Staatsanwalt Karl Eberle schlägt vor, Berufung einzulegen gegen den Freispruch von Alfons Goop


Schreiben von Staatsanwalt Karl Eberle an Regierungschef Alexander Frick [1]

26.11.1946, St. Gallen

Sehr geehrter Herr Regierungschef!

Gestern Abend ging bei mir das Urteil in der Strafsache gegen Dr. Alfons Goop ein. [2] Ich habe zehn Tage Zeit für die Berufungsausführung. Diese Frist läuft also am 5. Dezember 1946 ab. Ich lege Ihnen hier zur Zeitersparnis das Urteil bei, ohne vorerst noch eine Abschrift desselben zu machen und ersuche die Regierung um ihren möglichst raschen Entscheid, ob ich die Berufung durchführen soll oder nicht.

Das Urteil als solches ist gründlich und sorgfältig redigiert. Die rechtliche Diskussion kann m.E. nur dort einsetzen, wo das Kriminalgericht die Frage würdigt, ob der Angeklagte durch seine Tätigkeit in der VDBL etwas unternommen habe, was auf die Herbeiführung oder Vergrösserung einer Gefahr für den Staat von aussen oder eine Empörung im Innern angelegt war (S. 9 und 10 des Urteils, von mir rot angestrichen).

In diesem Punkt teilte ich die Auffassung des Kriminalgerichtes nicht. Natürlich bestand sowohl für die Schweiz [wie Liechtenstein] die nationalsozialistische deutsche Gefahr schon unabhängig von der VDBL oder ähnlichen Organisationen. Dass aber die Existenz und die Tätigkeit derartiger "Anschlussfreunde" und rechtsextremer Gruppen diese latente Gefahr von aussen erheblich vergrösserten, dürfte nachgerade eine geschichtlich erwiesene Tatsache sein. Es genügte zur Auslösung dieser Gefahr allein schon der Umstand, dass die deutschen Machthaber darauf hinweisen konnten, dass derartige Gruppen als Minderheit unterdrückt und verfolgt würden und deshalb "befreit" werden müssten. Je aktiver sich derartige Anschlussminderheiten in Wort und Schrift betätigten, umso mehr lenkten sie natürlich auch die Aufmerksamkeit der deutschen Expansionspolitiker auf sich. Dem widerspricht auch nicht der Umstand, dass das deutsche Reich "an den Vorgängen in Liechtenstein nicht so interessiert war, wie aus den Verhandlungen über den Putschversuch des Jahres 1939 her gerichtsbekannt ist." Wenn damals das deutsche Reich die liechtensteinischen Angelegenheiten noch nicht für interventionsreif hielt, mögen ganz andere Gründe dafür ausschlaggebend gewesen sein und konnten sich die Verhältnisse in den folgenden Jahren, d.h. während der Tätigkeit des Dr. Goop als Landesleiter der VDBL wesentlich ändern. Gelegentlich war nur ein Funke nötig, um den angehäuften Zündstoff zur Explosion zu bringen.

Ich würde die Berufung vor Obergericht hauptsächlich mit diesen Überlegungen begründen und beantragen, den Dr. Goop des Hochverrats doch schuldig zu sprechen. Ob das Gericht sich meiner Beurteilung dieser Tat- und Rechtsfragen anschliessen würde, kann natürlich nicht bestimmt vorausgesagt werden.

Der Freispruch von der Anklage wegen unerlaubten Nachrichtendienst, wegen Verjährung, scheint mir unanfechtbar zu sein. Die diesbezügliche Begründung im kriminalgerichtlichen Urteil ist stichhaltig. Wenn der Verfolgungsantrag namens der Staatsanwaltschaft erst am 31.10.1945 gestellt wurde, muss ich hierzu daran erinnern, dass erst im Oktober 1945 das belastende Material gegen Dr. Goop zum Vorschein kam und dass ich namens der fürstlichen Regierung erst anfangs Oktober 1945 als a.o. Staatsanwalt beauftragt wurde. Damals war die Verjährungsfrist inbezug auf die beiden Briefe vom 27.7. und 23.8.40 [3] bereits abgelaufen. Inbezug auf den dritten eingeklagten Bericht vom 25. Febr. 1941 [4] ist das Gericht m.E. in zutreffender Weise zur Überzeugung gekommen, dass der Beweis nicht erbracht ist, dass dieser Artikel ebenfalls an Dr. Puls abgeschickt wurde.

Wegen des Freispruchs von der Anklage auf Störung der öffentlichen Ruhe nach § 65 würde ich ebenfalls keine Berufung durchführen. [5] Inbezug auf diesen Anklagepunkt ist eben die Tatsache zu beachten, dass der "Umbruch" während langer Zeit unter den Augen der damaligen Regierung erscheinen konnte und gelesen wurde, ohne dass damals eingeschritten wurde.

Ich ersuche Sie also im Sinne § 6 der Verordnung vom 19.5.1914 über die Staatsanwaltschaft [6] um den Entscheid der fürstlichen liechtensteinischen Regierung über die Durchführung der von mir fristgemäss angemeldeten Berufung. [7] Das beiliegende Urteil bitte ich wieder zurück.

Mit vorzüglicher Hochschätzung

 

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[1] LI LA RF 232/484d (a).
[2] Alfons Goop war am 25.10.1946 in 1. Instanz von der Anklage wegen Hochverrat, Störung der öffentlichen Ruhe und verbotenem Nachrichtendienst freigesprochen worden (LI LA J 007/S 078/358/052)
[3] LI LA J 007/S 078/358/001/B, D.
[4] LI LA J 007/S 078/358/001/G.
[5] Österreichisches Strafgesetz vom 27.5.1852 über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, eingeführt im Fürstentum Liechtenstein mit Fürstlicher Verordnung vom 7.11.1859.
[6] Nach Paragraph 6 der Amtsinstruktion für die Staatsanwaltschaft (LGBl. 1914 Nr. 4) hat diese in "besonders wichtigen Straffällen, ferner bei politischen Verbrechen und Vergehen [...] vor Erhebung der Anklage, beziehungsweise Abgabe der Einstellungserklärung oder Bekanntgabe des Abstehens von der Verfolgung mit der Fürstlichen Regierung das Einvernehmen zu pflegen".
[7] Die Berufung erfolgte mit Schreiben vom 5.12.1946 (LI LA J 007/S 078/358/055). In 2. Instanz wurde Goop des Hochverrates schuldig gesprochen und zu zweieinhalb Jahren schweren Kerker verurteilt (LI LA J 007/S 078/358/059).