Brief Josef G. Rheinberger an seinen Bruder David
17. Juli 1857, München
Lieber David!
Da der l[iebe] Vater wünschte, dass ich seinen letzten Brief mit Banknoten nach Empfang desselben (der Sicherheit wegen) bestätige, so schreibe ich bei der Gelegenheit Dir, weil ich das letzte mal dem Vater und Toni geschrieben.
Du wirst also so gut sein, und dem Vater meinen herzlichen Gruss und Dank auszurichten. Sonst habe ich aber nichts Wichtiges mehr zu schreiben. Es geht mir gut; auch habe ich viel zu thun. Heuer hätte es mich sehr gefreut, wenn Du heraus (nach München) gekommen wärst; denn wenn Du hier auf dem Steinpflaster herumgelaufen wärst, so hätt's es för a Alpaparthiele thua [1]. Die neue Maximiliansstrasse solltest Du jetzt sehen, wie schön die ist ! Fast as wia der Kaspari=Gass' in Vaduz [2]!! Gibt es heuer wieder eine solche Freitag=Abend=Gesellschaft auf dem Schloss [3], wie letztes Jahr?
Gestern und vorgestern war es schauderhaft heiss, ich ging noch Abends 3/4 auf 9 Uhr in das grosse Isarbad. (Gelt, das sind Neuigkeiten!)
Nach Vaters Brief ist es also noch nicht einmal bestimmt, dass Hr: Pf: Wolfinger von Vaduz hierher kommt?
Meine Schüler bei Grosshändler Lekling sind prächtige Kerls. Bei der ersten Lection war ich nach 5 Minuten schon auf dem Punkt, den Hut zu nehmen und zu gehen. Bei dem einen geht es jetzt ein wenig besser, während der Andere zum Verzweifeln starrköpfig ist, und nicht lernen will. Seine Mutter sagt, er müsse aber Klavier lernen, weil Musik das menschliche Gemüth veredle und zur Erziehung nothwendig gehöre. Ich dachte, dass hier eine Haselstecken mehr veredeln würde als die arme, gute Musica; ich sagte es aber nicht. Da schau ich (in dieser Stund) fleissig auf die Uhr und wenn es zwölf Uhr schlägt, so nehme ich meinen Cylinder zur Hand, und gehe. Übrigens sind die andern Leut in diesem Hause sehr angenehm und honett, nur etwas zu grossstädtisch vornehm.
Meine übrigen Schüler sind viel talentvoller und folgsamer, besonders die kleine Tochter des bekannten Schriftstellers Prof: Riehl. Jetzt muss ich fort, und Stund geben, es ist höchste Zeit. Leb' wohl, schreibe mit bald sowie auch der Toni.
Dein Dich liebender Bruder
Jos. Rheinberger
München 17.7.57.
Viele Grüsse an alle.
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[1] ...so hätt's es... = so wäre dies für eine kleine Alpenpartie gegangen...
[2] Fast as wia der Kasperi-Gass = Beinahe wie die Kasperi-Gass (Gasse in Vaduz).
[3] Schloss = Schloss Vaduz war damals Gastwirtschaft.