Im "Liechtensteiner Volksblatt" wird die Bedeutung der katholischen Kirche bzw. der katholischen Soziallehre für das Wirtschaftsleben herausgestrichen (I)


Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt" (Teil 1) [1]

29.1.1944

Was haben Kirche und Wirtschaft miteinander zu tun?

(Korr.) Kirche und Wirtschaft haben nichts miteinander zu tun, so sagen die einen. Die Kirche hat für das Ewige zu sorgen, für das Zeitliche sorgt der Staat. Die Kirche soll sich nicht in die irdischen Händel einmischen. Der Heiland hat jede derartige Einmischung abgelehnt (Lc. 12, 13). Man wirft der Kirche vor, sie habe sich schon viel zu viel in weltliche und wirtschaftliche Fragen eingemischt im Laufe ihrer langen Geschichte.

Eine andere Gruppe behauptet: Die Kirche hat zu wenig getan, sie hat den Kapitalismus nicht überwunden, sie hat zu den grossen Missbräuchen geschwiegen, sie hat die soziale Frage nicht gelöst, sie hat in einer der wichtigsten modernen Fragen versagt. Ihre Religion und Moral ist Opium für das Volk. Und Hundertausende haben ihr deshalb den Rücken gekehrt.

Was ist an diesen Behauptungen richtig?

Lösen wir die erste Frage: Was haben denn Kirche und Wirtschaft grundsätzlich miteinander zu tun?

Wenn die Wirtschaft ein bloss technischer oder kaufmännisch-rechnerischer Vorgang wäre, so hätte sie mit Religion wenig zu schaffen. Aber die Wirtschaft ist mehr: Sie ist Versorgung des Menschen mit den notwendigen Existenzmitteln zur Erfüllung seiner Lebensaufgabe. Sie ist verantwortliche Tätigkeit des Menschen für den Menschen im Dienst und Auftrag des Schöpfers. Da geht es nicht nur um Produktion und Gewinn, sondern auch, und zwar vor allem, um Recht und Gerechtigkeit, um Wohl und Wehe des einzelnen, der Familie und der Gemeinschaft. Damit reicht die wirtschaftliche Betätigung weit über das technische Gebiet der reinen Wirtschaftsgesetze hinaus ins höhere Reich der Sittlichkeit. Hier aber ist die Kirche zuständig, hier hat sie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, mitzusprechen.

Darum muss die Kirche auch um die Vorgänge auf dem wirtschaftlichen, sozialen u. staatlichen Gebiete sich kümmern, ihr bindende Weisungen geben, weil eben nicht nur Betriebe, Aktien und Banken, sondern Menschenschicksale, Menschenrechte und Menschenpflichten und das ewige Heil auf dem Spiel stehen.

In rein wirtschaftlichen Fachfragen hat die Kirche nichts zu sagen, hier fehlt ihr die Kompetenz. Hier muss die Wirtschaft selber Mittel und Wege suchen, die zu dem gewünschten Ziele führen. Das ist das ausschliessliche Gebiet der Laien. Aber die moralische Beurteilung über Erlaubtheit und Unerlaubtheit sowohl der Wirtschaftsziele als auch der anzuwendenden Mittel steht der Kirche zu, die von Gott als Lehrerin und Führerin zum Heil der Menschheit bestellt ist. Die Kirche stellt diese Forderungen, weil sie vom Menschen eine ganzheitliche Auffassung hat. Man kann das Menschenleben nicht willkürlich auseinanderschneiden. Der Mensch hat nicht zwei Gewissen: Ein ziviles und ein christliches. Jede menschliche Handlung muss auf das letzte Ziel hingeordnet sein, das allumfassend ist. Darum muss sich die Kirche um diese Menschen kümmern, es gibt für sie keinen Rückzug auf das "Rein Religiöse". Das Religiöse ist nicht ein Bereich neben den anderen Lebensbereichen, sondern es ist das Blut, das alles durchdringt und ernährt.

"Die Religion ist der Kern, das Mark von allem menschlichen Tun, und davon absehen wollen, ist Torheit oder Schlechtigkeit. Das ganze zeitliche Leben mit allem, was drum u. dran hängt, ist der Natur der Sache nach nur das Mittel zum höheren geistigen Leben. Deshalb muss ein ordentlicher katholischer Christ das ewige Leben über das zeitliche setzen, und folgerichtig auch anerkennen und festhalten, dass das Zeitliche dem Ewigen, das Materielle dem Geistigen wie der Leib der Seele dienen muss." ([Adolf] Kolping)

Das ist der erste Grund: Alles wirtschaftliche Tun hat auch eine sittliche Seite, die der Religion und der Kirche unterworfen ist. Und der zweite Grund: Die sozialen Verhältnisse und die Wirtschaftsordnung greifen so tief in das Leben des Menschen ein, dass sie von aussen sein religiöses und sittliches Leben tief beeinflussen. "Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart können ohne Übertreibung als derartig bezeichnet werden, dass sie einer ungeheuer grossen Zahl von Menschen so ausserordentlich schwer machen, das eine Notwendige, ihr ewiges Heil zu wirken." Pius XI. Diese Gefährdung kann die Kirche nicht teilnahmslos mitansehen. Zügellose und schmutzige Gier nach Reichtum und Genuss sowohl bei den Besitzenden als auch bei den Besitzlosen führt zur Übertretung der göttlichen Gesetze und zur Verletzung der Rechte des Nebenmenschen. "Während der tote Stoff veredelt die Stätten der Arbeit verlässt, werden die Menschen dort an Leib und Seele verdorben." Pius XI.

Der Kirche fällt hier die Aufgabe zu:

1. Die rechten Grundsätze zu lehren, sowohl für Arbeiter wie für Besitzende, und zwar nicht bloss allgemein, sondern auch ins Konkrete hinein.

2. Sie muss mit aller Kraft an der Erneuerung der Wirtschaftsgesinnung und Arbeitsgesinnung arbeiten.

3. Sie wird auch in der Tat mithelfen, die Nöte und Missstände zu lindern und zu heben, so viel in ihren Kräften liegt. [2]

 

 

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[1] L.Vo., Nr. 12, 29.1.1944, S. 1.
[2] Der zweite Teil dieses Artikels wurde im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 1.2.1944 abgedruckt (L.Vo., 1944.02.01).