Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
29. Jänner 1855, München
Theuerste Eltern!
Ihr Brief mit den beiliegenden 50 fl war mir ein neuer Beweis Ihrer väterlichen Güte und Sorgsamkeit gegen mich. Dass ich sie erhalten habe, wird Toni Ihnen gesagt haben, wenn er meinen Brief erhielt, welches ich hoffe, obschon er mir ihn nicht beantwortete, was nicht schön von ihm ist.
Neues kann ich diessmal eben nicht viel schreiben, als dass ich mich wohl befinde, und (ohne mich zu loben, sagen kann) dass ich fleissig bin. Nachdem meine Oper eingebunden war, trug ich sie zu Hr. Generalmusikdirektor Lachner. Er war ausgezeichnet zufrieden und bedauerte, dass meine Wahl auf einen so unbedeutenden Text gefallen, sonst hätte er sie aufführen lassen. -
Letzten Sonntag vor 8 Tagen war ich bei ihm, Lachner, zu Tische geladen; er stellte mich seiner Mutter, Frau, Tochter und Sohn vor - mit welch' letzterem ich nun seit der Zeit näher bekannt worden bin und öfters zu ihm komme. - Bei jener Gelegenheit hätte ich, wenn ich ein paar Jährchen älter gewesen ware, eine Direktorsstelle mit 1000 fl bekommen, welche es nicht alle Tage schneit; es konnte mich dieses ungeheuer ärgern. -
Hr. Lachner gibt sich viel Mühe mit mir, ich war heute schon das 6te Mal in diesem Monate bei ihm, und liess ihn ein Offertorium durchschauen, welches ich, schön geschrieben und eingebunden, als op. 18 H. Prof. Maier gewidmet habe. Hr. Lachner gefiel es gut und morgen bekommt es Hr. Maier. Wie ich das letztemal bei letzterem war, sagte ich ihm, dass Sie, Bester Vater! ihm geschrieben hätten, allein, er hatte keinen Brief erhalten und sagte, Sie möchten nochmals schreiben! - Bei ihm liegen nun 27 fl und mit jenen von Wolfinger 37 fl für mich wieder bereit. - Zu Hr. Leonhard komme ich auch oft. Hr. Herzog soll es, so viel seine Schwiegermutter sagt, sehr gut gehen; auf Ostern kommt er sicher. Der Sohn des Hr. Direktors vom
Conservatorium hatte mich letzthin, nachdem er mich 1 1/2 Jahre ignorirt hatte, sehr freundlich eingeladen, ihm meine Oper zu zeigen; allein Hr. Schafhäutl sagte, ich solle nicht hingehen, indem ich bei Lachner an Credit einbüssen würde. Zu Hr. Schafhäutl gehe ich 2 Mal wöchentlich und wir machen oft Schlittenpartien. Der Oratorien-Verein gibt nächstens Concert; als Chorrepetitor bin ich sehr beliebt. -
Nächsten Freitag (Lichtmess) wird ein Offertorium von mir in der Basilika aufgeführt, und nächsten Sonntag ein anderes mit Orchestre in der Ludwigskirche. -
Gegenwärtig habe ich einen Schüler in der Composition und Klavier, Konrad Muggli aus Luzern, ein früherer Schüler von Schnyder v. Wartensee [1]. Gegenwärtig macht hier eine spanische Tänzerin, Pepita de Oliva, Furore. Man dachte, man hätte hier der spanischen Tänzerinnen [2]genug gehabt. Bei ihrem ersten Auftreten machte sie wenig Enthusiasmus, aber nur desswegen, weil gerade die Nachricht ins Theater kam, dass es brenne; richtig brannte bei der griechischen Kirche ein Haus ab. Seit Neujahr ist es sehr kalt, heute hatte es 16° Kälte. - -
Von Tschavoll jun. erhielt ich noch einen Brief vor seiner Abreise nach Strassbourg. -
Nun weiss ich nichts mehr. Hier folgen meine Ausgaben in diesem Monate:
Für Handschuhe - 48 Für den Briefträger – 3
" ein Taschenmesser - 36 " ein Musikstück 2 12
" Kerzen - 12 Dem Buchbinder (Oper) – 42
" 's Haarschneiden - 6 " " (Offer-
" Federn – 6 torien – 24
" Haaröl - 9 Für Bleistifte - 9
einen Stempel Notenpapier – 6
(für Toni) – 18 Übertrag 3 15
Summa 3 15 Summarum 6 51
Was machen die lieben Geschwister und Mutter? Sind sie alle gesund? - Der Toni soll mir bald schreiben, oder wer will! In der Hoffnung, dass alle, vorzüglich aber Sie, Beste Eltern! sich gesund u. wohl befinden, verbleibe ich Ihr dankschuldigster Sohn
Jos. Rheinberger
Correpetitor d. Orat. V. München, 29.1.55.
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[1] Schnyder v. Wartensee = Xaver Schnyder von Wartensee (1786-1868), Schweizer Komponist, Musiklehrer in Frankfurt am Main.
[2] ....spanischen Tänzerinnen = Anspielung auf die Affäre des Königs von Bayern mit der Tänzerin Lola Montez, die zur Abdankung Ludwigs I. führte.