Josef G. Rheinberger erzählt, dass er sich lieber in vornehmeren Circeln aufhält und den Musikanten aus dem Weg gehe.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Bruder Toni
14. Juni 1857, München

Lieber Toni!

Da ich Dir schon lange nicht mehr geschrieben habe, so wollen wir nun ein wenig plaudern. Das Neuste ist, dass wir heute den 14ten Juni haben, und gestern die Welt nicht untergegangen ist.

Soeben erhielt ich Vaters lieben Brief, und ersah daraus zu meiner grössten Freude, dass Ihr Alle Euch wohlbefindet. Was Wagus betrifft, so kann ich Dir sagen, dass unsere Freundschaft darin besteht, dass wir (wie Peter) "per Du" sind. Ich habe mich nie viel um ihn gekümmert, da er mir nie gut gefiel. Ich kann mich vielleicht auch irren, denn errare humanum est (Das kann Dir der David übersetzten.) Was ihm Hanfstängl über mich geschrieben haben wird; wird sein: dass er mich den Winter wöchentlich 1 mal im Oratorienvereine gesehen habe; seit Monat März kam er jedoch nicht mehr hin. Ich kümmere mich gar nicht um alle diese Leute, besuche keine und lass mich nicht gerne von ihnen besuchen, weil doch die Meisten "falsch" sind. Am ärgsten sind die Musikanten, denen gehe ich Allen aus dem Weg, weil ich den Neid dieses Gesindels kennen zu lernen, hie und da Gelegenheit hatte. Ich lebe überhaupts ziemlich einsam, gebe meine Stunden, oder spiele Orgel in der Ludwigskirche und spiele hie und da Schach, das ist Alles. Sonst komme ich nur zu Maier, Schafhäutl, Lachner, Perfall, Böhm, Kaulbach, Dürk oder bin hie und da bei andern (angesehnen) Familien emgeladen, (welche ich im Oratorienvereine kennengelernt) um Compositionen von mir vorzutragen, und in diesen Circeln bin ich gerne gesehen.
In diesen Circeln herrscht bei aller Vornehrnheit doch mehr Einfachheit und Herzlichkeit, als bei den weniger vornehmen. Hier trifft man Leute, die für die wahre Kunst Sinn haben, hier wird man geschätzt und fühlt sich wohler, als in so halbvornehmen Gesellschaften.
Wenn man so dieses "Handwerkmusikantenvolk" kennen gelernt hat, so muss man mit der Zeit noch Philosoph werden, oder mit den Wölfen heulen", was einem lieber ist. (Jetzt wirst Du sagen: das ist ein langweiliger Brief!) Hast Recht! aber das kurzweilig sein möchte einem, oft vergehen. Dir nicht auch? Oder dem David? Der l[iebe] Vater schrieb mir vom Nachhausekommen. Ich werde mit Hr. Maier darüber sprechen, und dann dem l[ieben] Vater schreiben. Meine Freude, Euch sehen zu können, wäre gross, aber das übrige Vaduz zieht mich nicht sehr an. Eure jetzige Kirchenmusik muss doch etwas sonderbar sein, besonders da die Sängerinnen nach 50 jährigem Dienstjubiläum feierlichst zurückgetreten sind. Wird mein Hl. Geist [1] nicht mehr gesungen? Spielt das Mali ordentlich? Oder duath’s no grad a so örgala [2]?
Wie geht es Dir? Hast Du viele Kundschaften? Wenn Du Bücher oder so etwas brauchst, so bestelle nur wieder bei mir, ich will es gerne übernehmen, wenn nur nicht wieder 20 - 30 Bestellungen zusammentreffen. Ich wollte noch dem David schreiben aber soeben erhalte ich eine Vesper angesagt um 3 Uhr, und jetzt ist's schon 2 1/4 Uhr, und in die St. Ludwigskirche ist's eine 1/2 Stunde zu gehen, also Lebewohl, und zeig dem David diesen Brief, weil ich zu seinem Briefe keine Zeit mehr hatte. Es grüsst Alle, besonders aber Dich, Dein Bruder

Jos. Rheinberger

München den 14.6.57. Bhüati Gott!!!

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[1] mein Hl. Geist = das von ihm komponierte Heilig- Geist -Lied.
[2] Oder duaths no grad a so örgala = Oder spielt es nur mehr schlecht als recht die Orgel?