Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
30.8.55, München
Verehrteste Eltern!
Sie werden mein letztes Schreiben wohl erhalten haben. Ich befinde mich immer wohl und gesund, was ich auch hoffe, von Ihnen zu hören. -
Die Herren Schafhäutl, Maier, Leonhardt sind nicht hier gegenwärtig, umso einförmiger ist natürlich meine Lebensweise.
Immer gebe ich meine Stunden, studire die englische Sprache und schreibe hauptsächlich an meinen zwei Opern. Die eine nämlich ist sehr klein und komisch, deswegen ich auch bald fertig sein werde, die andere ist die grosse Oper: Lucius Aula. -
Gegenwärtig spiele ich beständig auf der St. Michaeliskirch.- Orgel. General Salis-Soglio ist gegenwärtig in der Schweiz (Chur?). Letzthin machte ich Bekanntschaft mit einem Schweizer Kull aus Lenzburg (Aargau), dessen Töchterchen hier Violoncello lernt. Salis hatte ihm von mir gesagt. In 14 Tagen wird nun meine Symphonia aufgeführt, wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt. -
Täglich erwarte ich Antwort aus Leipzig wegen dem Drucke zweier meiner Werke. -
Das Wetter ist gegenwärtig sehr schön und furchtbar heiss, weswegen ich beinahe täglich zum Baden gehe.
Was macht der Peter?
" " " Toni ?
" " " David?
Und die liebe Mutter? Jetzt ist gerade ein Jahr vorbei, dass wir unsere Sesselgrandama-Reise machten; da denke ich oft daran. Wie ich höre, sollen die Wein-Aussichten im Rheintale wieder ungünstig sein?
Bis nach Aufführung meiner Symphonia werde ich Ihnen wieder schreiben, Theuerster Vater! -
Grüsse an alle Bekannten! Nun, Theuerste Eltern! leben Sie wohl; auf baldige Antwort harrend verbleibe ich Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger
München, 30.8.55.
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