Abdruck des Textes der Rede von Fürst Franz Josef II. vom 3.5.1942 im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]
5.5.1942
Ansprache Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten von Liechtenstein
Ich danke dem Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein für die Veranstaltung des heutigen Gedenktages und ich möchte bei dieser Gelegenheit auch allen, die zum Gelingen des heutigen Tages beigetragen haben, sowie allen, die an der Erfüllung der Aufgaben des Historischen Vereines arbeiten, meinen Dank und meine Anerkennung zum Ausdruck bringen. Unzählige Stunden, meist neben der beruflichen Betätigung, wurden der Erforschung der Geschichte unserer Heimat geopfert im edlen Bestreben, die Liebe zur Heimat durch die Kenntnis ihrer geschichtlichen Entwicklung und der dadurch gegebenen Tradition zu vertiefen und zu verinnerlichen.
Der heutige Tag ist dem 600jährigen Gedenken an den Beginn der eigenstaatlichen Entwicklung unserer Heimat gewidmet. Klein und von der übrigen Welt fast unbemerkt, wurde am 3. Mai 1342 der Grundstock für ein die Jahrhunderte und ihr wechselndes Geschick überdauerndes Werk gelegt und klein, wenn man den üblichen Massstab für die Ausdehnung eines Staatsgebietes anlegt, ist das heute vor uns liegende Ergebnis jenes Tages. [2] Aber auch der kleine Staat hat von der Vorsehung seine Aufgabe zugewiesen erhalten, denn nicht die flächenmässige Ausdehnung ist das Entscheidende für die Existenz eines Staates, sondern allein die Erfüllung der staatlichen Aufgabe, die Sorge für das Wohl seiner Bevölkerung und diese zu schützen und zu ernähren.
In harten Zeiten, in denen unsere Heimat oft von den kriegerischen Auseinandersetzungen der Nachbarn in Mitleidenschaft gezogen und unsere Fluren und Heimstätten zerstört wurden, der ungezügelte Rhein die Ebene überschwemmte und die Ernte vernichtete und Seuchen und Hungersnöte die Reihen der Bevölkerung lichteten, haben Männer, deren Namen in der Geschichte fortleben, und viele Namenlose immer wieder mit frischem Mut die Heimat aufgebaut und sie haben sich dafür eingesetzt, um unserer Generation unser heutiges Liechtenstein zu hinterlassen.
Am Anfange der besonderen Geschichte unserer Heimat steht ein brüderlich-friedlicher Vertrag; friedlich erfolgte die Abrundung unseres Staatsgebietes zum heutigen Ganzen und in friedlicher Tätigkeit vollzog sich das Leben der Bevölkerung.
So zeigt uns die Geschichte klar und deutlich, welche Aufgaben wir als liechtensteinische Staatsbürger zu erfüllen haben. Es gilt das Erbe, das uns von unserem Vorfahren übergeben wurde, getreu zu verwalten und auch wie sie in schweren Zeiten für unsere Heimat einzutreten. Und das Motiv all unseres Handelns muss der Friede sein. Friedliche und freundschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarn zu pflegen, den inneren Frieden zu wahren und Werke des Friedens zu vollbringen, ist unsere weitere Aufgabe. Wir sind für dieses Friedenswerk gerüstet, da wir durch die Pflege des Rechtes und der Gerechtigkeit, durch die Ausbildung, die uns unsere Schulen vermitteln, durch die sozialen Einrichtungen des Staats, durch die Teilnahme jedes Einzelnen am öffentlichen Leben und durch die wirtschaftliche Erschliessung des ganzen Landes alle Voraussetzungen dafür zur Verfügung haben.
Als Fürst diese Landes werde ich darüber wachen, dass diese Grundsätze unserer Geschichte stets hochgehalten und befolgt werden und ich bin sicher, dass jeder Liechtensteiner mir auf diesem Wege aus Liebe zu unserer schönen Heimat folgen wird. Wenn wir so alle unsere Pflicht erfüllen, werden auch wir einst unseren Vorfahren sagen können, dass wir ihre Arbeit nach besten Kräften fortgesetzt haben und auch wir können, wie sie, unseren Nachkommen ein freies, glückliches Erbe hinterlassen - unser Liechtenstein.
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[1] L.Vo., Nr. 53, 5.5.1942, S. 1. Die Rede wurde auch abgedruckt in L.Va., Nr. 36, 6.5.1942, S. 1 ("Die 600-Jahrfeier zu Vaduz").
[2] Am 3.5.1342 bestätigten die Grafen Hartmann III. und Rudolf IV. von Werdenberg-Sargans eine von Schiedsleuten vorgenomme Teilung ihrer gemeinsamen Güter (Liechtensteinisches Urkundenbuch, Bd. I/1, Nr. 101) Diese Teilungsurkunde galt der älteren Geschichtsschreibung als Gründungsdokument der Grafschaft Vaduz.