Brief Josef G. Rheinberger an seinen Vater
31.Dezember 1855, München
Theuerster Vater!
Gibt es ein Fest der Dankbarkeit eines Sohnes gegen seine Eltern, so muss es gewiss der Jahreswechsel sein, welcher ihm die Wohlthaten der elterlichen Liebe auf's Lebendigste in's Gedächtniss ruft. Das ist auch, Theuerste, beste Eltern! bei mir der Fall, bei mir, welcher so viele Wohlthaten von Ihrer Seite genoss, dass ich nie im Stande sein werde, Ihnen genügend zu danken. Da ich aber weiss, dass Fleiss und Tugend für Sie die schönste Dankeserweisung sein wird, so will auch ich mich bestreben, Ihnen meine unbegrenzte Dankbarkeit durch Erfüllung jener Pflichten zu bekräftigen - wozu mir Gott seinen Segen nicht versagen wird, weil wir ihn ja täglich darum bitten. -
Zum neuen Jahre wünsche ich Ihnen, Beste Eltern! das, was ein dankerfülltes Herz nur allein fühlen kann, - nämlich: Gesundheit, Zufriedenheit und ein langes Leben, um zum Wohle der Ihrigen recht viel wirken zu können, was Gott geben möge! -
Ich bin Gottlob! immer gesund und wohl, wie Peter. Dass ich Ihren letzten Brief und Geld (vom 2ten Dez. ) erst am 7ten erhalten habe, hat Peter vielleicht schon geschrieben; den Stand meiner Kassa bei Hrn. Maier konnte ich nicht erfahren, da Maier seit einiger Zeit in Karlsruhe bei seiner Braut ist. Was das Mozarteum in Frankfurt betrifft, so weiss ich noch nichts näheres, als laut einem Artikel in der Frankfurter "Didascalia" wo nämlich stund, dass an den Stipendiaten jedes Vierteljahr 100fl (jährlich 400fl) bezahlt würden; und dass der nächste Stipendiat schon vom 1. Januar 1856 an gerechnet werde. (Das Kapital des Mozarteums beträgt 28900 fl und wirft jährlich laut jener Statistik 997fl ab). Also, wenn ich das Stipendium erhalten würde, wäre es von diesem Neujahre an. -
Meine 2 Schüler sind diesen Monat abgereist, ich habe gegenwärtig keine Stunden. Meine kleine Oper kann in 14 - 20 Tagen fertig sein. Gegenwärtig habe ich eine Ouverture geschrieben, .die Hr. Schafhäutl und Lachner sehr gefiel; ich werde sie später auch im Privatmusikvereine aufführen lassen. Meine neue Hose kostete 6 fl 48+r und mein neuer Rock 19 fl = 25fl 48+r. Vom Oratorienvereine aus ist mein Gehalt auf 6fl per Monat festgestellt. Sonst nichts Neues.
Der Winter war bis heute wunderschön, kalt und hell, einmal hatte es 20 Grad Réaumur; heute aber regnet es. Dass ich allen lieben Geschwistern "a glückseligs neus Johr" wünsche (auch mir), versteht sich von selbst. Der lieben Mutter rneinen herzlichen Dank für das Kristkindl, welches meine Erwartung bei weitem übertraf. Der Peter lasst alle grüssen und dem David für seinen Brief a gl. n. Jahr wünschen und fragen, ob Landesverweser Louis noch in Vaduz sei. Einen baldigen Brief mit Ungeduld erwartend, verbleibe ich, Theuerste Eltern Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger.
München, 31.12.55.
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