Josef G. Rheinberger erinnert sich, dass er als Kind mit seinen Eltern schöne Weihnachten erlebte, und wünscht ein glückliches Neujahr.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
29. Dezember 1857, München


Theuerste Eltern!

Neujahr! Nie verfloss noch diese Zeit, ohne dass Sie mir Ihr väterliches Walten so recht vor die Augen geführt - nicht, als ob ich mich nicht täglich mit dankerfülltern Herzen an Ihre zahllosen Sorgen für mich erinnert hätte - nur ist Neujahr eben jene Zeit, wo man seinen Gefühlen Worte gibt - diese Gefühle sind: Möge Gott den Besten der Eltern seinen Segen verleihen, und Sie uns viele - viele Jahre erhalten, und uns, Ihre Kinder, Ihrer würdig machen. Um das bitte ich Gott, und ich hoffe nicht vergebens.
Das Christkind ist zu mir nun doch gekommen, und zwar am 28.5 Christabend. Es brachte mir in einer grossen Schachtel einen Christbaum und viele Geschenke. Ich erinnerte mich mit Wehmut an die langen Jahre, welche verflossen, seit ich den Weihnachts-Abend im Kreise meiner theuersten Angehörigen verlebt und zum letztenmal in Vaduz die Mette gespielt. Solche Zeiten kommen nicht wieder! Die Erfüllung meiner kühnsten Wünsche könnten mir diese Freude, die ich damals als Kind genoss, nicht mehr verschaffen.
Gestern Abend wurde im Oratorienvereinsconcerte mein Oratorium (od. Cantate) aufgeführt. Ich accompagnirte selbst am Klavier. Der Beifall war enthusiastisch; ich wurde ordentlich mit Gratulationen überschüttet - auch von Lachner, Schafhäutl etc. Vielleicht kommt Näheres gedruckt. Sonst waren die Feiertage für mich schlimm; denn trotz der heftigsten Grippe musste ich den Organisten-Dienst in der Theatinerkirche versehen. Erst Sonntag Nachmittag konnte ich mich zu Bett legen, und während Toni (zur Kaffeezeit) seinen Brief (den ich diesen Augenblick erhielt) schrieb, lag ich mit heftigem Fieber geschüttelt im Bett. Gestern war es weit besser. Der Oratorienverein schickte mir zum Conzert einen Wagen, und nun bin ich heute wieder so wohl als wie immer, nur noch mit Catharr behaftet.
Im Übrigen geht es mir sehr gut; nur habe ich viel zu thun. Hr. Pfarrer Wolfinger in Türkenfeld habe ich vor 14 Tagen geschrieben. Hr. Pfarrer Wolfinger in Vaduz lasse ich herzlichst grüssen. Es hatte mich sehr gefreut, wenn er meine Cantate hätte hören können. Allen meinen Bekannten ein glückliches Neujahr! Hat Mali meinen Brief und sein Hütchen erhalten? Toni schreibt auffallenderweise keine Silbe davon. Ich möchte das doch bald wissen.
Theuerste , Beste Eltern! Indem ich meinen einfachen herzlichen Wunsch nochmals an Sie richte, und für Ihr Wohlergehen zu Gott flehe, verbleibe ich auf immer Ihr dankbarster Sohn

Jos. Rheinberger
Kgl. Hoforganist

München, an David's Namenstag [1] 1857.

NB: Mali soll bald schreiben. Grüsse an Alle.

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[1] David's Namenstag = 30. Dezember