Brief Sebastian Pöhly an Franziska Rheinberger
3. Juli 1876, Schlanders
Hochverehrte, gnädige Frau!
Im Jahre 1844 im Herbste kam ich nach Schaan im Fürstentum Liechtenstein, diente dort als Unterlehrer und hatte auch den Organistendienst zu versehen. Der Hochw. Herr Dekan und Landesschulinspektor Carigiet war ein Bruder von der sel. Frau Mutter Ihres hochverehrten Herrn Gemahls, meines lieben Pepi. Dieser ersuchte mich, ich möchte den zwei grösseren Schwestern des Pepi doch ein wenig singen und Gitarre spielen lernen, mit dem Bemerken, ich brauche sie eben nicht musikalisch zu unterrichten, sondern ihnen nur soviel beibringen, dass sie allenfalls in müssigen Stunden eine kleine Aufheiterung fänden. Ich ging also nach Vaduz in das elterliche Haus meines lieben Pepi, fand seine 2 Schwestern in der unteren Stube und begann den Unterricht. In diesem Zimmer war auch der spannenlange kleine Pepi gegenwärtig. Ich sagte: Komm her, Pepi, und sieh zu, wie ich deinen Schwestern die Noten lehre. Er kam schüchtern herbei, und weil er viel zu klein war, um mit seinen zwei Schwestern auf das Pult zu sehen, wo ich ihnen zuerst die 5 Noten auf den Linien, und dann die 4 übrigen auf den Zwischenräumen beibrachte, so nahm ich einen Stuhl, stellte meinen kleinen Mozart darauf, und rückte selben zwischen seine zwei Schwestern. Nach beendigtem Unterricht fragte ich auch ihn über das Gelehrte, und immer zeigte es sich, dass er die vorgetragene Sache eben so gut aufgefasst habe, wie seine beiden Schwestern. Als nun diese einige kleine Übungen in einem Raum von 3 Tönen mit Begleitung der Geige singen konnten, sagte ich einmal, als eben gerade sein sel. Vater gegenwärtig war: Wie, Pepi, singe auch diese Töne! und er sang sie mit seiner schwachen Kinderstimme, zu meiner grössten Freude ebenso richtig wie seine beiden Schwestern.
Von seiner Emsigkeit und guten Anlage überzeugt, sagte ich zu seinem sel. Vater: Mit dem müssen wir Klavier spielen anfangen. Der sel. Vater lachte und antwortete mit diesen Worten: 'Ei, was fällt Ihnen nicht ein, was wollen Sie denn mit einem solchen kleinen Kind anfangen?'
Meine Antwort darauf war:
'Ja, wenn es etwas Rechtes werden soll, so muss man schon in frühester Jugend anfangen'. Lassen Sie mein Klavier (es verdiente diesen Namen wahrlich nicht, denn es war nur eine Klapper mit nicht ganz 5 Oktaven, wovon noch überdies von einer halben Oktave oben und von einer halben unten die Saiten fehlten. 0 göttliche Armut! Denn in meinem ganzen Leben bin ich noch nie so reich gewesen, mir nur ein halbwegs brauchbares Klavier anschaffen zu können), von Schaan herbringen und wir werdens probieren. Die Klapper wurde nun von Schaan nach Vaduz gebracht und der Unterricht begann. In kurzer Zeit sah der sel. Vater, dass es mit seinem kleinen Pepi schnell vorwärts gehe, und als ich ihm erklärte, dass wir auf dieser Klapper unmöglich weiter fortsetzen können, schrieb er nach Wien, und es kam in kurzer Zeit ein aufstehender Flügel [1], welcher im oberen Stocke in einem geräumigen, schönen Zimmer aufgestellt wurde. Von diesem kommt man rechts in ein kleineres Nebenzimmer, wo der arme Toni [2], dem kleinen Pepi sein Bruder, ich weiss nicht mehr wie lange schon, das Bett hüten musste. Dieser hörte immer den Unterricht und das Spiel seines kleinen Bruders Pepi und zeigte viel Freude und Vorliebe für Musik. Daher setzte ich ihm, sein langes Krankenlager etwas zu erleichtern, aus Glasspänen, welche ich von verschiedenen Glasern sammelte, eine 1 1/2 Oktav umfassende Glasharmonika zusammen, womit er dann mittelst 2 Hämmerchen kleine Stücke auf den Noten spielen lernte, wozu ihm wohl manchmal der kleine Pepi als Lehrer beigestanden sein mag.
Als Beweis seines Fleisses, seiner Tätigkeit und seiner Bruderliebe lege ich Ihnen die Orgelkompositionen bei, welche er mit Bleistift für seinen lieben Bruder Pepi kopierte und die ich, ich weiss nicht wie, unter meinem übrigen Plunder mitgenommen habe. Ich habe sie immer als teures Andenken aufbewahrt und bin nun herzlich froh, dass ich solche dem rechtmässigen Eigentümer zurückstellen kann, da ich nun im Besitze eines noch viel wertvolleren Andenkens bin.
Von nun an, hochverehrte, gnädige Frau, finden Sie das Kleeblatt immer an ein- und derselben Stelle versammelt. Sobald der sel. Vater wusste, dass der Lehrer kommt, war er gewiss alle Male ohne Ausnahme gegenwärtig und horchte, wie wir zwei, Pepi und Lehrer, miteinander verkehrten. Vater hatte immer seinen Platz hinter dem Tisch unter einem grossen Spiegel; Ihr hochverehrter Herr Gemahl als kleines liebes Büberl am Klavier, und der Lehrer neben ihm.
Wir hatten verschiedene Übungen in 5 Tönen mit ruhig stillstehender Hand auf der Klapper schon ziemlich eingeübt, aber sobald wir den Flügel hatten, gings erst recht drauf los. Zuerst in 5 Tönen, 5, 10, 20, 30, auch 100 Mal, so lang es eines Kindes Kräfte nur erlaubten. Dann je 1, 2, 3, 4, 5, 6 Oktaven oder gebrochene Akkorde, 100, 500 auch tausend Mal.
Ich musste aber um den Ehrgeiz meines kleinen Schülers zu befriedigen immer laut zählen. Wenn ich manchmal wahrnahm, dass mein kleiner Schüler von langen, anhaltenden Übungen erschöpft war und ich ihn fragte, ob er müde sei, oder die Arme erschlaffen wollten, nie kam ein Ja zur Antwort, denn sein Ehrgefühl hätte dies nicht zugelassen; nur aus seinem kindlichen Blick, mit dem er mich ansah, konnte ich lesen: Ja, Lehrer, ich bin müde, es ist genug. Bei diesen Übungen kam mir der treffliche sel. Vater mit seinen Zwanzigern treulich zu Hilfe.
Wir spielten die ersten zwei Jahre nebst den verschiedenen Übungen um die gehörige Geläufigkeit zu erlangen sehr viel zu 4 Händen, und zwar alles, was ich auftreiben konnte, da wir an anderen passenden Musikalien Mangel hatten.
Erst später spendierte uns der sel. Vater die Schule der Geläufigkeit von Czerny, nachdem wir die 100 Übungsstücke von selbem schon tüchtig durchgearbeitet hatten. Später zwei Bände Sonaten von Haydn, Don Juan von Mozart, kurz alles was uns unter die Hände kam. Uns, oder vielmehr meinen kleinen Schüler schreckte nichts mehr, wenn ich ihm nur an schwierigen Stellen den wichtigsten Fingersatz anzeichnete.
Hochverehrte, gnädige Frau! Nun will ich Ihnen auch sagen, wo Ihr hochverehrter Herr Gemahl, der gefeierte Tondichter, mein lieber Pepi, das erste Mal öffentlich als Klavierspieler auftrat und aller Augen auf sich zog. So wie an anderen Orten kam auch in Vaduz alle Jahre der Fasching. Mehrere Herren Beamte und Bürger ersuchten mich, ich möchte ihnen doch einmal eine Tanzmusik besorgen. Da aber Liechtenstein zur selben Zeit an musikalischen Kräften arm, ja sehr arm war, so sagte ich ihnen, sie möchten sehen, vom Kaufmann Schlegel in Schaan seinen Flügel, den er aus München bezogen und einen sehr kräftigen Ton hatte, zu bekommen und fürs übrige werde ich sorgen. Schlegel sagte zu. Dieser Kaufmann Schlegel hatte ein Töchterchen, welches wenigstens um 2 Jahre älter war als mein lieber Pepi. Sie besuchte bei mir die 1. Klasse der Volksschule in Schaan.
Ohne Mitwissen und ohne alle Veranlassung von Seiten ihrer Eltern, sondern bloss zu meinem Vergnügen, unterrichtete ich dieses Mädchen nach beendeter Schulzeit, und zwar schon einige Monate früher, als ich mit meinem lieben Pepi anfing, im Gesang und brachte ihr auch auf meiner Klapper die ersten Anfangsgründe im Klavierspiel bei. Als wir uns einmal vielleicht zu lange miteinander bei unserer Klapper verhielten, trat ihr Vater ganz unverhofft ins Zimmer, und fand uns bei derselben. Seffele [3], sagte ich, nun spiele dem Vater ein paar Stückchen vor! Es waren aber diese, die ich Ihnen beigelegt und die auch Ihr H.V. Herr Gemahl, der kleine Pepi, zuerst gespielt hat. Der gute Vater war ganz überrascht. Voll Freude ging er nach Hause und schrieb um obgenannten Flügel nach München. Das liebe Mädchen hatte auf Anraten ihres Lehrers zu Hause nie etwas merken lassen, dass sie ihr Lehrer im Gesang und Klavierspiel unterrichte.
Ich setzte nun Pepi (der das Mädchen schon weit überflügelt hatte) zur rechten und Seffeli zur linken Seite am Flügel und studierte mit ihnen verschiedene Partien von Lanner und Strauss ohne grosse Mühe ein. Der bestimmte Abend kam. Der gesamte hohe Adel, gemischt mit den angesehendsten Bürgern und allen Beamten des Fürstentums Liechtenstein und einigen Gästen aus Feldkirch waren versammelt. Nach beendetem Festessen setzte sich Pepi und Seffeli am Flügel, spielten eine Partie nach der andern von Lanner, Strauss u.a.m. herunter, dass es eine Freude war. - Den Applaus und die Verwunderung von allen Anwesenden können Sie sich vorstellen. - Das war bis heute der freudenvollste Tag meines Lebens, und das umsomehr, weil ich diese kostbare Perle, meinen lieben, lieben Pepi selbst gefunden und ans Tageslicht gezogen habe.
Von nun an bekam Pepi öfters Besuche, besonders von Musikfreunden aus Feldkirch, denen er vorspielen musste. Als einmal der Hw. Bischof von Chur [4] durch Liechtenstein reiste, liess er, als er an das elterliche Haus meines kleinen Mozarts hier ankam, Halt machen, stieg aus seinem Wagen, besuchte meinen lieben Pepi und liess sich von ihm vorspielen.
Später reiste Pepi in Gesellschaft seines sel. Vaters nach Chur, aus welcher Veranlassung weiss ich nicht; mir sagte nur der sel. Vater, dass er sich auch dort hören liess und grosses Lob und Verwunderung hervorrief.
Einmal nach beendigter Lehrstunde sagte der sel. Vater zu mir: Lieber Pöhli, jetzt haben wir unsern Organisten verloren, wo werden wir einen solchen hernehmen? Ich dachte eine zeitlang nach und sagte ihm: Haben Sie nur ein wenig Geduld, es wird sich wohl einer finden.
Pepi und ich setzten uns zusammen am Tisch vor ein Blatt Notenpapier und ich fing an, ihm den Dreiklang in seinen drei Lagen zu erklären. Nach diesem seine Umkehrungen, den 6-Akkord und Quartsext-Akkord. Ich liess ihn von nun an viel schriftlich arbeiten, indem ich ihm auf den angegebenen Grundtönen nur eine Ziffer schrieb, die den betreffenden Akkord andeutete und die er dann in vollständigen Akkorden mit Noten darüberschreiben musste, jedoch so, dass das Ganze eine Art Melodie bildete und das Ohr befriedigte. Als ich überzeugt war, dass er dies ganz los hatte, erklärte ich die Verwandtschaft der Töne und Tonarten. Zum Beweise, ob er mich verstanden, folgten wieder viele, recht viele schriftliche Aufgaben. Ein Fehler, den ich einmal korrigierte, kam zum 2. Mal nie mehr vor.
Ich weiss mich ganz gut zu erinnern, wie ich einmal zu ihm sagte: Pepi, jetzt kannst du dir den ganzen Freundschaftstonzirkel durch alle 24 Tonarten wohl selbst zusammensetzen? Er schaute mich mit seinen lieben, alles durchdringenden Augen an - und schwieg. Das Wort 'ich kanns nicht' kam nie über seine Lippen. Ich verstand ihn aber gut, er hatte die Sache nicht aufgefasst. Ich sagte dann: Sieh, mein lieber Pepi, wenn du vom Grundton C ausgehst und das erstemal eine kleine und dann eine grosse Terz fällst und den ersten Akkord Dur, den andern Moll darübersetzest, so kommst du durch alle 24 Tonarten durch, und zuletzt wirst du wieder in C-dur sein. Er schaute mich an - und sagte nichts. So komme ans Klavier, ich werde dir die Sache begreiflich machen. Nun also den Grundton C, den perfekten Akkord in der Oktavlage dazu, jetzt im Bass eine kleine Terz fallen, jetzt hast du den a-moll Akkord in der Terzlage in der Hand? Jetzt eine grosse Terz fallen - jetzt hast du ja den F-dur Akkord in der Quintlage u.s.f. Mache nur, du wirst es schon zusammenbringen, bis ich wiederkomme, nimm nur das Klavier zu Hilfe. - Als ich das nächste Mal kam, hatte er den ganzen Freundschaftstonzirkel zusammengesetzt, nur einige Male in der Lage gefehlt. Die Fehler wurden korrigiert und die Aufgabe wiederholt, und als ich das nächste Mal kam, rückte Pepi geschwind mit seinem Aufgabenbuch heraus, und der Freundschaftstonzirkel war korrekt durchgeführt. Dies tat er alle Mal, wenn er ganz sicher daran war, dass seine Aufgabe richtig sei; im umgekehrten Falle musste ich selber verlangen. Als wir oben Besprochenes wieder ziemlich inne hatten, gings über den Septimenakkord mit seinen Umkehrungen los. Da gabs wieder Aufgaben in Hülle und Fülle, welche alle mit bestem Willen hingenommen und ausgearbeitet wurden.
Mittlerweile unterhandelte ich mit einem Tischler in Schaan, einem gewissen Nägeli, ob er mir nicht auf der Orgel in Vaduz nach meiner Angabe ein neues Pedal über dem schon vorhandenen anbringen könnte, und zwar so, dass wenn das obere gedrückt, auch das untere mittelst eines Holzstabes mitgedrückt wird. Ich nahm Mass von meines Schülers kurzen Füssen [5], gab selbes dem Tischler und das Pedal wurde zu meiner vollsten Zufriedenheit hergestellt.
Nach beendeter Klavierlektion gingen wir manchmal in die Kirche in Vaduz, und Pepi spielte seine Akkorde oder ein Stück aus beiliegenden Orgelkompositionen von Martin Voigt.
Wir studierten auch heimlich vor seinem sel. Vater die grosse Vokalmesse [6] von selbem ein. Zu Schaan hatte ich ein gemischtes Quartett zusammengestellt und die nämliche Messe gut eingeübt und am Josefi-Fest [7], des sel. Vaters Namenstag, wurde sie zu seiner und zur Ehren Gottes mit vollster Zufriedenheit in der Kirche zu Vaduz aufgeführt. - (Bei dieser Messe war es, wo er mir ins Ohr flüsterte: Heute haben wir gewiss ein Kalbl bekommen!)
Auf dem Ball im Bräuhause in Vaduz war auch eine junge, erst neuverehelichte Frau des fürstlichen Gehägbereiters anwesend. Wenige Tage nach dieser Abendunterhaltung kam derselbe mit seinen 2 Schimmeln und die junge, erst neuverehlichte Frau im Wagen vor dem Schulhaus in Schaan angefahren. Herr Gehägbereiter kam zu mir ins Zimmer (der Unterricht hatte schon begonnen) und sagte zu mir: Pöhli, heute müssen Sie so gut sein und mit mir nach Feldkirch fahren. Die Antwort war, das darf ich nicht ohne Bewilligung des Hw. Herrn Schulinspektors.
Er ging, brachte die Bewilligung desselben und setzte mich zu seiner erst neuverehlichten jungen Frau in den Wagen und er kutschierte auf dem Bock. Während der Fahrt redete ich so hin und her, und da ich nicht erreichte, was ich wollte, nämlich den Zweck und die Ursache dieser Fahrt, so fragte ich, als wir Feldkirch immer näher rückten, die gnädige Frau, was denn der Zweck und die Ursache dieser Reise sei. Sie sagte mir: Sie müssen mit meinem Mann ein Klavier kaufen. Ja, wer will denn bei Ihnen Klavier spielen lernen? Das täten Sie nicht erraten, war die Antwort. In kurzer Zeit fragte ich wieder: Ja, wer will denn lernen? Und sie antwortete: Weil Sie es gerade wissen wollen, so will ich es Ihnen sagen: 'Ich will es lernen'. Die 2 Kinder, besonders der kleine Pepi von Rheinbergers, gefiel mir so ausserordentlich, dass ich den festen Entschluss gefasst habe, es auch zu lernen. O liebe, gnädige Frau, antwortete ich, Sie haben weder die Geduld noch Zeit dazu. Ich habe mit meinem Mann schon gesprochen, sagte sie, er lässt mir Zeit genug, und mein Entschluss ist fest gefasst, ich werde alles befolgen, was Sie mir sagen. Wir waren in Feldkirch angekommen, der Wagen hielt, wir stiegen aus.
Gehägbereiter und ich gingen. Als wir eine gute Strecke vom Wagen entfernt waren, sagte ich: Lieber Herr Gehägbereiter! Das Geld, welches Sie für ein Instrument ausgeben, geben Sie ganz unnütz aus, das kann ich Sie auf meine Ehre versichern. Sie können Ihrer Frau wohl die Zeit, aber die Geduld und Ausdauer können Sie ihr nicht geben, und hätte Ihre gnädige Frau tausend feste Vorsätze gefasst, es geht nicht mehr, das sage ich Ihnen noch einmal.
Er stutzte und dachte nach und sagte: Ja, was machen wir? Wir müssen eine Finte erdenken, sagte ich, und Ihrer gnädigen Frau weis machen und sagen, es sei gegenwärtig in ganz Feldkirch auch für teures Geld kein Klavier aufzutreiben und wir müssen eine kleine Zeit Geduld haben. Die gute gnädige Frau musste sich fügen, denn der Gehägbereiter kam zum zweiten Mal nicht mehr mit seinen zwei Schimmeln vor dem Schulhause in Schaan an.
Nun will ich Sie, hochverehrte gnädige Frau, auf einige Charakterzüge meines lieben Pepi, mit denen er sich von anderen Kindern unterschied, aufmerksam machen.
Er war schon als Kind voll Ernst, nicht leichtsinnig und flatterhaft wie andere gewöhnliche Alltagskinder, sprach sehr wenig, und nie habe ich ihn in Gesellschaft mit anderen Kindern oder einem Spielzeug spielen gesehen. Er war entsetzlich lernbegierig und wollte immer vorwärts. Als ich ihm aber sagte: Lieber Pepi! Aus den Leuten, die alles nur so oberflächlich nehmen und die Sache nicht gründlich lernen, wird nie etwas Rechtes, dies war genug. Mit gutem Willen rezitierte er wieder das Alte. Ich weiss mich nicht zu erinnern, dass er mir während unserer ganzen Lehrzeit nur einmal eine Veranlassung zu einer Rüge oder Zurechtweisung gegeben hätte. Indem ich sonst gewohnt bin, Kindern, wenn auch ihre Jugendfehler, nicht ungerügt durch die Finger zu sehen.
Trotz und Starrsinn kannte er nicht.
Er zeigte grosse Anhänglichkeit an seinen Lehrer; denn wenn er nur einigermassen die Zeit wusste, wann ich komme, ging er mir immer entgegen, reichte mir die Hand und wir gingen Hand in Hand an unser Werk. Ich sagte: Er war immer sehr ernsthaft; denn ich habe ihn niemals lachen gesehen oder gehört; er war ein Mann mit Charakter in seiner Art. Er war ein liebes, unschuldiges Kind, er war ein Engel. -
Danke hundert tausend Mal, für diesen mir so angenehmen Auftrag und für Ihr so wertes Schreiben, das mir so viele und grosse Freude verursachte. Immer klingen die Worte: 'Alles, was sich auf die Kinder und Lernzeit meines lieben Mannes, Ihres einstigen Schülers, bezieht, sind von grösstem Interesse', und wieder: 'Nicht nur wegen seines Könnens, sondern wegen seines braven Herzens', in meinem Herzen wieder.
Hochverehrte, gnädige Frau! Nochmals recht herzlichen Dank. Nun weiss ich, dass, so wie ich eine Perle an ihm, er eine kostbare Perle an Sie, dass er ein Herz gefunden, welches Seiner wert, dass er wahrhaft glücklich ist. -
Dies meine unermesslich grosse Freude. - Indem ich Ihnen meinen untertänigsten Handkuss melde, verbleibe ich mit grösster Hochachtung
Euer Hochwohlgeboren dankschuldigster
Sebastian Pöhly.
Schlanders, am 3. Juli 1876