Das "Liechtensteiner Volksblatt" verteidigt das Verbot der Heimatdienstversammlung in Gamprin


Artikel eines Korrespondenten, ungez., im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

10.3.1934

Der L.H.D. nackt und unverblümt

Nichts ist einer regierenden Mehrheit so förderlich als eine Opposition. Niemand ist der Gefahr, sich selbst genug u. den anderen übergenug zu werden, mehr ausgesetzt, als derjenige, der jeden Widerstand, jede Kritik, jede Idee, auch wenn sie besser ist als die eigene, durch seine Macht unterdrücken könnte. Wer diese als weise gebrauchen und mit dem "Leben" des Volkes übereinstimmen will, der wird, ja muss sein Ohr den Äusserungen zuwenden, die ihm aus dem Volke als Echo der eigenen Verhaltungsweise entgegenkommen. Und darum hat auch niemand, der sich dieser Pflicht einer Politik der weitestgehenden Übereinstimmung mit dem Volkswillen bewusst ist, dem Heimatdienst von vornherein die Möglichkeit, ja das in einem demokratischen Staatswesen selbstverständliche Recht aberkannt, nach seinem echten geistigen und moralischen Vermögen Widerstand zu leisten, Kritik zu üben, neue Ideen zu bringen, kurz, sich als Opposition mit allen Rechten und Pflichten einer solchen zu konstituieren. Es kann ruhig anerkannt werden, dass in so manchen mehr oder minder deutlichen Bestrebungen des L.H.D. etwas ist, was dem sogenannten "Zug der Zeit" eher Wort und Stimme verleiht, als im hergebrachten Spruch und Widerspruch der bisherigen Meinungen gelegen war. Es ist nicht richtig, dass auf der vom L.H.D. hauptsächlich angegriffenen Gegenseite nichts als Unverständnis und daraus entspringender blinder Vernichtungswille bestand und er betrügt sich selbst, wenn er glaubt, solche politische Dummheit ohne Weiteres voraussetzen zu sollen. Wenn die regierende Mehrheit nicht sogleich mit fliegenden Fahnen ins Lager des L.H.D. hinübereilte oder seiner Leitung die Plätze räumte, von welchen die Regierungsmacht ausgeht, so unterblieb dies aus einer mehr als verständlichen Reserve gegenüber dem Neuen, das er sachlich und persönlich vorzustellen versuchte.

Heute aber, nach dem Verbot der Versammlung in Gamprin und dem Widerhall, den dieses Verbot in der Zeitung des L.H.D. findet, [2] heute scheint mir der Moment gegeben, dem Heimatdienst öffentlich zu erklären, weshalb trotz solcher Bereitschaft zum Verstehenwollen ihm aus seiner eigenen Haltung heraus das Recht aberkannt werden muss, sich als eine Bewegung darzustellen, die den Dienst an der Heimat allem anderen voranstelle. Der L.H.D. protestiert nach dem, was in Eschen vorgefallen ist, [3] "schärfstens" gegen dieses Versammlungsverbot! Er kennzeichnet es als Verletzung des Art. 41 der Verfassung! [4] Damit, so glaube ich, hat sich der L.H.D. endlich als das demaskiert, was er wirklich ist und was er aus diesem Grunde nicht müde wird "schärfstens" abzuleugnen: der L.H.D. ist seinem Wesen, seiner Herkunft, seiner Taktik, seiner ganzen Haltung nach nichts anderes als eine als national ausgegebene Bewegung. Die Fronten in der Schweiz werden am 11. März gegen das Ordnungsgesetz stimmen! [5] Nun frage einmal jeder den nächsten Heimatdienstmann, ob er, wenn Liechtenstein ein ähnliches Gesetz zur Vorlage brächte, nicht auch dagegen stimmen würde! Und was für Versammlungen politischer Parteien dulden denn jene, teils an der Macht befindlichen, teils zur Macht strebenden faszistischen Parteien in jenen Staaten? Haben sie in Österreich, in Deutschland, in Italien nicht gegen jedes Versammlungsverbot "schärfsten", auf die Verfassung sich berufenden Protest erhoben, solange sie gegen das "System" in Opposition standen?

Gewiss, so wenig Fronten- und Faszistenführer und deren nächster Stab sich an den Zusammenstössen mit ihren politischen Gegnern persönlich beteiligen, so wenig ist anzunehmen, dass die Leitung des L.H.D. die Argumente ihrer Versammlungsreferate auch handgreiflich zu verstärken bemüht sein wird. Aber da diese Argumente nach dem ein wenig veränderten Dichterwort gebracht werden: "Denn, wo Gedanken fehlen, stellt ein Gefühl zur rechten Zeit sich ein", so muss dieser Mangel auch im Zuhörer durch Gefühle wettgemacht werden, durch die Erweckung von Leidenschaften gerade dann, wenn es besonders krasse Lücken im sachlichprogrammatischen Aufbau des Neugestaltungsplanes von Volk, Staat und Wirtschaft zu überdecken gilt. Gewiss, Doktoren und Barone [6] werden, wenn das Gefühl sie übermannt, nur mit der Faust auf den Tisch schlagen, aber es ist keine Frage, dass ihre weniger adeligen und gebildeten Zuhörer den lebendigen Gegner dem toten Tische vorziehen würden, wenn es einmal so weit ist. Dann aber wird der Leitung des L.H.D. wieder ein Dichterwort einfallen: "Besen, Besen seid's gewesen!"

"Gut Ding will Weile haben", das konnte man sich immer noch bei der Frage denken, was der L.H.D. denn eigentlich will. Es darf wohl gesagt werden, dass er, der immer so nach dem Kampfe mit geistigen Waffen ruft, schon seit drei Wochen Gelegenheit hätte, sich mit den fachlichen Ausführungen des [Kreis mit Punkt]-Korrespondenten auseinander zu setzen. [7] - Warum tut er das nicht? Nicht nur, weil er es nicht kann, nicht nur, weil er es nicht will, sondern gerade, weil es für ihn taktisch nicht klug ist, programmatisch Farbe zu bekennen, soweit er es überhaupt könnte! Denn tauglicher dünkt ihn, im Trüben zu fischen und alle Klarheit und Wahrheit der "Bewegung" hintanzustellen. Jetzt, da einmal die wesentliche Gleichheit der Methode von L.H.D. und Fronten sichtbar geworden ist, steht fest, dass niemand weniger innerliches oder objektives Recht dazu besitzt, gegen dies Versammlungsverbot zu protestieren, als die Partei, um nun das richtige Wort zu gebrauchen, die, an die Macht gelangt, jede Versammlung Andersgesinnter verbieten, unterdrücken würde, damit sie nur ja vor Widerstand, Kritik und anderen Ideen geschützt sei; als die Partei, die, einmal an der Macht, sich keinen Augenblick besinnen würde, die ganze Verfassung und damit auch der Artikel 41, auf den sie sich heute noch mit dem falschen, aber umso lauteren Brustton der Entrüstung beruft, abzuschaffen! Es ist doch kein Zufall, wenn Dr. [Alois] Vogt in der Versammlung zu Vaduz am 20. Februar vom Zwang zur Ständeorganisation sprach, es war auch kein Ungeschick! Denn so ausgezeichnet dies zur ideologischen Rüstkammer des L.H.D. passt, um soviel entsprechender ist dann auch der selbstverständliche und absolute Raub jeder heute geltenden Versammlungsfreiheit!

Nein, L.H.D., wer so im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen! Wer nicht müde wird, Anstand, Würde und Wahrheit zu predigen, wer die Spalten seiner Zeitung mit Gedichten in Versen und Prosa füllt, als hätten die deutschen Dichter ausschliesslich für den L.H.D. geschaffen, der sollte wahrlich diesen Anstand, diese eigentliche Würde und diese wirkliche Wahrhaftigkeit besitzen, nicht Entrüstung zu heucheln, wenn der Gegner sich aus guten Gründen und verfassungsgemäss erlaubt, was er selber aus schlechten Motiven und gegen die Verfassung in dem Augenblick täte, in dem er es vermöchte.

Die Maske des L.H.D. ist damit gefallen. Alle Poesie seines musengeschwellten Organes erweist sich damit als Missbrauch, aller Idealismus, alle "Unerfahrenheit" zeigt als Leimrute ihre wahre Natur.

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[1] L.Vo., Nr. 29, 10.3.1934, S. 1f.
[2] L.Heimatd., Nr. 18, 7.3.1934, S. 1 ("Die 8. Heimatdienstversammlung in Gamprin - verboten!", "Protest"), S. 2 ("Es lebe das demokratische Liechtenstein"). 
[3] Bei der Werbeveranstaltung des Heimatdiensts in Eschen am 18.2.1934 kam es zu tumultartigen Szenen (L.Vo., Nr. 21, 20.2.1934, S. 1 ("Eschen. Heimatdienstversammlung"), L.Heimatd., Nr. 14, 21.2.1934, S. 1f. ("Der Heimatdienst in Eschen")).
[4] Art. 41 der Verfassung garantiert das freie Vereins- und Versammlungsrecht innerhalb der gesetzlichen Schranken (LGBl. 1921 Nr. 15).
[5] Am 11.3.1934 wurde in der Schweiz das Bundesgesetz vom 13.10.1933 über den Schutz der öffentlichen Ordnung (Bundesblatt, 1933, Bd. 2, S. 511-514) in der Volksabstimmung verworfen.
[6] Anspielung auf die Leitung des Heimatdiensts, bestehend aus Dr. med. Otto Schädler, Dr. iur. Alois Vogt und Baron Carl von Vogelsang.
[7] Das "Liechtensteiner Volksblatt" veröffentlichte zwischen dem 17.2. und dem 17.3.1934 eine Artikelserie "Der liechtensteinische Heimatdienst und sein Programm". Der Verfasser dieser Artikel bezeichnete sich mit dem Pfadfinderzeichen "Kreis mit Punkt", das für "Ich habe meinen Auftrag erfüllt und bin nach Hause gegangen" steht (L.Vo., Nr. 20, 17.2.1934, S. 2; Nr. 21, 20.2.1934, S. 1f.; Nr. 22, 22.2.1934, S. 1; Nr. 23, 24.2.1934, S. 8; Nr. 25, 1.3.1934, S. 1f.; Nr. 26, 3.3.1934, S. 1f.; Nr. 28, 8.3.1934, S. 1f.; Nr. 31, 15.3.1934, S. 1).