Alois Biedermann wendet sich gegen das in Aussicht genommene Verbot von Warenhäusern in Liechtenstein


Schreiben von Alois Biedermann, Detailhändler in Vaduz, an die Regierung [1]

18.6.1937

Aus Kreisen, die dem liechtensteinischen Gewerbeverband nahestehen, höre ich, dass die fürstliche Regierung für die nächste Landtagssitzung [2] bereits eine Gesetzesvorlage ausgearbeitet habe, auf Grund derer mein Geschäftsbetrieb, welcher von der Migros AG beliefert wird, eingestellt werde, während die von Usego belieferten Geschäfte dadurch nicht betroffen werden sollen. Ohne den Inhalt des gegen mich zu erlassenden Spezialgesetzes näher zu kennen, möchte ich, vorausgesetzt, dass die mir zugekommenen Nachrichten stimmen, den Behörden gegenüber meinen Standpunkt hiermit vertreten.

Ich möchte zunächst betonen - und darin wird mir die fürstliche Regierung beipflichten müssen -, dass die Eröffnung und die Führung meines Geschäftes durchaus im Einklang mit den Bestimmungen der liechtensteinischen Verfassung- ich verweise insbesondere auf Art. 31 und 36 [3] - bezw. der liechtensteinischen Gewerbeordnung [4] steht, genau so wie das bei den Usego-Geschäften der Fall ist. Ich kann es daher schon aus diesem einen Grunde nicht verstehen, dass ausgerechnet gegen mein Geschäft eine gesetzliche Ausnahmebestimmung geschaffen werden soll, während die im Prinzip gleichartigen Usego-Geschäfte gewissermassen gesetzlich sanktioniert werden sollen. Würde dadurch nicht eine Ungleichheit vor dem Gesetze geschaffen? Ich habe die Auffassung, dass mindestens eine erhebliche Notlage vorliegen müsste, um die Schaffung und Anwendung eines Ausnahmerechtes zu rechtfertigen. Eine Notlage des Kleinhandels wird zwar von interessierter Seite in der Presse behauptet, aber nirgends mit irgendwelchen Zahlen belegt. Vielleicht liegen auch gar keine entsprechenden Unterlagen vor. Man müsste daher sehen, wie sich die Verhältnisse in der Schweiz, z.B. seit dem Bestehen der Migros, entwickelt haben. Aus den schweizerischen Statistiken geht hervor, dass die Anzahl der Spezereihändler trotz der Migros-Konkurrenz nicht zurückgegangen ist, der Berufsstand als solcher völlig intakt geblieben ist. Ferner kann man daraus entnehmen, dass das Einkommen der Detaillisten sich ungefähr gleich geblieben ist wie vor dem Auftreten der Migros. Man kann aber auch bei uns nicht sagen, dass eine allgemeine Notlage im Gewerbe als solchem und im Spezereihandel im besonderen nachweisbar ist. Wenn spezielle Fälle eines Notstandes vorliegen, so sind sie meistens auf ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren zurückzuführen. Eine Ausschaltung meines Geschäftes würde dem liechtensteinischen Handel kaum etwas nützen, einen gewissen Teil der Konsumentenschaft aber schädigen.

Die Befürchtungen, die der liechtensteinische Gewerbeverband zum Teil in der Presse zum Ausdruck gebracht hat, sind zum Teil ganz unbegründet und zum Teil weit übertrieben. Jeder unvoreingenommen Denkende wird zugeben müssen, dass eine Schädigung des ganzen Gewerbestandes oder sogar des ganzen Mittelstandes durch ein einziges Lebensmittelgeschäft, welches Migros-Waren verkauft, nicht eintreten kann, zumal auch die Erfahrungen gelehrt haben, dass durch die bestehenden Usego-Geschäfte eine solche Schädigung nicht eingetreten ist. Der Gewerbestand setzt sich aus Handels- und Gewerbetreibenden aller Berufe zusammen. Je mehr der nicht gewerbetreibende Konsument von seinen Einkünften und von seinem Vermögen für die lebensnotwendigsten Waren, das heisst für die Nahrungsmittel ausgeben muss, desto weniger bleibt für Ausgaben anderer Bedürfnisse, also z.B. für solche übrig, welche in die von den Gewerbetreibenden hergestellten oder vom Kleinhandel vertretenen Kategorien einzureihen sind. Man sollte meinen, dass es gerade für den Gewerbestand von Bedeutung wäre, dass seiner Kundschaft möglichst viel Geld für diejenigen Waren übrig bleibt, die er selbst herstellt oder vetreibt.

Nicht zu übersehen ist auch, dass gerade die Migros in den letzten Jahren für erhebliche Beträge liechtensteinische Landesprodukte gekauft hat. Im Jahre 1936 hat sie z.B. aus Liechtenstein Kartoffeln, Erbsen, Gemüse etc. für ca. 40'000 - 50'000.- Fr. gekauft. Nachdem ich in meinem Geschäft von der Migros die Lebensmittel beziehe, hätte ich andererseits auch die Möglichkeit darauf hinzuarbeiten, dass der Absatz liechtensteinischer landwirtschaftlicher Produkte an meine Lieferantin erheblich gefördert und gesteigert wird. Dadurch würde eine weitere Steigerung der Kaufkraft der Konsumenten eintreten, was gleichbedeutend ist mit einer Unterstützung des Mittelstandes. Ein Grossteil des Gewerbes und ein Grossteil der Bauernsame hätten also bestimmt nur Vorteile. Wenn aber durch die behördliche Einstellung meines Geschäftsbetriebes auf Grund eines Spezialgesetzes ich nicht mehr in der Lage bin, meinen Vertrag mit der Migros einzuhalten, ist letztere auch geschädigt und sie dürfte dann keinen Grund mehr haben, in Liechtenstein einzukaufen.

Es ist wohl anzunehmen, dass unsere Bauern, welche ihre Kartoffeln, ihr Gemüse etc. rasch und zu einem günstigen Preise absetzen wollen, von einer solchen Lösung befriedigt wären. Gerade sie haben das grösste Interesse, einen zahlungsfähigen Grossabnehmer ihrer Produkte auch weiterhin zu behalten.

Die Befürchtungen endlich, welche hinsichtlich der Spezereihandlungen ins Treffen geführt werden, sind auch nicht stichhaltig oder doch weit übertrieben. Die schweizerische Statistik beweist, dass die Migros in der Schweiz mit kaum 2-3 % am Gesamtumsatz beteiligt ist und dass die tüchtigen Händler durch die Migros keine Einbusse erlitten haben. Es ist kaum anzunehmen, dass ein liechtensteinisches Geschäft, welches Migros-Waren verkauft, einen wesentlichen Nachteil für die Spezereihandlungen bedeuten wird, umsoweniger als nachweisbar ein Teil der liechtensteinischen Konsumentenschaft schon bisher bei der Migros in der Schweiz einkaufte. Diesen wäre Gelegenheit geboten, bei einem liechtensteinischen Geschäftsmann und Steuerzahler ihre Einkäufe zu besorgen, sodass sie das Geld nicht ins Ausland tragen müssten.

Ich bitte Sie, diese Erwägungen zu prüfen, bevor behördliche Massnahmen getroffen werden, welche geeignet sein könnten, für einen einzigen Landesbürger ein Ausnahmerecht zu schaffen, durch welches er gegenüber andern benachteiligt würde.

In vorzüglicher Hochachtung [5]

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[1] LI LA RF 172/115/009.
[2] Siehe das öffentliche sowie das nichtöffentliche Landtagsprotokoll vom 24. Juni 1937 (LI LA LTP 1937/135 und LTP 1937/117). Vgl. LGBl. 1937 Nr. 17.
[3] Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1937, LGBl. 1921 Nr. 15: Art. 31 der Verfassung statuiert den Gleichheitssatz und Art. 36 die Handels- und Gewerbefreiheit.  
[4] Siehe das Gesetz vom 30. April 1910 betreffend Erlassung einer neuen Gewerbeordnung, LGBl. 1910 Nr. 3, sowie das Gesetz vom 13. Dezember 1915 betreffend die teilweise Abänderung der Gewerbeordnung, LGBl. 1915 Nr. 14.
[5] Das Schreiben wurde von der Regierung am 21. Juni 1937 Franz Hilbe und der Gewerbegenossenschaft zur umgehenden Äusserung zugesandt.