Rheinberger an die Eltern
München, 29. März 1853
Theuerste Eltern!
Da ich soeben von meiner Vakanz aus Türkenfeld zurückkomme, so ist es mein erstes, Ihnen geliebte Eltern, zu schreiben. Die Osterferien begannen Freitag vor Palmsonntag. Ich ging aber erst Montag, den 21. nach Türkenfeld, nachdem ich abends zuvor Haydn's unübertreffliche Schöpfung gehört. In Türkenfeld nahm mich Hr. Pfarrer sehr freundlich auf, und mir viele Empfehlungen aufgab. Auch gab er mir die 50 fl, obschon ich sagte, er möchte sie mir von Monat zu Monat schicken. Davon übergab ich sogleich 44 fl den Perstenfeld'schen aus der Zinszeit Georgi, also jetzt April, Mai, Juni bezahlt. Heute Mittwoch begannen die Unterrichtsstunden wieder.
Als Aufgaben machte ich einen Quartettsatz mit Schlussfuge, ein 4stimmiges Sanctus und eine Orgelfuge. Jetzt arbeite ich an einer Klaviersonate, deren erster Satz sich schon dem Ende neigt. Unsere Arbeiten in der Composition umfassten im I. Semester alle Arten doppelten Contrapunkts, alle Arten Canons und Imitation, womit ich schon mehrere Hefte ausgefüllt habe. -
Auf Georgi, den 24. April ziehen wir aus jetziger Wohnung aus in 'Müllerstrasse Nr. 35/3 rechts'.
Da mir der braune Rock viel zu gross ist, wollte ich Sie fragen, ob ich ihn nicht ändern lassen dürfte. Auch werde ich bald neue Stiefel brauchen. Die neue graue Hose ist mir viel zu kurz. Insoweit über meine Garderobe. Da Herr Perstenfeld beabsichtigt, ein Klavier zu kaufen und Geld dazu nicht hat und vielleicht Ihnen darum schreiben könnte, ohne mir ein Wort davon zu sagen - so halte ich es für nöthig, Ihnen zu sagen, dass sie 1300 fl Schulden haben und dass Sie ja nichts schicken! -
Auf der Türkenfelder Reise brauchte ich 4 fl 30+er. - Hr. Perstenfeld lasst sich dem Anton für 'VADUZ' [1] bedanken.
Indem ich nun alle lieben Geschwister grüsse und Ihnen, geliebte Eltern, herzlich danke,
verbleibe ich Ihr dankbarster Sohn
Joseph Rheinberger
______________
[1] ...für 'VADUZ' bedanken = Perstenfeld wünschte ein Bild von Vaduz (vgl. Brief vom 9.2.1853), das ihm nun von Anton Rh. angefertigt worden war.