Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
4. Mai 1858, München
Theuerste Eltern!
Da ich länger als einen Monat ohne Brief von Vaduz war, so hoffe ich dennoch, dass Sie alle wohl und gesund sein werden, wie diess auch bei mir der Fall ist.
Neues weiss ich nichts zu berichten, denn die Concert-Saison ist natürlich mit Ostern geschlossen, und alles Andere berührt mich weniger. Von meinen Schülern geht schon der eine oder der Andere auf das Land, so dass ich im Sommer hiedurch eben nicht sehr viel zu thun haben werde. Meine Hauptsorge ist, einen passenden Stellvertreter bei der Orgel der Theatinerkirche ausfindig zu machen, damit ich dann doch wenigstens auf einige Zeit zu Ihnen, Theuerste Eltern! kommen kann. Meine Messe, welche früher (im September) in der Ludwigskirche aufgeführt wurde, habe ich nun wieder umgearbeitet und verbessert, um sie dann auch in der Theatinerkirche auführen zu lassen.
Der Peter hat mir nicht mehr geschrieben; wahrscheinlich ist er wegen derPelzkappe, die, ich ihm nichtgeschickt habe böse. Wenn dem so ist, so verzeihe ich ihm grossmüthigst. Wenn er in Weesen nirgends näher, als von München eine Pelzkappe bekommen kann, so musste es in der Schweiz eine traurige Industrie geben; ich habe das ganze mehr als Faschingsscherz betrachtet. Die Pelzkappe requiescat in pace his zum nächsten Winter.
Seit Ostern war ununterbrochen das herrlichste Wetter bis zum 1ten Mai, seit welchem Tag es zu regnen und zu schneien nicht aufhörte. -
Weil Baron v. Perfall den Sommer hindurch fast immer in Starnberg ist, werde ich von nächsten Montag an die Proben des Oratorienvereins zu leiten haben. Da bekomme ich doch wenigstens Übung in der Direction.
Hat ein hohes Militärkommando sich die "vaterlands=retten den" Signalhörner bei der von mir angegebenen Adresse bestellt?
Wird die Eisenbahn Rorschach-Chur bald eröffnet? Das wäre bequem, wenn man heuer noch bis Sevelen dampfen könnte! Wie geht es in unserm neuen Hause? Hat der Toni sein Atelier noch bei der Rhibergari [1] dossa?
Mir geht es immer gut, nur wird mir manchmal das Stundengeben gar so zuwider, dass ich das Ende der Stunde kaum erwarten kann. Besonders die Stunden, die ich gerade zur Mittagszeit von 11 - 12 Uhr zu geben habe, sind mir am unliebsten.
Ich freue mich sehr, heuer wieder in unsern Familienkreis zu kommen, und Sie, Theuerste Eltern! wieder zu sehen. Nach den übrigen Vaduzern, und besonders unsern jetzigen Nachbarn habe ich keine grosse Sehnsucht.
Was macht die liebe Mutter? Denkt sie auch noch an mich, da sie mir so lange keinen Gruss geschickt?
Nun, Meine Theuersten Eltern! Leben Sie wohl! Ich verbleibe mit herzlichstem Grusse Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger
kgl. b. Hof=Argelist [2]
München, den 4.5.58.
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[1] Rhibergari = Rheinbergerin
[2] Hof=Argelist = humoristisch für Hof-Organist