Liechtenstein bedauert die unzufriedenstellende Handhabung der fremdenpolizeilichen Vereinbarung vom 28. Dezember 1923 mit der Schweiz


Note der liechtensteinischen Regierung an das Eidgenössische Politische Departement [1]

12.5.1933

Die fürstlich liechtensteinische Regierung beehrt sich, dem Eidgenössischen Politischen Departement den Empfang seiner Note vom 10. April 1933 B.14.2. Liecht. 2.6.- CN an die fürstliche Gesandtschaft in Bern zu bestätigen und folgendes zu erwidern:

Die fürstliche Regierung bedauert, dass schon seit Inkrafttreten der fremdenpolizeilichen Vereinbarung vom Jahre 1923 die Meldungen über erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen in Liechtenstein an die Eidgenössische Fremdenpolizei unterlassen worden sind. Ebenso bedauert sie, dass die jeweils erfolgten Verlängerungen erteilter Aufenthaltsbewilligungen nicht gemeldet wurden. Dagegen kann die fürstliche Regierung feststellen, dass bisher keine Toleranzbewilligungen gemäss Art. 26 Abs. 3 der Verordnung des Bundesrates über die Kontrolle der Ausländer vom 29. November 1921 ausgestellt worden sind.

Die fürstliche Regierung hat nunmehr Vorsorge getroffen, dass in Zukunft alle durch die Verordnung vom 29. November 1921 bezw. der Vereinbarung vom 28. Dezember 1923 festgesetzten Mitteilungen an die Eidgenössische Fremdenpolizei pünktlich und in allen Fällen erstattet werden.

Was nun die in der Note des Eidgenössischen Politischen Departementes besonders angeführten 2 Fälle betrifft, so bemerkt die fürstliche Regierung, dass die bezüglichen Gewerbebewilligungen in erster Linie in dem Bestreben erteilt wurden, der einheimischen Bevölkerung erwünschte Arbeitsgelegenheit zu verschaffen. Auch nur unter diesem Gesichtspunkte erfolgte die Zulassung fremder Arbeitskräfte zur Ausbildung liechtensteinischer Arbeiter. Im besonderen bemerkt die fürstliche Regierung zu diesen Fällen folgendes:

Fall Schallegger

Schallegger hat sein Gewerbebewilligungsgesuch damit begründet, dass seine schweizerischen Abnehmer ein ganz besonderes Gewicht darauf legen, die von ihm hergestellten Schuhwaren zu bekommen. Aus diesem Grunde hat die fürstliche Regierung den zwischen Schallegger und der Gemeindevorstehung Mauren getroffenen Vereinbarungen anfänglich bedenkenlos zugestimmt. Bei einer Überprüfung der im Jahre 1932 erteilten Gewerbekonzessionen hat die fürstliche Regierung bereits im Jänner dieses Jahres die zwischen der Gemeindevorstehung Mauren und Schallegger getroffenen Vereinbarungen jedoch als nichtig erklärt, weil sie vermuten, es könnte an den Abmachungen Anstoss genommen werden. Im übrigen ist die Angelegenheit indessen dadurch hinfällig geworden, dass Schallegger aus dem Lande ausgewiesen und sein Betrieb geschlossen wurde.

Der fürstlichen Regierung war auch nicht bekannt, dass Schallegger wiederholt wegen Schmuggels abgestraft war. Auf jeden Fall lag es der Regierung vollkommen fern, illoyal gegen die vertraglich übernommenen Pflichten zu handeln.

Fall Stragupo Neokon A.G

Diese Firma erhielt von der fürstlichen Regierung die abschriftlich beiliegende Konzession. Sie enthält keinerlei Beschränkung im Sinne eines Verkaufsverbotes in Liechtenstein, wohl aber teilte die fürstliche Regierung am 5. September 1932 der Firma mit, dass diese Konzession nur die Berechtigung in sich schliesse, Möbel herzustellen und an Wiederverkäufer abzusetzen. Ein Detailverkauf sowohl in Liechtenstein als in der Schweiz ist ihr nicht bewilligt worden. Das Unternehmen hat auch die Bewilligung bekommen, zur Anlernung hiesigen Personals für eine beschränkte Zeit Spezialarbeiter aus ihrem deutschen Unternehmen mitzubringen, die aber dann wieder ausreisen müssen, sobald einheimische qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind.

Entgegen einzelnen wenigen Gewerbebewilligungen an Ausländer hat die fürstliche Regierung Dutzende von solchen Ansuchen abschlägig beschieden. Wenn sie aber das eine oder andere bewilligt hat, so war es aus der zwingenden Notwendigkeit heraus, Arbeit und Verdienst zu schaffen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Liechtenstein sind nämlich keineswegs so günstig, wie sie in der ausländischen Presse vielfach dargestellt werden.

Während vor dem Kriege noch im liechtensteinischen Oberlande 3 Fabriken mit gegen 700 Arbeitern bestanden, arbeiten heute noch deren zwei mit rund 275 Personen. Im liechtensteinschen Unterland ist, wie im benachbarten Ct. St. Gallen die einst blühende Handmaschinenstickerei verschwunden und eine im Jahre 1931 abgebrannte Jutefabrik konnte bis heute nicht wieder aufgebaut werden, da die beteiligten schweizerischen Versicherungsgesellschaften die Zahlung der Versicherungsleistungen verweigern. Die herrschende Arbeitslosigkeit wird ferner beeinflusst durch die Tatsache, dass die Bauhandwerker – ein Haupterwerbungszweig der Liechtensteiner – in ihrer jährlichen Saisonbeschäftigung in der Schweiz wesentlich eingeschränkt sind.

Aus diesen Tatsachen heraus ist das Bestreben der fürstlichen Regierung verständlich, für die entgangenen Verdienstgelegenheiten Ersatz zu schaffen.

Im Allgemeinen darf die fürstliche Regierung darauf hinweisen, dass sie stets bemüht ist und sein wird, die vertraglichen Vereinbarungen mit der Schweiz einzuhalten. Sie hat gegenüber Schweizerischen Staatsangehörigen sogar ein mehreres getan. Zahlreiche Schweizer Firmen haben in den letzten Jahren in Liechtenstein Beschäftigung gefunden. Die fürstliche Regierung hat bisher nie von ihrem vertraglichen Rechte Gebrauch gemacht, den Arbeitern dieser Firmen eine Arbeitsbewilligung vorzuschreiben. Ebenso hat sich die fürstliche Regierung immer damit begnügt, bei Aufenthalt oder Niederlassung von Schweizern in Liechtenstein genau nach den Bestimmungen des Liechtensteinisch-Schweizerischen Niederlassungsvertrages vom Jahre 1875 [3] vorzugehen, ohne eine besondere Bewilligung vorzuschreiben. Die fürstliche Regierung war stets eingedenk des Geistes, der den Zollanschlussvertrag beherrscht.

Bezüglich der Einbürgerungen gestattet sich die fürstliche Regierung zu bemerken, dass eine Neuordnung der gesetzlichen Bestimmungen im Gange ist. Die Nachrichten über die Einbürgerungen sind übrigens masslos übertrieben; von ca. 1890 bis 1920 kamen nur 2 Einbürgerungen vor und seit 1920 sind die Einbürgerungsfälle in Liechtenstein verhältnismässig nicht häufiger als in jedem anderen Lande. Bei keiner wie immer gearteten Einbürgerungspraxis wird es sich nach Ansicht der fürstlichen Regierung vermeiden lassen, dass in Ausnahmefällen unangenehme Folgeerscheinungen damit verbunden sind.

Die fürstliche Regierung bittet das Politische Departement, die hier vorgebrachten Momente prüfen zu wollen. Sie ist gerne bereit, auf Grund des neuen Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern in Verhandlungen über eine Revision der fremdenpolizeilichen Vereinbarung einzutreten, bittet jedoch das Eidgenössische Politische Departement ihr dieses Bundesgesetz zur Einsicht zu übermitteln.

Die fürstliche Regierung ist weiter gerne bereit, mündlich noch weitere Aufklärungen in den oben erwähnten Angelegenheiten zu geben.

Sie benützt diesen Anlass, um das Eidgenössische Politische Departement seiner ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

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[1] LI LA RF 133/123/002.
[2] Siehe das Schreiben des Eidgenössischen Politischen Departements an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern vom 10.4.1933 (LI LA RF 133/123/001).
[3] LGBl. 1875 Nr. 1.