Der Vorarlberger Beamte Hermann Deuring begutachtet für die liechtensteinische Regierung die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Errichtung eines Radiosenders in Liechtenstein


Gutachterliches Schreiben von Regierungsrat Hermann Deuring von der Vorarlberger Landeshauptmannschaft an die Regierung [1]

26.3.1936, Bregenz

Der Herr Regierungschef [Josef Hoop] des Fürstentums Liechtenstein hat mir die Frage vorgelegt, unter welchen Bedingungen und Umständen die Regierung im Fürstentum Liechtenstein einen Radiosender aufstellen und betreiben könne. Im nachstehenden will ich diese Frage auf Grund meiner langjährigen Erfahrung in Radiodingen, ohne auf technisch-wissenschaftliche Grundlagen näher einzugehen, zu beantworten versuchen.

1. Radiosender sind allgemein als Telegraphenanstalten anzusehen und unterliegen den Bestimmungen für solche. Daher kommt es, dass in manchen Ländern die Post- und Telegraphenbehörden die einzigen Inhaber von Radiosendern sind. In anderen Ländern, wo selbständige Radiounternehmungen bestehen, ist stets die Post- und Telegraphenverwaltung daran beteiligt und fast überall besorgt die Postverwaltung den Einzug der Rundspruchgebühren. Auf Grund des Artikels 1 des Übereinkommens zwischen der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung und dem Schweizerischen Bundesrat vom 10. November 1920, Liechtensteinisches Landesgesetzblatt Nr. 8, Jahrgang 1922, [2] wird der Telegraphendienst im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerische Telegraphenverwaltung besorgt. Daraus ergibt sich: Die Fürstlich-Liechtensteinische Regierung oder sonst jemand im Fürstentum Liechtenstein kann rechtlich nur durch die schweizerische Telegraphenverwaltung die Befugnis erhalten, einen Radiosender zu errichten.

2. Radiosender können mit verschiedener Sendeenergie und auf verschiedener Wellenlänge betrieben werden. Die Kosten eines Senders hängen damit im allgemeinen zusammen.

  1. Langwellensender (Wellenlänge von 600 bis 2000 Meter) erfordern eine hohe Energie, haben aber den Vorzug, dass die lange Welle nicht lichtempfindlich ist und daher bei Tag und Nacht die gleichen bedeutenden Reichweiten erzielt. Ein Radiosender auf langer Welle kommt für das Fürstentum Liechtenstein nicht in Betracht, da die allgemein käuflichen billigeren Radioempfänger diesen Wellenbereich nicht empfangen. Ausserdem ist der Langwellenbereich schon längst mit allen Wellen besetzt, die ohne gegenseitige Störung in diesem Wellenbereich möglich sind. Es ist nicht anzunehmen, dass ein Inhaber einer langen Welle bewogen werden könnte, diese an das Fürstentum Liechtenstein abzutreten.
  2. Rundfunkwellen sind Radiowellen mit einer Wellenlänge von 200 bis 600 Metern. Dieser Wellenbereich ist ausschliesslich von Rundfunksendern besetzt. Die Rundfunkwellen sind für ihren Zweck eigentlich die wenigst geeigneten, denn sie sind lichtempfindlich und mehr oder weniger Schwankungen in der Lautstärke (Fading) unterworfen. Auch Sender mit grosser Energie wie der Hauptsender mit 100 KW haben bei Tag nur eine sichere Reichweite von 150 bis 200 Kilometern. Der Wellenbereich des Rundfunkes ist durch internationale Abkommen, zuletzt in Luzern, auf die Staaten aufgeteilt. Da zwischen 200 und 600 Metern Wellenlänge nur etwa 120 Sender ohne gegenseitige Störung nebeneinander betrieben werden können, war man gezwungen, Sender mit geringerer Reichweite und Energie von den Exklusivwellen der Grossender auszuschalten und sie auf Gemeinschaftswellen zu setzen. Diese sogenannten Zwischensender arbeiten in der Regel auf Gemeinschaftswellen. Sie haben bei Tage eine ziemliche Reichweite je nach ihrer Energie bis zu 100 Kilometern, bei Nacht aber stören sich Sender auf Gemeinschaftswellen schon in einer Entfernung von etwa 25 bis 30 Kilometern vom Sender. Diese Störung ist weniger zu bemerken, wenn zwei Rundfunksender auf gemeinsamer Welle das gleiche Programm senden.
    So hat, um ein naheliegendes Beispiel anzuführen, Österreich nur zwei ausschliessliche Wellen erhalten, Wien und Graz. Die Zwischensender in den anderen österreichischen Bundesländern, Klagenfurt, Linz, Salzburg, Innsbruck und Vorarlberg, arbeiten auf Gemeinschaftswellen. Der Landessender Vorarlberg, der bei Tag in Vorarlberg und ziemlich weit über die Grenzen des Landes gut hörbar ist, ist bei Nacht nur in einem Umkreis von rund 25 Kilometern vom Standort verlässlich und gut zu hören. Wenn der Sender Klagenfurt, der auf gleicher Welle wie Vorarlberg arbeitet, in den Abendstunden ein vom Wiener Sender verschiedenes Eigenprogramm sendet, so übernimmt der Landessender Vorarlberg lieber nicht das Wiener, sondern das Klagenfurter Programm, um die sehr empfindliche Störung seiner Welle in Vorarlberg zu mildern.
    Eine ausschliessliche Welle im Rundfunkbereich für einen neuen Sender zugeteilt zu erhalten, scheint mir eine glatte Unmöglichkeit. Diese Wellen sind alle nach mehr oder minder heftigen Kämpfen in festen Händen und kein Staat wird auf eine solche Welle verzichten. Es könnte also das Fürstentum Liechtenstein für einen eigenen Sender höchstens eine Gemeinschaftswelle sich zuteilen lassen. Diese Gemeinschaftswelle würde im Bereiche des Fürstentums bei Tag und Nacht guten Empfang gewährleisten. Über die Grenzen des Fürstentums hinaus wäre die Reichweite abhängig von der Energie, die bei Gemeinschaftswellen beschränkt ist. Sie wäre bei Tag nicht sehr gross, bei Nacht aber sehr gering, da die anderen Sender, die die gleiche Welle benützen, mit ihren Eigenprogrammen den Liechtensteiner Sender stören würden.
  3. Kurzwellen im Bereiche von 20 bis 100 Meter Wellenlänge. Diese haben den Vorteil, dass sie bei sehr geringer Sendeenergie oft eine ausserordentliche Reichweite haben. Ihr grösster Nachteil ist, dass ihre Ausbreitungsgesetze in der Nähe des Senders noch ganz ungenügend erforscht sind. Es wird vielfach beobachtet, dass solche Kurzwellen in hunderten Kilometer Entfernung zeitweilig einwandfrei zu empfangen sind, während in einem kleinen Umkreis um den Sender die Welle nicht entspricht. Der Nachteil aber, der sie für den gewöhnlichen Rundspruch nur sehr bedingt brauchbar macht, ist der gleiche wie bei den Langwellen. Die billigeren Empfangsgeräte erlauben den Kurzwellenempfang nicht.
  4. Elektrizitätswerk-Radio: Das System, Radiowellen den metallenen Leitungen bestehender niederfrequenter Anlagen, wie es die Elektrizitätswerke sind, aufzudrücken, die überall, wo solche Leitungen vorhanden sind, leicht mit gewöhnlichen Empfängern abzunehmen sind, ist mit grosser Vorsicht zu untersuchen. Die Ravag [Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft] hat in Vorarlberg derartige Versuche vor dem Bau des Landessenders angestellt. Das Ergebnis befriedigte nicht, weil wir im Lande Vorarlberg mehrere verschiedene, miteinander nicht verbundene Elektrizitätswerke haben, die zudem noch Strom verschiedener Spannung liefern. Wenn in Liechtenstein die Versorgung mit elektrischem Licht im ganzen Lande einheitlich ist, wenn alle Gemeinden am gleichen Elektrizitätswerke hängen - ich bin darüber nicht unterrichtet - , so wäre es der Mühe wert, eine genaue Untersuchung darüber anzustellen, ob die Sendung von Radiowellen auf dem Netz des Elektrizitätswerkes nicht möglich wäre. Diese Sendungsart hätte den Vorteil, dass sie von keiner anderen Welle gestört würde und dass sie nur in ihrem Bereich jenen Teil des Wellenbandes störte, der um die gewählte Senderwelle liegt. Man braucht bei dieser Sendeart auf andere Wellen keine Rücksicht zu nehmen, man kann also eine Welle wählen, die im Rundspruchband liegt und von allen Geräten zu empfangen ist. Eine Schwierigkeit liegt nur in der Hochspannungsleitung der Bundesbahn, die eine gewisse abschirmende Wirkung hat, wie wir bei den Versuchen in Vorarlberg beobachten konnten.

3. Praktisch-wirtschaftlich betrachtet ist vor allem die Frage zu beantworten, zu welchem Zwecke die Regierung des Fürstentums Liechtenstein einen Radiosender bauen will. Wenn es sich darum handelt, den Liechtensteinern durch ihre Radioempfänger gelegentlich liechtensteinische politische und wirtschaftliche Nachrichten zu geben und hie und da auch eine musikalische, gesangliche oder sonst künstlerische oder wissenschaftliche Darbietung zu senden und in weiterem Umkreis um Liechtenstein für das Land zu werben, so kann nur ein Radiosender mit einer Rundfunkwelle in Betracht kommen, weil andere Wellen von der grossen Masse der Radiohörer nicht abgehört werden. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Mangel an Radiowellen im Rundfunkbereiche ergeben, werden kaum zu überwinden sein; aber wenn auch das Fürstentum Liechtenstein eine europäische Gemeinschaftswelle zugeteilt erhielte, so begänne dann erst die unüberwindliche Schwierigkeit, die in der Programmbildung liegt. Kein kleines Land ist imstande, ein Radioprogramm auszufüllen, wenn dieses auch nur wenige Stunden im Tag dauern soll. Ich kann darauf verweisen, dass es uns in Vorarlberg nicht leicht fällt, monatlich eine Stunde wissenschaftlich oder künstlerisch oder musikalisch auszufüllen. Der Vorarlberger Nachrichtendienst wird monatlich höchstens 5 Stunden benötigen, mehr aber sicher nicht. Die ganze übrige Zeit strahlt der Landessender Vorarlberg das Wiener Programm. Der Bedarf eines Radiosenders an künstlerischen, musikalischen und wissenschaftlichen Darbietungen ist so ungeheuer gross, dass ein kleines Land ganz ausserstande ist, ihn zu decken.

Ein Rundfunksender ist in seiner Errichtung und in seinem Betrieb eine sehr teure Sache. Der Vorarlberger Landessender, der allerdings mit den modernsten Errungenschaften der Radiotechnik ausgestattet ist, hat mit der jüngst erfolgten Verstärkung gegen eine Million Schilling gekostet. Der Betrieb, der ganz wenig eigene Sendungen bietet, erfordert monatlich über 5000 Schilling. Diese Summe würde in keiner Weise genügen, wenn der Landessender zum Wiener Programm mehr beitragen müsste, als er tatsächlich beiträgt.

Wenn es sich darum handelt, eine zuverlässige drahtlose Verbindung mit allen Dienststellen im Lande, etwa mit den Gemeindevorstehungen aufrecht zu erhalten, so käme nach entsprechender technischer Untersuchung ein Kurzwellensender oder die Elektritzitätswerk-Radiosendung in Frage. Derartige Sendeeinrichtungen sind nicht teuer. Die genaue Untersuchung der Empfangsverhältnisse für Kurzwellen oder die genaue Untersuchung des Lichtnetzes im Fürstentum auf seine Eignung zu diesem Zwecke würde wahrscheinlich teurer kommen als die ganze Apparatur eines solchen Senders. Für Werbesendungen ausserhalb des Fürstentumes aber wäre eine solche Anlage nicht geeignet, weil sie nur im eigenen Lande oder - bei Kurzwellensendung - irgendwo zufällig von einzelnen gehört würde, niemals aber von einer grossen Menge von Hörern.

In allen Fällen aber stünde der notwendige Aufwand in keinem Verhältnis zum möglichen Erfolg. Dafür, was ein kleines Land an Nachrichten oder werbenden Aufführungen im Radio senden kann, rentiert sich ein eigener Sender nicht. So bliebe meines Erachtens nur der Weg übrig, mit einem benachbarten Sender ein Übereinkommen abzuschliessen, das den Bedürfnissen des Fürstentums Liechtenstein bestimmte Zeiten für seinen eigenen Sendedienst einräumt. Nach dem in Absatz 1 zitierten Übereinkommen vom 10. November 1920 kann dieser Sender nur der schweizerische Landessender sein.

Seltene, aber gute Darbietungen, die schon ihrer Art nach aus der grossen Masse der Radiosendungen hervorstechen müssen, würden dem Bedürfnis nach Werbung für das Land genügen. Eine Burgenfahrt durch Liechtenstein, eine Fahrt durch die herrlichen Berge, eine packende Schilderung der Weinlese, eine gute Darstellung der staatsrechtlichen Eigenart des Fürstentums, Einzeldarstellungen aus seiner Geschichte, das wären Themen, mit denen Liechtenstein für sich werben könnte. Solche Sendungen erfordern viel Arbeit und Mühe, aber sie würden ihren Zweck erfüllen, ohne grosse Geldmittel in Anspruch zu nehmen.

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[1] LI LA RF 158/056/017.
[2] Übereinkommen zwischen der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung und dem Schweizerischen Bundesrat betreffend die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerische Postverwaltung und schweizerische Telegraphen- und Telephonverwaltung, LGBl. 1922 Nr. 8.