Josef G. Rheinberger berichtet seiner Schwester vom alltäglichen Leben in München und erkundigt sich nach Neuigkeiten.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Schwester
26. Dezember 1854, München


Liebe Schwester!
Dein Briefchen hat mich sehr erfreut, sowie die Nachricht, dass Dein Hut glücklich eingeschwärzt geworden, sowie - dass das mir gewidmete Stück von Herzog angelangt, sowie dass die Mutter an meine Tabaknase denkt, sowie dass der David die Adresse höchst eigenhändig geschrieben, sowie dass der Vater über jenes Stück so erfreut sei, sowie dass ihr mich nicht vergessen habt, aber am meisten dass ihr Alle wohl seid. Hat es bei Euch schon Schnee? Hier nicht, aber kalt ist es! An den Sonntagen denk ich immer am meisten an euch - da habe ichs immer langweilig, ausser an Vormittagen, da spiele ich immer ein paar Ämter! aber am Nachmittag ist's langweilig, gewöhnlich regnet's - so dass man nicht aufs Land fahren kann, nur Abends gehe ich immer mit Hr. Schafhäutl ins Theater. Mit meinen ehemaligen Conservatoriumsschülern mag ich wenig mehr in Berührung 1ommen, höchstens mit E. od. B. - die Andern sind falsche Tropfen. Briefwechsel habe ich keinen, als mit euch, ausser mit Tschavoll in Feldkirch - wir schreiben uns fleissig französische Briefe. -
Für die Briefe vom Toni kann ich gar keinen Platz mehr finden!! Wie gehts der lieben Mutter, sie soll ja nicht bekümmert sein; hier in München redet kein Mensch von der Cholera, obschon im Monat November noch 100 Personen daran starben - man denkt hier gar nicht daran - sie soll ja unbekümmert sein, das Unkraut verdirbt nicht, ist ein wahres Sprichwort.
Viele Grüsse von Doris Perstenfeld, mit Respekt zu melden 'Nikle'. -
Was macht der Peter und der David, 'Herr Kanzelist'???? Sag dem Vater, dass ich aufs Neujahr ihm und Hr. Onkel in Schaan schreiben werde.
Ist Hr. Falkenhausen mit Frau u. Familie angelangt, ihr schreibt mir ja gar nichts. ist Lisa Wolfinger noch nicht an Sgir verheirathet? So eben holte ich noch ein Stück für Amalie und komme gerad nach Hause - schreibe Dir wieder, muss aber bald aufhören, denn es wird finster und ich muss das Paquet noch vor 5 Uhr auf die Post tragen - wenn ich was weiss, will ich Dir schon wieder schreiben. Du hast mir nicht geschrieben, wie Dir der Hut gefalle, vielleicht ist er nicht nach Deinem Geschmacke, was mir leid thäte obschon ich es nicht hoffe.
Grüsse mir Alle, die mir nachfragen - natürlich alle lieben Geschwistern und Eltern!
Dein Bruder
Jos. Rheinberger
Chorrepetitor d. OratorienVereins
München 26.12.54.

______________