Biographische Angaben zu J. Rheinberger von seinem Bruder David Rheinberger, Regierungssekretär
Sommer 1876, Vaduz
Der Vater wurde geboren am 19. Oktober 1789 Morgens ein Uhr im Zeichen des Skorpions als 2. Kind der Eltern Johannes Rheinberger u. der Josefa geb. Hartmann. Es wurde noch selbigen Tags in der Pfarrkirche zu Schaan auf den Namen Peter getauft. Als der taufende Pfarrer die Pathen fragte, welchen Namen das Kind bekommen solle, fiel es lhnen ein, dass sie vergessen hatten, die Eltern darum zu fragen. Der Pfarrer taufte es nun nach dem Tagesheiligen Peter von Alkantara. Als sie nun heim kamen u. die Mutter den Namen hörte, soll sie untröstlich darüber gewesen sein u. weinend gegen den Namen "Peterle" so lange protestiert haben, bis der Vater od. respective Grossvater gesagt habe, sie könne ihn ja Hans nennen, bei welchem Namen es dann nun verblieb. (Sein ganzes Leben lang hat ihn niemand Peter genannt.)
Diesen Eltern wurden später noch 4 Kinder, 3 Buben u. 1 Mädchen geboren, welche aber sämmtlich im Kindesalter zwischen 3 und 5 Jahren starben.
Peters Vater od. unser Grossvater war nicht mit Glücksgütern gesegnet, fast ein armer Mann; er hatte wohl ein Haus u. ziemlich viel Boden dabei, aber auch viel Schulden darauf, dafür war er aber ein für seinen Stand u. die damalige Zeit sehr gescheidter, im Schreiben, Lesen u. Rechnen wohl bewanderter u. hauptsächlich rechtschaffener u. streng religiöser Mann, daher auch allgemein geachtet u. angesehen. Von Temperament soll er sehr sanguinisch u. zornig gewesen sein (was der Vater in früheren Jahren auch war).
Er hatte den Dienst eines Amtsboten inne, d.h. well im ganzen Fürstenthum noch keine Postanstalt war, musste das hiesige Oberamt seine Briefschaften durch einen eigenen Boten auf die nächste Post nach Feldkirch bringen u. die ankommende von dort abholen lassen. Der dortige Postmeister v. Häusle soll ihm als ganz jungen Mann oft das Compliment gemacht haben: er sei der einzige Liechtensteiner, der correkt schreiben könne, was freilich nur beweist, dass der Herr Postmeister in diesen Sachen auch keine Autorität war, denn soweit hatte es der gute alte Amtsbote nicht gebracht. Manchmal hatte er auch Briefe u. Depeschen an die regierenden u. gnädigen Herren zu Werdenberg, Sargans [10], Zürich und Chur zu vertragen. Dieser Dienst trug ihm nun jährlich, wenn ich mich recht erinnere, 36 fl ein, dabei hatte er noch einige Acker Deputatgenuss u. vielleicht noch etwas Früchte. Das war ein schmaler Verdienst. Dann war er noch Einzieher von einigen Bündner Kapitalisten, was ihm auch etwas eintrug u. etwas Ordentliches verdiente er sich noch als Privatschreiber u. Rechnungsführer. Aus Allem kann man aber doch entnehmen, dass in seinem Hause während Vaters Kinderjahre mehr Schmalhans Küchenmeister war. Bis zum 10 t. od. 11 t. Jahr besuchte Vater keine Schule. Dann schickte ihn sein Vater einen Winter hinein, als er aber bis zum Frühling kein buchstabiren gelernt hatte, soll er sehr erbost gewesen sein u. erklärt haben, er wolle ihn nun selber in die Lehre nehmen, was er auch that u. welches dem Vater mehr Kopfnüsse u. Ohrfeigen als Freuden u. Brod eingetragen hat.
Die Jahre 1799 u. 1800 waren aber sonst noch traurige u. schreckliche Jahre für ihn, noch mehr für seine Eltern u. für Liechtenstein mitsammt der Umgebung. Es war zur Zeit der französischen Invasion. Nicht genug konnte der Vater u. früher auch die Grossmutter erzählen, was sie da ausgestanden hätten, von all dem Kummer und Sorgen, Angst u. Schrecken, der furchtbaren Einquartirung von Freund u. Feind, welche zwar schon 1796 begonnen hatten. Sie hatten manchmal bis 25 Mann im Haus liegen, u. das Haus war dazumal noch bedeutend kleiner. Bis 6. März 1799 waren nur Oesterreicher od. die Kaiserlichen, wie sie genannt wurden, im Land. Am 6. März brachen die Franzosen bei Trübbach u. Bendern über den Rhein u. trieben die Kaiserlichen vor sich her. Mein Vater musste das Bündel schnüren u. floh mit der Mutter u. den andern Geschwistern auf den Triesnerberg. Der Grossvater blieb. Aber schon am andern oder dritten Tag sei Botschaft gekommen, sie sollen wieder heimkommen. Am 22. u. 23 t. sollen sie den ganzen Tag gebetet haben, dass die Franzosen Feldkirch erobern (sie haben 2 Tage erbittert darum gekämpft, wurden aber blutig zurückgeschlagen), denn sie fürchteten, wenn sie zurückgeschlagen würden, würden sie auf ihrem Rückzuge Alles niedermachen. Indessen hatten sie auf ihrem Rückzuge keine Exzesse verübt. Der schlimmere Theil davon, dIe Ohnehosen [1] u. Marodeurs seien zwar nach Bendern u. von dort dem Rhein nach hinauf dirigirt worden.
Die Franzosen zogen nun ab aus dem Liechtensteinischen, dafür kamen aber wieder Kaiserliche in's Land, die puncto Sicherheit des Eigenthums auch nicht besser gewesen sind. Bald nachher muss seine Mutter an der Auszehrung gestorben sein, ohne das Ende des Krieges erlebt zu haben, um das sie so oft mit dem Grossvater u. den Kindern auf den Knien gebetet haben soll, um nur noch einmal eine Suppe allein essen zu können.
Der Vater u. seine zwei noch lebenden Geschwister, wovon das jüngere 4 Jahre alt war, waren nun ganz verwahrlost, denn ihr Vater war in diesen Kriegsjahren hauptsächlich von 1798 bis 1801 den grösseren Theil ausser Haus beschäftigt. Er war der Einzige im Lande, den man als Einquartirungscommissär verwenden konnte u. daher auch verwendet wurde; dabei hatte er auch alle Verpflegsrechnungen zu führen. Während dieser Zeit nun wurde Vater als Hudelbub (od. wie man jetzt sagen würde: Bub für Alles) beim Rentmeister Fritz angestellt, wo sich eine menschenfreundliche Magd sich seiner auch körperlich annahm. Sein Herr, der Rentmeister, hatte ihn u. seinen Vater zwar sehr gerne u. protegirte sie, wo er konnte.
Eine Episode aus dieser Zeit, es war 1800 u. die Franzosen zum 2. mal im Land, hat er mir oft erzählt. Der Rentmeister liess ihm ein ganz schönes, neues blautuchenes Kleid machen, mit dem er dann am nächsten Sonntag auf dem Kirchenplatz herumstolzirte. Das sah der um ein paar Jahre jüngere Sohn des Landvogts Menzinger [2], Namens Michi (Michael) später dann Landesverweser - ein etwas giftiger und hochfahrender Bube, der den Vater schon damals nicht leiden konnte. Dieser Michi war ihm nun neidisch auf das neue Kleid u. weil es gerade kothig gewesen sein soll, habe er eine Hand voll Koth aufgenommen u. den Vater damit beworfen. Dieser habe sich diese Freundschaftsbezeugung zweimal verbeten, da aber Michi keine Ruhe gegeben, habe er ihn selber in den Koth hinaus geworfen. Dieser Balgerei habe die Mutter Michi's mit ihrem Hofmacher, dem alten Dr. Grass, von ihrem Fenster aus zugesehen u. als sie wahrgenommen, dass ihr sauberes Büblein den Kürzeren gezogen, habe sie ein grausiges Zettergeschrei angefangen, sei zu ihrem Mann gerannt u. verlangt, dass er den Bauernlümmel exemplarisch dafür züchtige. Dieser war, wie später sein Hr. Sohn Michi, gewohnt zu Allem ja zu sagen, was seine Frau für gut fand, u. schickte deshalb den Weibel [4]in Rentmeisters Haus um den Bauernlümmel, da er zu Haus doch nicht gezogen werde, in's Amt abzuholen u. dort durchzupeitschen. Rentmeister Fritz war aber, als der Weibel in's Haus kam u. ihm seinen Auftrag mittheilte, anderer Meinung u. liess den Buben nicht abführen, sondern begab sich selbst zum Landvogt, um demselben darüber Vorstellungen zu machen. Als dieser aber keine Vernunft annahm u. von seinem Vorhaben nicht abstehen wollte, sondern auf der öffentl. Züchtigung bestand, verfügte er sich gleich in das Adlerwirthshaus daneben, wo der Grossvater amtirte u. theilte ihm den Fall mit. Dieser, ein zornwüthiger heftiger Mann, fing über diese Brutalität gleich einen gewaltigen Spektakel an, der Adlerwirth Rheinberger, der es auch mit angehört, desgleichen u. erzählten es einem anwesenden französischen Rittmeister der Chasseurs aux Chevaux. Dieser ergrimmt über derartige Justiz habe ausgerufen: "Was Bub schlagen - will Landvogt Übermuth schon austreiben" u. habe Landvogts sogleich 25 Mann Rossschwänzler, wie die Chasseurs genannt wurden, als Einquartirung eingelegt, so dass die ganze Familie selber ausziehen musste u. das Prügeln darüber vergass. Mein Vater hat es aber nie vergessen.
Mit den während dieser Zeit zum zweitenmal u. länger sich hier aufhaltenden Franzosen soll sich Vater recht gut vertragen haben, die Soldaten hätten ihn liebgewonnen, ihn auf ihren Spaziergängen mitgenommen u. sollen sogar auf die Ausbildung seines musikalischen Talents bedacht gewesen sein, indem sie ihn trommeln lehrten. Er habe das edle Kalbfell prächtig zu behandeln verstanden. Einmal hätte ihm seine Kunst aber bald Unannehmlichkejten zugezogen, indem er zu unrechter Zeit Generalmarsch geschlagen, was einen gewaltigen Zusammenlauf der Franzosen zur Folge gehabt habe u. von welcher Zeit an niemand ihm das Kalbfell mehr anvertraut habe.
Am 21. Juli 1801 heirathete der Grossvater zum zweitenmal mit Agathe Kissling von Diessenhofen, eine Person, die 4 Jahre älter war als er, aber eine tüchtige, verständige u. brave Hausfrau abgab, hingegen auch wenig Vermögen hatte. Sie führte vorher ihrem Onkel [5], der Hofkaplan in Schaan war, das Hauswesen u. stammte von einem türkischen Grossen (sie sagte von einem Prinzen) ab, der bei der zweiten Wiener Türken-Belagerung gefangen und einem Grafen Stein geschenkt worden sei.
Diese neue Mutter scheint ein ziemlich strammes Regiment im Hause geführt zu haben, aber dennoch keine böse, sondern eine sehr sorgsame Stiefmutter gewesen zu sein. Sie war dem Vater zeitlebens anhänglich und hielt Alles auf ihn. Der Vater war zu dieser Zeit wieder im Hause. Er musste auch dann u. wann wieder einen Winter die Schule besuchen, einen Winter bei einem Hofkaplan, einen andern beim Vater des jetzigen Försters Hartmann (Namens Benedikt), der die nützlichen Berufe eines Kesselflickers, Buchbinders u. Schulmeisters vereint od. abwechselnd ausübte. Was er bei dem erlernt, kann man sich vorstellen. Anno 1802 u. 1804 wurden ihm noch 2 Schwestern geboren.
Wie er heranwuchs, wurde er auch streng zu allen häuslichen u. Feldarbeiten angehalten; die Gelegenheit zum Lernen musste er sich immer mehr u. mehr erstehlen. Bald stellte sich bei ihm eine grosse Neigung u. vorzügliches Talent für Mathematik heraus. Ich weiss nicht mehr, wie u. woher er überall die Lehrbücher dazu auftrieb. Sein Vater schaffte ihm keine an, obwohl er sonst auch ein grosser Liebhaber von Büchern war u. ein bedeutendes Sammelsurium davon beisammen hatte, nur keine mathematische od. wenigstens sehr wenige. Der Vater musste sie nun von allen Ecken und Enden zusammenschleppen, betteln, ausborgen u. nicht mehr zurückstellen. Die Botendienste nach Feldkirch musste er nun für seinen Vater thun. Dieser gab ihm dann 6 Kreuzer Zehrung mit auf den Weg, welche er sich aber meistens aufsparte, indem er ein Stuck Türkenbrod [6] von heim weg mitnahm u. bei dem Schwabbrunnen (wo gutes Wasser zu haben ist) zwischen Nendeln u. Schaan einbrockte. Die so ersparten Kreuzer verwandelte er dann zu Büchern u. mathematischen Instrumenten. Den ersten Messtisch verfertigte ihm dann ein Kamerad, der ein Zimmermann u. Rechenmacher war, den zweiten besseren ein Tischler u. Glaser. Ein Kreuz für ihn war, dass er bei Tag immer streng zur Arbeit angehalten wurde u. bei Nacht wollte man ihm, wenigstens zur Sommerzeit, kein Licht gönnen, weil es zu viel kostete. Da musste er nun Algebra u. Geometrie beim Mondschein studiren, wenn solcher war, wenn nicht, erfand er ein anderes Mittel. Er höhlte Rüben aus, füllte sie mit Oehl u. steckte einen Nachtlichtdocht hinein. Dabei fing er auch zu Zeichnen an u. bekam eine sehr gute Handschrift, so dass er auch mit Abschreiben etwas verdienen konnte.
Als er 20 Jahr alt war - anno 1809 als Vorarlberg bayerisch wurde u. Bayern die St. Luzilehen [7] bei Bendern vermessen liess, übernahmen er u. sein Vater diese Arbeit, wobei er täglich, wenn ich mich recht erinnere, 8 fl verdiente, was für damalige Zeit ein schönes Verdienst war, dabei lernte er Leute u. Verhältnisse am Eschnerberg gründlich kennen. Anno 1810 u. 11, wo die Grundbücher angelegt wurden, verdiente er wieder viel mit Feldmessen, was zur Folge hatte, dass er dann auch flott lebte. In dieser Zeit trat eine Krisis in seiner Gesundheit ein. Bis zum 16 t. od. 17 t. Jahr soll er klein geblieben sein u. nichts gewachsen haben, von da an habe er zu wachsen angefangen u. soll binnen höchstens 2 Jahren ausgewachsen gewesen sein. In Folge dieses schnellen Wachsens u. angestrengter Arbeit wurde seine Gesundheit bedeutend erschüttert. Im 21 t. od. 22 ten Jahr bekam er starken Husten unter anderen Krankheitserscheinungen, die auf gallopirende Schwindsucht schliessen liessen. Rationelle Arzte waren damals keine in Liechtenstein. Die damaligen sogenannten Drs Grass u. Schädler, Väter der späteren Doctores Grass u. Schädler, waren nur Chirurgen. In Werdenberg war aber ein Wassergucker [8], Namens Hilti, auch Doctor gescholten, der einen grossen Zulauf hatte. Zu diesem ging auch der Vater u. liess sich längere Zeit von ihm behandeln, ohne dass Besserung eintrat. Endlich erklärte ihm dieser Doctor, dass er ihm nicht mehr helfen könne, weil er die Auszehrung im höchsten Grade habe u. dass es nicht mehr lange mit ihm gehen könne. Er solle noch nach Fideris [9] hinein gehen, vielleicht helfe ihm das noch. Mit dem Vater sei auch noch ein Auszehrender von Sargans zu diesem Wassergucker gekommen, den er auch nach Fideris geschickt, ihm aber umgekehrt die besten Hoffnungen gemacht habe.
Er ging trostlos heim, erzählte den Seinigen diese schlimme Botschaft, worüber grosses Jammern u. Wehklagen im Hause entstanden sei, weil er doch der einzige Sohn und die Stütze der Familie war. Es wurde aber beschlossen, das letzte Mittel zu probiren und ihn nach Fideris zu schicken. Er konnte zufällig mit dem alten Dr. Grass [3], der einen Besuch in Maienfeld od. an der Zollbrücke zu machen hatte, bis dorthin mitfahren. Dieser tröstete ihn dann auf dem Weg wegen seiner Krankheit, behauptete, dass er nicht auszehre, Fideris werde ihm gut anschlagen u. er noch ein steinalter Mann werden. Er war ein guter Prophet! Er soll sich gut halten, in 8 Tagen werde er selber auch nach Fideris kommen u. dann könne man weiter sehen. Als der Vater nach Fideris kam, war der Sarganser, dem der Werdenberger Doctor so tröstliche Zusicherungen gegeben, schon da, aber in einem solchen Zustande, dass ihm der Vater den Rath gab, auf der Stelle nach Hause zu fahren, wenn er noch lebendig heimkommen wolle. Das Fahren war aber damals auf den Wegen, wie sie bestanden, u. mit den Wägen, die man hatte, eine eigene Kurverei; wer auf den Füssen noch ein wenig stehen konnte, zog es vor zu gehen. Der Sarganser musste aber fahren u. kam doch nicht mehr lebendig heim.
Als Dr. Grass dann in 8 Tagen wirklich nach Fideris kam, habe er den Vater wie närrisch beim Tanzen angetroffen, so gut hatte er in dieser Zeit gebessert. Grass habe aber doch den Kopf dazu geschüttelt u. gemeint, das Tanzen solle er einstweilen doch noch bleiben lassen. Nach 14 Tagen habe er Fideris sozusagen gesund verlassen u. hatte später keine derlei Affairen mehr zu bestehen.
Er war jetzt auch in das Alter vorgerückt, wo die jungen Männer mit Vorliebe über den biblischen Spruch nachdenken, dass es nicht gut sei, dass der Mann allein stehe, sondern dass er auch eine Männin haben müsse. Dieser Gedanke scheint ihn viel geplagt zu haben bei Tag u. Nacht, am Suchen hat er es auch nicht fehlen lassen, ebenso wenig scheint es am Finden gefehlt zu haben, wohl aber am Festhalten. Nach seinem und anderer Leute Erzählen (denn er hat mir natürlich nicht Alles erzählt) hat er beim andern Geschlecht viel Glück gehabt, wurde aber nach u. nach wegen seiner Unbeständigkeit etwas anrüchig. Ein paarmal glaubte er die Wahre gefunden zu haben, sein gestrenger u. weniger romantisch gesinnter Herr Papa aber wollte von allen diesen Herzensbedürfnissen noch gar nichts verstehen u. wies ihn immer barsch ab, so oft er sich unterstand, etwa auf den Busch zu klopfen. Auch sah er fleissig nach, ob er Nachts auch daheim im Bette sei. Da musste dann mit Vorsicht gehandelt werden u. so oft er sich dann Nachts durch das Fenster davon schlich (er schlief im Kämmerlein neben der Küche, wo Mali [11] sel. ihren Schmollwinkel hatte), legte er einen Klotz Holz statt seiner in das Bett u. stülpte ihm eine Nachtmütze auf, wissend dass sein Vater beim Nachsehen kein Licht mitnahm. Da hat ihm das schlechte Gewissen einmal einen fatalen Spuk gespielt. Als er einmal Nachts wieder heirnkehrte, schlug er einen Fussweg ein, der von der jetzigen Post durch die Flur, wo hohes Schilf wuchs, hinter unser Haus führte. Auf einmal raschelte es hinter ihm, er wendete sich rasch um u. sah ein grosses, schwarzes Thier mit feurigen Augen, wie ihm sein ängstliches Gewissen vormalte, vor sich stehen. Damals spukte es nämlich dort herum noch ganz gewaltig. Der Spuk hiess allgemein das Äulethier [12] u. trieb sein Unwesen in Gestalt eines schwarzen Hundes od. Bockes. Der Vater, an u. für sich weder furchtsam noch abergläubisch, fühlte sich doch auf unrechter Fährte und hielt es für gerathsamer auf der Landstrasse heimzukehren, wo er bald in schnelleres Tempo und zuletzt ins Laufen gerieth. Je mehr er aber lief, in desto grösseren Sätzen setzte ihm das Unthier nach. Als er endlich fast athemlos das Leiterlein vor seinem Fenster erreichte u. schon den Fuss darauf setzte, erwischte ihn endlich das Gespenst an den Hosen. Er hätte gerne aufgeschrien vor Angst, aber aus Furcht sein Vater könnte es hören, unterdrückte er den Schrei u. sah sich nach dem Unthier um, welcbes aber anstatt ihn zu zerreissen od. davonzutragen ihn ganz freundlich beleckte u. vor Freuden winselte. Es war ihr grosser schwarzer Haushund.
Im Jahre 1814, in seinem 25ten Jahre, trat endlich ein wichtiger Wendepunkt in seinem Leben ein. Der Seminar-Regens von St. Luzi in Chur, Hr. Gottfried Purtscher, der Gründer u. Aufrichter des Seminars, von Geburt ein Tiroler, der fähigste, energigste u. populärste Priester der Diözese, dabei von weltoffenem Charakter, suchte einen jungen fähigen Mann, der die Landwirtschaft gut verstehe u. zugleich im Lesen, Schreiben u. Rechnen gut bewandert sei.
Ein gewisser Tschofen recommandierte demselben den Vater. Der Regens stellte ihn nun als Oekonom des Seminars mit dem Titel Hausmeister an. Als Gehalt bekam er freien Tisch mit den Geistlichen, ein anständiges Zimmer u. 100 fl Bündner Währung à 2 Zwanzigern. Damit hatte er für seine gewohnten Verhältnisse u. für die damalige Zeit ein splendides Auskommen, so dass er auch noch zeitweise seinen Vater unterstützen konnte. Er wusste sich bald das allgemeine Zutrauen und die Achtung Aller zu erwerben mit denen er sowohl in geschäftlicher als privater Beziehung in Berührung kam. Einige Geistliche des Seminars, wie z.B. der Professor der Physik Ignaz Purtscher, ein Bruder des Regens, sodann Anton Tepfer, Professor der Philosophie u. einiger Disciplinen der Theologie, ein Mann, der für ebenso fromm als gelehrt galt u. später im Rufe der Heiligkeit starb, versuchten ihm auch in wissenschaftlicher Beziehung nachzuhelfen. Ersterer war ihm besonders in der Mathematik behilflich. Auch musste er Latein und Italienisch anfangen, was er aber bald wieder auf gab, weil er keine Anlagen zu fremden Sprachen zu haben glaubte. Auch scheint es sein Vater nicht gern gesehen zu haben, weil er vermuthete, die Geistlichen beabsichtigten ihn für ihren Stand zu gewinnen, was nicht ganz ohne Grund gewesen sein mag.
Auch Werboffiziere suchten ihn zu gewinnen, so ein gewisser Major Sprecher von Chur, der ihn überreden wollte als Feldwebel in ein holländisches Schweizerregiment einzutreten, dazu hatte er aber keine Lust u. wohl mit Recht. Gerne hätte er sich im Zeichnen ausgebildet, aber gerade dazu fand er am wenigsten Gelegenheit. Dies fühlte er recht lebhaft, als zu dieser Zeit das Projekt der Durchführung der Strasse durch die Via mala hinter Thusis zur Sprache kam u. Ingenieure aufgefordert wurden, diesbezügliche Pläne auszubreiten. Der Ehrgeiz kitzelte ihn auch; obwohl er sich natürlich nicht einbildete, Ingenieur zu sein, ging er doch frischweg an die Arbeit, machte Studien u. Pläne in der Absicht sie der Graubündner Regierung einzureichen. Aber er sah ein, dass er seine Zeichnungen nicht einreichen durfte. Man rieth ihm die Pläne in Innsbruck zeichnen zu lassen u. sie dann erst der Regierung zu übergeben, was er auch that. Das Projekt soll günstig aufgenommen worden sein u. der Hauptsache nach wenig Abänderung bei der Durchführung erfahren haben. Die Ausführung od. der Bau der Strasse wurde einem piemontesischen Ingenieur Namens Poccobelli übertragen welcher bei dieser Gelegenheit auch den Vater kennen lernte u. ihm den Antrag machte, bei ihm zur Ausbildung im Ingenieurfache einzutreten. Der Vater wäre nun diesmal mit Leib u. Seele dabei gewesen, aber wiederum legte sein Vater sein gewohntes Veto ein u. er musste mit schwerem Herzen auf dieses für ihn so verlockende Anerbieten verzichten. Das war auch wirklich ein Weg für ihn u. bedeutungsvoll für sein ganzes Leben, denn bei seinen ausgesprochenen Anlagen für das Ingenieurfach hätte er es gewiss zu damaliger Zeit zu einem Ingenieur von Ruf gebracht, auch ohne spezielle theoretische Fachbildung. Für ihn trat Lanicca ein, der sich später als Ingenieur einen europäischen Ruf erwarb, freilich hatte derselbe eine fachwissenschaftliche Vorbildung genossen. Er wurde später in den Vierziger Jahren noch ein guter Freund des Vaters. Oberst Lanicca lebt noch geehrt als hoher Achtziger in Chur.
Um aber wieder auf Vaters Aufenthalt in Chur zurückzukommen, muss ich auch noch Eines erwähnen. Er wollte auch noch musikalisch werden u. verlegte sich auf die Flöte. Er brachte es zu einigen Ländlern, die er uns Kindern lang nachher auf unser zudringliches Betteln öfter vorspielte, die Flöte aber immer schnell weglegte mit der Behauptung, es sei falsch gespielt. Wir glaubten es aber nicht od. es kam uns gleich schön vor, ob falsch od. richtig.
Des Vaters Aufenthalt in Chur dauerte fünf Jahre, von 1814 bis 1819. Es werden wohl seine schönsten und glücklichsten Jahre gewesen sein u. blieben für ihn zeitlebens bedeutungsvoll, auch für seine Familie. Die tonangebenden u. bedeutendsten Geistlichen im Seminar, die Tepfer und Purtscher, lauter Tiroler u. der spätere Bischof Kaspar von Carl [13] bewahrten ihm, so lange sie lebten, ihre Hochachtung, Freundschaft u. Liebe. Sie waren in unserem Haus oft u. gerne gesehene Gäste. Das Seminar versah lange Zeit ex currendo die Pfarrei Bendern u. die Kaplanei zu Balzers u. meistens kamen dann die Tepfer od. Purtscher herunter u. am allermeisten, so lang er lebte, der Regens. Ich kann mich dieses Mannes noch ganz gut erinnern, obwohl er schon im Dezember 1830 starb, wie er vor das Fenster bei der Hausstiege hergeschritten kam, einen breitkrempigen Hut über dem ernsten u. strengen Gesicht u. dann mit der Reitpeitsche an das Fenster klopfte. Der Vater öffnete dann immer rasch mit einem recht herzlichen u. warmen "Grüss Gott Herr Regens" das Fenster u. wir Kinder jubelten unisono: der Regens ist da.
Im Jahre 1819 starb der Amtsschreiber Kirchthaler, Vater des jetzigen Kirchthaler, welcher schon bei seinen Lebzeiten, als er aber merkte, dass es mit ihm bald zu Ende gehen werde, meinen Vater, den er sehr wohl leiden konnte, dem Landvogt Schuppler [14] als seinen eventuellen Nachfolger empfahl. Der Vater bekam dann auch wirklich diese Anstellung mit dem Titel eines Aktuar u. verliess Chur im J. 1819, ich weiss aber nicht ob vorn od. hinten im Jahr. Auch musste er auch noch ein Jahr lang öfter, ich glaube wöchentlich, hinauf nach Chur um seinen alten Geschäften nachzusehen, bis sich ein geeigneter Nachfolger für ihn gefunden hatte.
Noch während seines Aufenthaltes in Chur machte er die Bekanntschaft meiner sel. Mutter. Ob die Bekanntschaft lange gedauert, weiss ich nicht. Besucht hat er sie von Chur aus oft. Häufig habe er am Abend sein Pferd gesattelt (beim Regens od. besser gesagt vom Regens, der zuerst, bevor er Priester wurde, bei den Husaren gedient hatte u. daher ein tüchtiger Reiter war, hatte er auch reiten gelernt) u. sei zu seinem Meili (Maria) nach Schaan hinunter geritten, wobei er dann natürlich vergessen hatte, daheim zuzukehren. Sei etwa bis 12 Uhr geblieben u. am Morgen wieder in Chur gewesen. Einigemal sei es ihm passiert, dass er im Schlafe vom Pferd gefallen, ohne sich aber zu schädigen.
Als er nun Aktuar u. nach damaligen liechtensteinischen Ansichten ein Herr geworden, durfte er nun auch an's Heirathen denken, sein Vater hatte nichts mehr dagegen einzuwenden; auch hatte er schon das 30te Jahr erreicht. Seinen Schwiegereltern war er auch willkommen. So wurde dann geheirathet und am 6. November 1820 im Adler zu Vaduz Hochzeit gehalten.
Am 27t. Febr. 1822 wurde ihm das 1t. Kind geboren, Joh. Luzius, am 26t. Juli 1823 das 2t. David, und so ging es vorwärts bis 4 da waren. Er lebte mit seinen Eltern u. Schwestern, solange diese noch ledig waren, in einer Haushaltung u. soviel ich weiss u. immer gehört habe, ganz in Frieden, was hauptsächlich daher kommen mag, dass der Grossvater das Heft fest in Händen behielt u. ein unpartheiisches Regiment führte. Er kam daher auch billiger davon, als wenn er eine eigene Haushaltung führte, obwohl er für die damalige Zeit od. im Verhältniss zu jetzt ein anständiges Auskommen hatte. Das Baargehalt war zwar nur 300 od. 340 fl RW [15] , die Deputate u. Abschriftsgebühren betrugen aber auch so viel; er stand sich also auf ungefähr 700 fl - was jedenfalls so viel werth war als jetzt 1400-1500 fl. Dabei war Niemand im Hause an Luxus gewöhnt u. Alles arbeitete. Von seiner Frau resp. meiner Mutter hatte er noch nichts. Vater war zu stolz eine Mitgift anzunehmen, weil ein Schwager seines Schwiegervaters ihn vor der Verheirathung einen Hungerleider (weil er kein Vermögen besass) genannt u. wiewohl vergeblich, die Schwiegereltern zu bestimmen versucht hatte, ihre Einwilligung zu versagen. Vater war aber bedeutend dadurch vor den Kopf gestossen. Am Tage nach der Hochzeit schickte er auch alle Kleider, welche die Mutter mitgebracht hatte, wieder an ihre Eltern zurück, was von ihm nicht delicat u. für die Mutter u. ihre Eltern eine unverdiente Kränkung war, da diese letztern nie gegen seine Verheirathung mit ihrer Tochter waren u. ihm auch ihr ganzes Leben lang ihre unbedingteste Zuneigung u. treueste Anhänglichkeit bewahrten. Auf ihre Hilfe u. Unterstützung konnte er stets rechnen. Ein Pferd nahm er später von ihnen doch noch an.
Mit seinem Chef - Landvogt Schuppler - eine Art türkischer Pascha - kam er wie es scheint im Allgemeinen recht gut aus, obwohl derselbe hochmüthig auf Alles herunter sah, was nicht über ihm stand u. über sich erkannte er nur seinen Willen (denn der Himmel war hoch u. der Czar - hier der Fürst - weit weg); der Haselstock war sein Gesetzbuch. Wer es nicht glauben wollte, bekam ihn zu schmecken. Daher es denn auch bald allgemein hiess: der Landvogt hat gesprochen, die Sache ist vorbei. Es konnte nicht verfehlen, dass etwas von diesem diktatorischen Wesen nach u. nach auch auf den Vater überging, der dazu Anlagen hatte u. zur Folge, dass er sich beim Volk auch vielfach verfeindete. In späteren Jahren verlor sich diese Eigenschaft freilich wieder u. mit zunehmendem Alter schlug sie sogar ins Gegentheil über.
Viel Amtsgeschäfte gab es damals nicht, jetzt würde man sagen: rein nichts. Nur an Vormittagen gab es Arbeit. An Nachmittagen konnte der Landvogt in der Kanzlei den Cicero übersetzen, der Vater Sonnenuhren machen. Anfangs 1827 musste Schuppler endlich weichen; der Bischof Buol in Chur [16], mit dem er während seiner ganzen Amtsdauer in Fehde lag, brachte ihn nach langem Ringen zu Fall. Schon 2 Jahre vorher hatte er seine Abberufung erwirkt; aber da die Bevölkerung trotz seines gewaltthätigen Gebahrens für ihn u. seine Familie eingenommen war u. für sein Verbleiben petitionierte, wurde seine Versetzung damals rückgängig gemacht. Die letzten 2 Jahre soll er aber dann auch ein ganz anderer u. leutseligerer Mann geworden sein; der Haselstock sei viel weniger mehr in Thätigkeit gesetzt worden.
An Lichtmess 1827 ist Hr. Schuppler auf Nimmerwiederkehr abgefahren. Und dieser Mann hat eine rührende Anhänglichkeit an Land u. Leute, die er so lange knechtete, bewahrt. Als er in seine alte Heimath Mähren zurückkam, gefiel ihm u. seiner Familie nichts mehr. Seine Familie selber war aber hier allgemein beliebt. Er selber war aber auch nur Pascha im Amt, im Privatleben soll er leutselig gewesen sein. Er überlebte seine Versetzung nicht lange u. starb anfangs der 30gr. Jahre. Auf ihn folgte Landvogt Pokorny, ein Mann von zeitgemässeren, milderen u. aufgeklärteren Ansichten. Mit diesem Mann brachen für den Vater auch die angenehmsten Dienstjahre an. Hr. Pokorny erwies sich nicht nur als sein wohlwollender Vorgesetzter, sondern auch als sein uneigennütziger, aufrichtiger u. treuer Freund. Beamte waren damals ihrer nur wenige; das ganze Collegium bestand aus dem Landvogt, dem Rentmeister u. Aktuar. Es war deshalb auch noch leichter einträchtig zusammen zu leben. Pokorny wusste aber nicht nur die paar Beamten zusammen zu halten, sondern auch noch die andern Honorationen, die damals in Liechtenstein waren, sowie die gesammte Geistlichkeit. Sie harmonierten Alle herrlich zusammen. Arbeit gab es auch noch nicht viel in der Kanzlei.
(Hier muss auch noch gleich angefügt werden, dass den Herbst, bevor der Pokorny kam, unser späterer Onkel Carigiet [18] die Pfarrpfründe Schaan bezog - Martini 1826 - u. wurde ein wichtiges Glied in dieser Kette, auch einheiterer Gesellschafter.)
An Nachmittagen wurde aber jetzt statt Sonnenuhren machen und Cicero übersetzen tüchtig gejagt, woran sich auch Dr. Grass sehr fleissig bethätigte. Währenddessen bereitete sich für den Vater eine bittere Prüfung vor. Die Mutter kränkelte schon lange u. starb endlich am 30. März 1828, nachdem ihr der Grossvater am 16t. Februar in's Jenseits vorangegangen war. Der Vater war nun Witwer mit 4 unmündigen Kindern, wovon das jüngste 1 1/2 Jahr alt der Mutter bald nachfolgte. Des Vaters Schwestern waren schon seit einer Reihe von Jahren hinaus verheirathet u. er war nun mit seinen Kindern ganz auf seine auch schon betagte Stiefmutter u. eine etwas einfältige ältere Schwester Namens Klara angewiesen. Wir Kinder hatten aber an unserer Stiefgrossmutter eine sehr sorgfältige u. tüchtige Erzieherin behalten u. es kam uns sehr wohl, dass sie noch lange lebte.
Im Jahr 1829 im Sommer theilte man mir mit, dass ich eine neue Mutter bekommen solle, die sich im Schaaner Pfarrhof aufhalte u. eine Schwester des dortigen Pfarrers sei u. ebenso eine neue Grossmutter, die viel Kaffee trinke u. immer mit dem Kopf wackele, es würden beide auf den nächsten Sonntag zum Besuch erwartet.
Sie kamen auch u. ich kann mir noch recht gut vorstellen, wie sie in der sogenannten oberen Stube den Kaffee getrunken haben, wie ich neugierig ihnen gegenüber am Tisch gestanden bin u. die beiden Frauen betrachtet habe, von denen mir die mit dem zitternden Kopf ungemein interessant vorkam. Ich kann mir die alte Frau auch jetzt noch ganz gut am Tische sitzend vorstellen, während mir von der Mutter aus damaliger Zeit kein Zug mehr in Erinnerung geblieben ist. Am [das Datum nicht bekannt] [19] war Hochzeit u. F[eier] in Rankweil. Anno 1830 wurde der Vater Grundbuchführer, vor ihm war kein solcher angestellt. 1831 war ein sehr böses Jahr für die Beamten, ein Collega des Jahres 1848. Nachdem im J. 1830 die Revolution in ganz Europa herum gespukt hatte, glaubten die Liechtensteiner auch so etwas nachträglich noch aufführen zu müssen, ansonsten es das Ansehen gewinnen könnte, als wenn sie nicht mit der Zeit fortgeschritten wären u. nichts von den Weltereignissen wüssten. Einen Vorwand gab die Anfangs 1831 anbefohlene neue Rekrutierung. Seit den Jahre 1815 waren die Liechtensteiner nämlich von dem Soldatenspielen [20] verschont geblieben; im Jahre 1830 sah sich der deutsche Bundestag durch die überall sich kundgebenden feindseligen Manifestationen der Völker durch sein böses Gewissen aus seiner faulen Lethargie zur Abrechnung wieder einmal aufgeschreckt. Er machte die Entdeckung, dass das Conzerdt der politisch militärischen Nachtwächter in Deutschland noch nicht vollständig ausgefüllt sei, so lange Liechtenstein darin fehle u. der Ukas zur Aufstellung der so berüchtigt gewordenen 55 Mann erschien alsbald. Die Panik im Lande, als es hiess es müsse wieder gespielt werden, war gross, noch grösser aber der Spott im Ausland. Die Leute glaubten nichts anderes, als es stehe ein zweiter Feldzug nach Russland od. weiss Gott wohin bevor.
Einen weiteren Vorwand zum Krakehlen gaben die Grundbücher. Obwohl schon seit dem J. 1811 bestehend, hatten sich die Leute doch noch nicht mit diesem Institut befreunden können. Diese Bücher hatten u. haben noch die böse Eigenschaft, dass in ihnen die Schulden u. Servituten genau vorgemerkt waren. Daher fort mit den Büchern u. denn auch mit den Schulden. Aufhetzereien von Arbeitern, die im J. 1830 das Krakehlen in Frankreich gelernt hatten, kamen dazu, u. der Rummel brach los, als im Frühjahr die Rekrutenaushebung wirklich vorgenommen wurde. Ich weiss nicht mehr, ob man die Beamten als Mitschuldige wegen des Militäraushebens ansah od. nicht, es kommt mir aber meines Erinnerns noch so vor.
Das gesammte Volk, die Balzener ausgenommen, war wie von der Tarantel gestochen; man that nichts mehr als Versammlungen halten, die tollsten Beschlüsse fassen, herumziehen, lärmen, johlen, heulen, die wildesten Drohungen gegen die Beamten ausstossen, dann und wann an einem Tag mit dem Galgen, am andern mit der Guillotine u. am dritten mit Verbrennen drohen. Am verhasstesten waren der Landvogt u. Grundbuchführer; Rentmeister u. Amtsschreiber wurden mehr ignoriert. Ich kann mir die tobenden Haufen noch vorstellen, wie sie vor dem Hause vorbeiziehend, die Fäuste gegen dasselbe ballten, alle erdenklichen Schmähungen u. Drohungen herunterbrüllten, man werde auf dem Kirchenplatz die Grundbücher aufbringen, den Grundbuchführer daraufsetzen und dann miteinander verbrennen. Trotzdem hat sich der Vater nie gefürchtet, hat sich nie versteckt u. ist nie geflohen. Täglich bekam er aber Warnungen u. Mahnungen von seinen Schwiegereltern und Schwägern aus Schaan, er solle so bald als möglich machen, dass er in die Schweiz komme, weil sein Leben sonst in höchster Gefahr stehe. Ein paar Nächte liessen sich auch die Schwäger nicht abhalten im Hause zu wachen, weil sie einen Ueberfall fürchteten. Es kam aber doch nicht dazu. Wir Kinder, die Grossmutter u. Mutter fürchteten uns aber gehörig. Beschimpfungen u. Misshandlungen waren wir immer gewärtig.
Trotzdem ging der ganze Rummel vorüber, ohne dass uns eigentlich Thätlichkeiten widerfahren wären. Der Fürst schickte eine Commission in's Land, welche die Beschwerden u. Wünsche des Volkes untersuchen sollte. Die gravierendsten Beschwerden gegen die Beamten bestanden darin, dass der Landvogt u. der Grundbuchführer zuviel auf die Jagd u. zuwenig in die Kanzlei gingen. Es wurde Abhilfe versprochen u. damit war die Sache vorbei. Die Aufstellung der Nachtwächter blieb aber noch auf 5 Jahre verschoben.
In diesem unterhaltenden Winter, am 3. Jänner, kam Peter zur Welt; am 21. August des andern Jahres Hanni. Im September 1833 wurde Pokorny versetzt u. für ihn kam Menzinger her, derselbe, welcher mit dem Vater zur Franzosenzeit Handel gehabt hatte. Er war jetzt freilich ein 40jähriger Mann u. der Vater um 3 Jahre älter, aber eine gewisse Abneigung u. ein gegenseitiges Misstrauen konnte keiner überwinden. Dieses stellte sich zwar erst in den späteren Jahren heraus, als die Beamtenzahl sich vermehrte, in den ersten Jahren ging, wie ich mich erinnere, Alles freundschaftlich, glatt u. eben ab. Anno 1834 kam Toni zur Welt.
In diesen Jahren tauchte endlich auch der Gedanke an die Nothwendigkeit der Entsumpfung des Flachlandes, die Correktion des Rheinlaufes u. Verbindung der Landstrasse durch Nebenstrassen mit dem Rhein bei Bendern u. Trübbach auf. Es wurden technische Erhebungen gemacht, zu diesem Zwecke Ingenieure in's Land gerufen. Zuerst kam Negrelli, Kantonsingenieur von Zürich, welcher ein Entwässerungsprojekt entwarf. Das Alles war jetzt Wasser auf Vaters Mühlen, seine alte Liebhaberei für's Bauwesen erwachte auf's Neue. Er schloss sich schnell Negrelli an u. war ihm behülflich im Vermessen und Nivelliren. Anbei entwarf er einen Plan für die Nendeln - Benderer Strasse. Der Plan wurde acceptirt unter der Bedingung, dass der Kostenanschlag von 4000 fl nicht überschritten wurde. Der Vater führte die Strasse sodann auch aus, wobei er noch 100 fl erspardte. Freilich kosteten die Reparaturen, welche zur Instandhaltung der Strasse in den nächsten Jahren nothwendig wurden, vielleicht auch noch so viel, weil sie theilweise durch tiefe Sümpfe, theilweise über Torfboden gebaut werden musste. Der Vater sah die Mehrkosten auch voraus, hätte er aber gleich im Anfang reinen Wein eingeschänkt, wäre die Strasse nie gebaut worden. So bekam er aber noch ein Belobungsdekret u. im Herbst 1836 in Anerkennung seiner Verdienste den Rentmeisterposten, wobei ihm noch das sämmtliche Bauwesen - Wasser-, Strassen u. Hochbau - übertragen wurde.
Das war ihm nun ganz recht, er ahnte durchaus nicht, welch eine Quelle von Unheil u. Unsegen ihm daraus entstehen sollte. Im Jahr 1836 od. 37 baute er auch noch die Strasse von Balzers nach Trübbach. Am wenigsten voran kam man mit der Entwässerung, man wusste kaum wo anfangen, hatte noch mit viel zu viel Vorurtheilen zu kämpfen u. zu wenig Erfahrung u. Mittel dazu.
Als im Jahr 1836 die untere Hofkaplanei in Vaduz erledigt wurde, trachtete Vater aus Leibeskräften den damaligen Benderer Pfarrer Jos. Anton Wolfinger auf die erledigte Pfründe zu bringen, was ihm auch trotz allen Gegenbemühungen des alten Dr. Schädler (Grossvater des jetzigen), der seinen geistlichen Sohn, späterer Pfarrer von Bendern, herbringen wollte, gelang.
Dafür verfeindete er sich aber mit dieser Familie bitterlich u. zeitlebens, besonders der Pfarrer u. sein Bruder Doctor konnten ihm die, wie sie glaubten, feindselige Handlung nie mehr recht vergessen. Etwas Animosität gegen den geistlichen Schädler war zwar dabei, der Vater hatte eine gewisse Voreingenommenheit gegen ihn. Hauptsächlich hatte er dabei einen andern Zweck im Auge. Die Gemeinde Vaduz war in geistlicher Beziehung schon lange vernachlässigt, weil sie von jeher eine Filiale der Pfarrei Schaan war. Die Vaduzer mussten nach Schaan in die Kirche gehen, wurden dort getauft, getraut und begraben, alle Bestattnisse wurden in Schaan abgehalten, während in Vaduz 2 Geistliche waren, die gar keine andern Verpflichtungen hatten, als alle Sonntage Messe zu lesen, jeden 3. Sonntag im Monat Christenlehre zu halten u. an der Kirchweih zu predigen. Zwei Sonntage im Monat hatte der Schaaner Hofkaplan Christenlehre zu halten u. am 4. Sonntag war keine. Das Kapuzinerkloster in Mels schickte an den 8 höchsten Festtagen des Jahres einen Kapuziner zum Predigen herunter. Was Wunder, dass das Volk in religiöser u. moralischer Beziehung verwahrlost war. Den Vater wurmte dieser Uebelstand schon lange u. er beschloss alles daran zu setzen, demselben abzuhelfen u. alle seine Kraft u. seinen Einfluss bei Hoch u. Niedrig aufzubieten, dass in Vaduz eine selbständige Seelsorge errichtet werde.
Und als erster Seelsorger schien ihm Wolfinger, der durch seine Gelehrsamkeit, Selbständigkeit, Tüchtigkeit, Energie u. Lauterkeit des Charakters, sodann durch Unpartheilichkeit u. Wahrheitsliebe bekannt war, eben der rechte Mann zu sein. Er hatte sich nicht getäuscht in ihm! Da der Pfarrer von Schaan Vaters Schwager war, setzte er seinen Bestrebungen wenig od. keine Schwierigkeiten entgegen, was ein anderer aus Furcht vielleicht, sein Einkommen könnte ihm geschmälert werden, gethan hätte. Widersacher fand dieser Plan am meisten in Vaduz selber, besonders unter den Alten, die an das Schaanlaufen gewohnt waren, u. anderseits wieder fürchteten, die Gemeinde werde sich durch Errichtung einer Pfarrei bedeutende Kosten auf den Hals bürden.
Als Wolfinger am 7t. od. 8t. Dezbr. 1836 die untere Hofkaplanei bezog, wurden ihm schon die pfarramtlichen Funktionen übertragen u. er Pfarrer tituliert. Es wurde von dort an in der Vaduzer Kirche getauft, kopulirt u. begraben. Unsere Lisa [21] sel. die am 7t. Dezember auf die Welt kam, war glaube ich die erste, die hier getauft wurde od. wenigstens die letzte in Schaan.
Die Verhandlungen zogen sich aber bis ins Jahr 1842 hin, in welchem Jahre erst Vaduz definitiv von Schaan abgetrennt wurde, zur Zeit als Fürst Alois [22] das erstemal als Regent das Land besuchte. Das Verdienst, dass Vaduz eine selbständige Seelsorge wurde, hat sich der Vater hauptsächlich zuschreiben dürfen, ohne ihn hätte der alte Schlendrian noch lange fortgedauert- obwohl sich das Bedürfnis nach Selbständigkeit auf die Länge der Zeit nicht mehr hätte zurückdrängen lassen.
Dank hat er sich natürlich keinen dabei erworben, auch keine Freunde, wohl aber Feinde u. noch nach dreissig Jahren hat es Geistliche in Vaduz gegeben, die das Ganze für eine Dummheit erklärten u. die Gemeinde für einfältig, dass sie sich habe vom Fürsten über den Löffel barbiren u. die Kirchenbaulast aufbürden lassen, weil er ihr die alte Kirche, die fürstlich war, ins Eigenthum aber mit der Unterhaltsverpflichtung überlassen od. vielmehr abgetreten, nachdem sie ihn vorher darum gebeten hatte.
Der Vater hat sich aber desswegen keine grauen Haare wachsen lassen u. später noch für die Kirche gethan, was er konnte, so zuerst für die Anschaffung einer neuen Orgel. Um diese Zeit wuchs auch das Beamtenpersonal immer mehr an. Es rekrutirte sich meist aus Böhmen u. Mähren. Mit diesem Elemente konnte der Vater sich nicht gut vertragen. Diesen Beamten war er überall im Wege, sie bildeten auf den fürstl. Herrschaften eine eigene, abgeschlossene Kaste, die keinen Fremden unter sich duldete. Vater war der erste Liechtensteiner, der fürstl. Beamter wurde, u. obwohl man meinen sollte, dass er als Urliechtensteiner das erste Anrecht auf eine Anstellung im eigenen Vaterlande, sofern er dazu qualifizirt war, hätte haben sollen, sahen ihn diese Leute doch als Eindringling an. Er war ihnen überall im Wege, beständig hatte er gegen ihre Intriguen zu kämpfen. Er wäre ihnen wahrscheinlich doch weniger unbequem gewesen, hätte er gemeinschaftlichen Chorus mit ihnen gemacht, mit ihnen geheult u. ihnen geholfen an Land und Leuten herumzurupfen u. zu zupfen u. überhaupt den Verräther an seiner Heimath gemacht hätte, dazu war er denn aber doch zu ehrlich u. zu patriotisch. Er kam aber im Kampf mit diesen Leuten doch immer zu kurz, weil er allein stand, zu eckig und zu knorrig u. zu aufrichtig war. Der Landvogt war gegen ihn, schon aus alter Abneigung, denn obwohl er an u. für sich eine ehrliche Natur war, war er doch ein schwacher, unselbständiger Mann, der nach der Pfeife seiner Frau tanzte, die eine eitle, hochfahrende u. herrschsüchtige Person war u. sich in Alles einmischte. Wer ihr schmeichelte, katzbuckelte, die Hand küsste u. Klatschereien zutrug, war Hahn im Korb. Dazu war der Vater nicht der Mann. Daher fast immerwährende Reibereien, Zänkereien u. Feindseligkeiten.
Die Folge davon war auch, dass sich der Vater immer mehr zurückzog, mürrischer und grämlicher wurde. Unter solchen schlechten Händen hatten wir dann daheim viel zu leiden. Dabei wuchs die Familie aber noch immer heran. Am 17. März 1839 erblickte Josef das Licht der Welt. Seine glücklich zu Stande gekommene Geburt gab Anlass zu der neuen alten Orgel. Ich weiss nicht,ob dir das Wie bekannt ist od. nicht. Während nämlich die Mutter mit ihm in der Hoffnung ging, fiel sie über die lange Hausgang-Treppe hinunter u. blieb bewusstlos liegen. Der Vater nun voller Schrecken u. Ängsten über den Fall machte ein Gelübde: wenn Alles ohne Schaden u. Nachtheil abgehe, wolle er eine neue Orgel anschaffen od. vielmehr daftür thätig sein. Er hat das Gelübde gewissenhaft gehalten und das Geld zu der Orgel grösstentheils selbst zusammengebettelt. Am 4t. Februar 1842 kam Mali [23] zur Welt.
Anno 1846 traf unerwartet ein grosses Unheil ein. Am Peter und Paul's Tag früh brach der Rhein unvermuthet oberhalb Vaduz herein, und zwar nur bei ganz gewöhnlichem Wasserstand, weil der Strom unbeachtet eine ganz unglückliche Wendung genommen hatte und senkrecht auf das unbeschützte u. unbewachte Ufer fiel. Weil nun Jemand an dem Unheil schuld sein musste und der Vater damals mit den Rheinwuhrbauten betraut war, so lag es am nächsten, dass ihm vom Volke die Schuld daran in die Schuhe geschoben wurde. Die Vaduzer, um sich vor den andern Gemeinden rein zu waschen, logen denselben vor, sie hätten am Tage vor dem Einbruch noch die durchbrochene Stelle schützen wollen, allein der Rentmeister hätte sie davon abgehalten, während am besagten Tage auch kein einziger Vaduzer am Wuhrbau beschäftigt war, da Vater am selben Morgen krank im Bette lag, der Dr. Grass am Morgen ihn besuchte u. ein Brechmittel verordnete. Am selbigen Tag Abends kam auch Kirchthaler zu ihm und traf ihn noch im Bett. Dr. Grass hörte diese Lügen am Rhein selber auftischen, er wusste am besten, dass es Lügen waren, u. dennoch getraute er sich nicht dem Volke gegenüber der Wahrheit die Ehre zu geben und den Lügner als solchen hinzustellen. Ich habe Dr. Grass diese Feigheit dem Pöbel gegenüber nie verzeihen können. Der Mann, der die Lüge ausposaunte, bezeichnete sich sonst auch immer als ein Freund des Vaters.
Landvogt Menzinger, der die Oberaufsicht über die Wuhrbauten führte, und wenn den Vater eine Schuld getroffen hätte, er auch nicht ganz unschuldig geblieben wäre, hatte nichts dagegen, wenn das Volk die volle Schuld auf den Rentmeister wälzte u. ihn mit Verwünschungen überhäufte, wenn nur er ungerupft davon kam. Aber es blieb nur bei Flüchen und Verwünschungen und artete in keine Thätlichkeiten aus, obwohl der Vater immer mitten unter den Leuten am Rhein war u. obwohl die andern Beamten das Volk offen und geheim gegen ihn aufhetzten u. den Unmuth auf alle Art schürten u. besonders nicht unterliessen, ihn an höchster Stelle anzuschwärzen und zu verdächtigen. Es galt eben, ihn aus dem Sattel zu heben und unmöglich zu machen; bessere Gelegenheit konnte es keine mehr geben. Und doch erreichten sie Alle nichts weiter, als dass ihm die Rheinwuhrbauten abgenommen u. dem Hauptintriganten gegen ihn, dem Forstbeamten Gross, überantwortet wurden. Der Verdruss des Vaters darüber war nicht gross, er hatte die Rhein- und alle anderen Bauten schon lange mehrmals satt bekommen. Er sah es für ein Glück an, dass er für die Zukunft nichts mehr damit zu thun hatte, ausserdem war es auch eine grosse Geschäftserleichterung. Das grösste Glück war es aber, da es noch nicht 1848 war, denn dann wäre es bös für uns Alle ausgegangen - man hätte uns einfach wie Katzen ersäuft od. massakrirt. Die fremden Ingenieure, die man nun zur Hilfe herbeizog um den Rhein wieder hinauszubringen u. für die Zukunft sicherer zu stellen, kamen ohne Voreingenommenheit hierher und hatten ein unpartheiisches Urtheil. Sie waren sämmtlich auf Vaters Seite und sprachen ihn von aller u. jeder Verschuldung frei, nachdem sie den Hergang und die Verhältnisse vorurtheilsfrei geprüft hatten.
Darunter war der schon vorgenannte Oberst Lanicca, dessen Votum am meisten ins Gewicht fiel. Er blieb von da an ein warmer Anhänger des Vaters. Lanicca wurde das andere Jahr eingeladen, ein Gutachten abzugeben zu einer umfassenderen Entwässerung des Flachlandes (woran man immer herumlaborirte). Er liess ein solches durch seine Ingenieure ausarbeiten und überreichte es. Es wurde pflichtgemäss bewundert, belobt und die Rechnung dafür mit 1200 fl honorirt, aber halt nicht ausgeführt, denn es kam 1848 heran. Lanicca für seine Person bekam vom Fürsten eine kostbare grosse goldene Dose mit den Initialen des fürstl. Namens A. L. in Brillanten, einen Zoll gross. Die Dose war 800 fl gewerthet.
Um auf den Rheineinbruch noch einmal zurückzukommen, musste das Clavier Josefs, welches der Vater im selben Jahr angeschafft hatte, circa durch 6 Wochen hindurch schweigen. Denn wenn gespielt wurde, hörte man es auf der Strasse hinunter u. wenn dann die Leute vorübergingen, wurden sie noch viel erboster gegen uns, weil sie glaubten, wir seien noch theilnamslos gegen ihr Unglück oder schadenfroh und machten ihnen zum Hohn noch Musik. Ueberdiess hiess es, das Instrument sei doch aus Sündengeld gekauft, denn die Seveler hätten dem Vater 600 fl gegeben, damit er den Rhein hineinlasse (als wenn diese einen Vortheil davon gehabt hätten), sonst hätte er kein so kostspieliges Instrument anschaffen können. Es kostete ja die ungeheure Summe von 120 fl RW.
Es ging auch vorüber und im Herbst waren die Vaduzer froh, dass Rentmeisters Pepi Clavierspielen gelernt hatte und nun den Orgeldienst versehen konnte, ansonsten die Orgel hätte geschlossen werden müssen.
Nun kam 1848 heran. Diesmal entlud sich das Gewitter hauptsächlich über die Fremden. Andere Leute hatten die Bewegung in Händen, die mehr od. weniger wussten, was sie wollten, wenigstens in ihrem Hauptziel, nämlich: für das Volk ein menschenwürdigeres Dasein zu erringen, der dominierenden Willkürherrschaft ein Ende bereiten und die Herrschaft des Gesetzes anzubahnen. Ueber die Mittel zum Zweck gab es natürlich viele Meinungen u. verschiedene Ansichten. Ueber nachstehende Punkte waren aber alle einig: Ablösung des Zehnten, unentgeltliche Abschaffung der noch bestehenden Feudallasten, Abtretung des Zolles an den Staat, Hebung der Volksschule, eine gleichmässige Berechtigung der liechtensteinischen Geistlichen gegenüber den Bündnern zu den bischöflichen Ehrenämtern u. Würden und endlich die Hauptsache: eine Constitution.
Der Fürst fand sich sehr bereitwillig zur Gewährung der meisten Punkte, soweit die Gewährung in seiner Nacht stand. Was nicht auf einmal geschehen konnte wie z.B. Hebung des Schulwesens und Ablösung des Zehnten wurde wenigstens in Aussicht gestellt. Die Ertheilung einer Constitution wurde versprochen und zu diesem Behufe eine constituirende Versammlung zusammenberufen. Ueber die Stellung der Geistlichkeit hatte er keine Gewalt und es lag den Leuten auch am wenigsten etwas daran. Mit einer anderen Forderung war er nicht so ganz einverstanden, nämlich der Entfernung der missliebigen Beamten, Ersetzung derselben durch Landeskinder od. durch Angehörige aus den nichtösterreichischen deutschen Bundesstaaten. Diesen letzteren Punkt wollte Serenissimus als persönliche Beleidigung ansehen, weil er ja selber ein Österreicher sei.
Er verweigerte dieses. Die Entfernung der missliebigen Beamten versprach er, wenn sie ihm bezeichnet würden; es wurden aber keine bezeichnet. Ohne Skandale, Lärm und Excesse ging es natürlich nicht ab, die Beamten im Allgemeinen waren in einer sehr unsicheren und precären Stellung, besonders die fremden. Einige, die ein schlechtes Gewissen hatten, machten sich aus dem Staub u. Einer wurde aus dem Staub gemacht, mit Trommel und Pfeife aus der Kanzlei von einem Volkshaufen abgeholt und an die Landesgrenze geleitet. Weiteres geschah ihm aber nichts zu Leid. Es war ein gewisser Langer aus Böhmen, der dem Vater od. eigentlich dem Rentamt als Kanzelist zugetheilt war. Er emanzipirte sich aber bald von ihm und that, was er gern wollte. Langer war ein ächter Böhme, ein unverschämter, arroganter u. gewaltthätiger Bursche, voll Hochmuth und Eigendünkel und dabei ein ganz leerer Kopf, der sich bei der ganzen Bevölkerung verhasst gemacht, nur nicht bei seinen Landsleuten und der Gnädigen, wo er täglich zum Handkuss erschien und den fleissigen Zuträger machte. Daher war er Hahn im Korb. Der Landvogt musste ihm Alles durch die Finger sehen und that es auch gerne.
Sein Auftreten gegen den Vater wurde immer unverschämter und unerträglicher, gegen andere Leute aber auch, bis das Mass endlich voll war. Eines schönen Mittags 2 Uhr erschienen die Balzner mit der Trommel, machten vor der Kanzlei Halt, erkundigten sich nach dem Befinden des Herrn Langer und erklärten ihm in Gegenwart des verdutzten Landvogts, dass er fort müsse und zwar sogleich; sie würden ihn bis an die Grenze begleiten, weiteres werde ihm aber nichts passiren. Die Vaduzer schlossen sich dieser Prozession an. Ich habe es heimlich furchtbar gern gesehen, ich hätte mich gerne angeschlossen, wenn ich es gedurft hätte. Die Anstifter des Handels waren auch Vaduzer.
Und wiederum musste der Rentmeister daran schuld sein. Weil er ein paar Tage vorher einen heftigen Wortwechsel mit dem Bengel gehabt hatte, so konnte es nach der Logik von Langers Protektorin Niemand anders sein, und weil sie es behauptete, musste es ihr Mann auch glauben und verbreitete es weiter auch an Orte hin, wo er voraussetzen musste, dass von dort aus dem Vater dafür sehr grosse Ungelegenheiten bereitet werden konnten.
So ging das Jahr 1848 vorüber, von den Beamten waren nur der Landvogt - von da an Landesverweser geheissen - Rentmeister und Grundbuchführer übrig geblieben. Auch das Bundescontingent war auseinandergestoben. Der Commandant hatte zur rechten Zeit, noch vor Ausbruch der Bewegung, quittiren müssen u. der Untercommandant war davongeritten.
Die Liechtensteiner hatten es fast zu einer Constitution gebracht, wenigstens zu einer constituirenden Versammlung, die im Jahr 1850 schlafen ging. Die socialen Unbilden, die das Jahr 1848 im Gefolge hatte, sowie die vorhergehenden Missjahre in Folge des Rheineinbruchs u. der Kartoffelfäule gingen aber für die Amtirung des Vaters nicht so spurlos vorüber.
Die Leute waren verarmt, in Schulden gerathen u. theilweise sittlich verwildert. öffentliche Schulden zu bezahlen verstiess gegen ihren Begriff von Freiheit. Zwangsmittel, sie einzutreiben standen dem Rentmeister damals keine zu Gebot u. der Landesverweser, wie er nun hiess, war ein Mann ohne Energie u. mochte sich nicht gerne mit dem Volke verfeinden. Dabei hatte der Vater auch noch die fixe Idee, dass das Volk noch viel schlechter stehe od. viel ärmer sei, als es wirklich der Fall war u. dass es nicht recht wäre, wenn er den Einzug mit der ganzen Strenge u. vollem Ernste betreibe. So kam es nun, dass die öffentlichen Rückstände furchtbar anwuchsen, der Einzug von Jahr zu Jahr schwieriger wurde, ebenso aber das Drängen von Oben mit den Rückständen aufzuräumen und es wurde ihm die Haftpflicht für die allenfalls verloren gehenden Posten in Erinnerung gebracht, auch wuchsen ihm die Arbeiten über den Kopf, so dass er sich gar nicht mehr zu helfen wusste und meinte, sich noch mit Beten heraushelfen zu können, was das Schlimmste war, denn nun that er fast gar nichts mehr und hoffte wahrscheinlich auf ein Wunder, das aber ausblieb u. nicht kam, wohl aber zu Ostern 1854 endlich eine Inquisitions-Commission aus der Buchhaltung, welche die Kassen, Bücher und Rechnungen strenge zu untersuchen und zu prüfen hatte. Diese fand nun zum Glück den Teufel nicht so schwarz, wie sie sich u. er selber ihn sich vorgestellt hatte, d.h. sie fanden nur rückständige Arbeit und nichteingegangene Schuldposten. Die Bücher und Kassen waren bis auf den letzten Pfennig u. Heller richtig, sogar noch 600 fl mehr in der Kasse, als sein sollte. Diese wollte man ihm als sein Eigenthum zur Verfügung stellen, er aber erklärte, sie nicht als sein Eigenthum ansehen u. daher auch nicht annehmen zu können. Aus diesem Vorgange fassten sie Vertrauen zu ihm u. sahen bald ein, dass sie es jedenfalls mit einem Ehrenmanne zu thun hatten. Aus der Untersuchung ging er rein heraus, d.h. auf die Ehrenhaftigkeit der Amtirung fiel kein Makel, man konnte ihm nur vorwerfen, dass er zu saumselig im Einkassiren gewesen sei u. dann stellte sich auch heraus, dass er den Geschäften in ihrem ganzen Umfange nicht mehr gewachsen war und es wurde ihm daher der grössere Theil der Arbeiten, nämlich die Führung der Staatskasse abgenommen u. ihm nur mehr die Domänenverwaltung überlassen. Im Herbst 1857 endlich wurde er pensionirt im 68ten Lebens- und 38ten Dienstjahre. Er zog nun wieder zurück in sein Geburtshaus. Mit den Sorgen war es aber noch nicht vorbei. Einzelne der ausstehenden Gelder wurden strittig od. konnten wegen Verarmung od. Abwesenheit der Schuldner nicht mehr eingehoben werden, diese fielen dem Vater zur Last und wuchsen auf 600 bis 800 fl an.
Dieses wäre aber noch Alles zu verschmerzen gewesen, wenn nicht der Fall mit Jakob Quaderer noch dazugetreten wäre. Den aber noch ganz zu beschreiben, würde wirklich zu weit führen u. ich wüsste nicht, wann ich damit fertig würde. Genug, er wurde erst nach langem Kummer, Sorgen u. schlaflosen Nächten im Jahr 1863 bereinigt mit einem Schadensersatz von 4000 fl von Seite des Vaters an die fürstlichen Renten, d.h. Vater konnte dem Fürsten ein Grundstück um diesen Preis abtreten, das diesen Werth zwar nicht hatte, dessen Verlust auf diese Art aber doch schmerzte. Wenn Du einmal wieder herkommst u. mich daran erinnerst, will ich Dir den Hergang haarklein mündlich erzählen. Die späteren Affairen kann Dir Dein Mann erzählen. Charakter und Gemüth des nun Heimgegangenen kennst Du ja auch und ich schliesse jetzt, ihn Deinem liebevollen Andenken empfehlend.
Geschrieben von David Rheinberger [25]
z.Z. Regierungssekretar in Vaduz
im Sommer 1876.
Erhalten in Bad Kreuth [26] d. 16. August 1876.