Im "Liechtensteiner Volksblatt" wird die Bedeutung der katholischen Kirche bzw. der katholischen Soziallehre für das Wirtschaftsleben herausgestrichen (II)


Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt" (Teil 2), gez. Rg. [1]

1.2.1944

Was haben Kirche u. Wirtschaft miteinander zu tun?

II.

Und nun die zweite Frage:

Was tut die Kirche auf dem wirtschaftlich-sozialen Weg?

"Die Fürsorge der Kirche geht nicht so in der Pflege des geistigen Lebens auf, dass sie darüber die Anliegen des irdischen Lebens vergässe. Sie ist vielmehr, dem werktätigen Volk gegenüber in besonderer Weise, vom eifrigen Streben erfüllt, die Not des Lebens auch nach der materiellen Seite zu lindern und zu besseren Verhältnissen zu erheben. Schon durch die Anleitung zur Sittlichkeit u. Tugend befördert sie zugleich das materielle Wohl. Denn ein geregeltes christliches Leben hat stets seinen Anteil an der Herbeiführung irdischer Wohlfahrt: Es macht Gott, welcher Urquell und Spender aller Wohlfahrt ist, dem Menschen geneigt, und es drängt zwei Feinde zurück, welche allzu häufig mitten im Überfluss die Ursache bitteren Elendes sind, die ungezügelte Habgier und die Genusssucht, es würzt ein bescheidenes irdisches Los mit dem Glück der Zufriedenheit, spendet in der Sparsamkeit Ersatz für abgehende Glücksgüter und bewahrt vor Leichtsinn und Laster, wodurch auch der ansehnlichste Wohlstand oft schnell zugrunde gerichtet wird." Leo XIII.

Zur Milderung des materiellen Notstandes der Besitzlosen unterhält die Kirche die verschiedensten Anstalten zur Hebung ihres Daseins. Was die Päpste, Bischöfe, Klöster und Orden, die Pfarrer in ihren Sprengeln (auch in unserem Lande) an karitativen Werken unternommen haben, ist tatsächlich ganz etwas Grossartiges. Oder weisen wir nur auf die Namen aus dem letzten Jahrhundert hin, wie [Wilhelm Emanuel von] Ketteler, [Adolf] Kolping, [Johann Michael] von Sailer. Das erste Gesetz betreffend das Verbot der Sonntagsarbeit wurde in Frankreich 1814 von der damaligen Regierung eingebracht und von der katholischen Mehrheit angenommen. Das erste Arbeiterinnen- und Kinderschutzgesetz wurde in Frankreich 1841 zufolge Antrages von drei Katholiken, darunter des berühmten Grafen [Charles de] Montalembert, angenommen. Der Gedanke eine internationale Gesetzgebung für den Schutz der Arbeiter wurde zuerst von einem Katholiken, Daniel Le Grand, 1857, in die Öffentlichkeit geworfen. Die erste Kreditgenossenschaft gründete ein Katholik, Micent, 1880, die erste ländliche Sparkasse ein Landpfarrer Abbé Raju. Die meisten sozialen Gesetze wurden in Frankreich von dem katholischen Grossindustriellen Albert de Mun angeregt.

Die benachbarte Schweiz weist mit Stolz auf die Namen von [Caspar] Decurtins, Kanonikus [Johann Baptist] Jung, P. Theodosius Florentini, Bischof [Alois] Scheiwiler u.a. hin, von Lebenden zu schweigen.

Aber eigentlich erst recht wurde die soziale Gesetzgebung angeregt durch das Arbeiterrundschreiben vom Papst Leo XIII. (Rerum novarum). Es entstand ein neues Rechtsgebiet: Das Arbeiterrecht. Auf dem Gebiete der Selbsthilfe hat Papst Leo XIII. den Arbeitern grundsätzlich das Recht des freien Zusammenschlusses, Koalitionsrecht genannt, festgelegt. Ferner trat zur Auffassung vom liberalen Rechtsstaat, der nur Hüter der Rechtsordnung ist, sich aber um die wirtschaftliche und soziale Wohlfahrt des einzelnen nicht kümmert, die Auffassung vom Wohlfahrtsstaat der sich zur Pflicht macht, die wirtschaftlich und sozial Schwachen zu schützen und ihren Stand zu heben. So soll auch in Zukunft mit aller Kraft an der Durchdringung von Wirtschaft und Gesellschaft mit christlichen Ideen im Geist und Auftrag der Kirche gearbeitet werden. Dazu sollen vor allem die Laien aufgerufen werden.

"Die ersten und nächsten Apostel unter der Arbeiterschaft müssen Arbeiter sein. Aber solche Laienapostel der Arbeiterschaft wie der Unternehmerkreise mit Eifer zu suchen, mit Klugheit auszuwählen, gründlich auszubilden, das ist an erster Stelle die Aufgabe des Klerus. Dafür sollen eigene Priester besonders ausgewählt und ausgebildet werden." Pius XI.

Mögen die Verhältnisse wechseln, die Kirche bleibt sich der sozialen Frage treu. Sie verkündet die frohe Botschaft und teilt die Gnaden Christi aus. Sie geht den Menschen nach ins konkrete Leben hinein, in die Mühen und Sorgen des Alltags, auch in die Wirtschaft, Fabrik, Büro. Wenn das früher nur durch den Priester allein geschah, so sollen heute die Laien mithelfen. Verantwortungsbewusste Laien sollen herangebildet werden, die selbst als Männer mitten in der Welt der Arbeit drinnen stehen, durch Wort und ihr eigenes Beispiel das Evangelium von der Wahrheit und Gerechtigkeit und Nächstenliebe weitertragen zum Segen der Arbeiter und der ganzen Volksgemeinschaft. Daraus geht für uns hervor, dass eine grundsätzliche und umfassende Lösung der Arbeiterfrage niemals möglich ist auf dem rein wirtschaftlichen Boden, denn die Arbeiterfrage ist eine Frage der inneren sittlichen Gesinnung. Und da hat die Kirche ihre Zuständigkeit, ihr Recht und ihre Pflicht und ihre Sendung.

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[1] L.Vo., Nr. 13, 1.2.1944, S. 1f. Der erste Teil dieses Artikels ist im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 29.1.1944 abgedruck (L.Vo., 1944.01.29).