Schreiben der Liechtensteinischen Handelskammer an die Liechtensteinische Regierung [1]
22.4.1938
In der Ausschuss-Sitzung der Gewerbegenossenschaft für das Fürstentum Liechtenstein vom 20. d. M. wurde die Gelegenheit gerne und mit Interesse ergriffen, Anregungen und Wünsche in der Frage des Ausbaues und der Vertiefung des Zollvertrages mit der Schweiz in gewerblichen Belangen zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig wurde mit dem Ausdruck des Dankes für die Gelegenheit dieser Stellungnahme die Hoffnung ausgedrückt auch in den kommenden Verhandlungen betreffend diese Fragen im engen Kontakt mit der fürstlichen Regierung bleiben zu können.
Wir notieren Ihnen im nachfolgenden die pauschal vorgebrachten Wünsche und fügen hinzu, dass eine rasche und befriedigende Behandlung seitens der schweizerischen Behörden in liechtensteinischen Gewerbekreisen als Zeichen des Verständnisses und des Entgegenkommens schweizerischerseits vermerkt würde und über die materiellen Interessen hinaus eine wünschenswerte gute ideelle Einstellung zur Schweiz stärken könnte. Wir behalten uns vor weitere Ausführungen (die wir zur Zeit mangels Unterlagen nicht machen können) zu folgenden Wünschen bezw. Anregungen zu machen:
1. Verwendung des Armbrustzeichens für liechtensteinische Erzeugnisse, unter selbstverständlicher Beachtung der für die Verwendung dieses Zeichens geltenden schweizerischen Bestimmungen.
2. Gleichstellung liechtensteinischer Lastwagenbesitzer mit schweizerischen Lastwagenbesitzern in Ausführung von Transporten in der Schweiz. Liechtensteinische Lastwagenbesitzer sind in der Schweiz in Ausübung von Transporten wiederholt gebüsst worden. Die Bussen erfolgten in Anwendung der kantonalen Bestimmungen betreffend Transporte durch nicht-schweizerische Lastwagen. Liechtenstein soll in dieser Frage nicht als Ausland gelten. Wir fügen hinzu, dass schweizerische Lastwagenbesitzer in Liechtenstein Transporte frei ausüben und für dieses Geschäft sogar hier Propaganda machen. Eine solche Einseitigkeit zum Schaden unserer Transportunternehmer hat verständlicherweise viel Missstimmung hervorgerufen.
3. Freie Arbeitsannahme liechtensteinischer Arbeitsnehmer in der Schweiz. Insbesondere setzt sich das liechtensteinische Gewerbe für die unbehinderte Unterbringung von liechtensteinischen Lehrlingen und liechtensteinischen Gesellen in der Schweiz ein.
4. Es hat sich wiederholt gezeigt, dass kommunale und kantonale Organe (Polizei, Beamte) in Unwissenheit oder in Unklarheit über die vertraglichen Bestimmungen, welche die Beziehungen Liechtensteins zur Schweiz regeln, der Tätigkeit von liechtensteinischen Gewerbetreibenden in der Schweiz Schwierigkeiten bereitet haben. Das Verhalten solcher Organe macht den Eindruck, dass eine bessere Information von den vorgesetzten schweizerischen Behörden notwendig ist, im Interesse der Verhütung von unerfreulichen Zusammenstössen.
5. Die Tätigkeit der schweizerischen Handelsreisenden in Liechtenstein auf Grund der grünen Karte ist unbeschränkt. Es wird keine Beschränkung liechtensteinischerseits dahin ausgeübt, ob z. B. die Nächtigung in Liechtenstein oder in der Schweiz erfolgt. Liechtensteinische Handelsreisende in der Schweiz, als Inhaber der grünen Karte, erfahren öfters Schwierigkeiten, wenn in Ausübung dieser Tätigkeit notwendigerweise eine oder mehrere Nächtigungen in der Schweiz zustande kommen müssen. Es ist ein begreiflicher Wunsch, dass die Gegenseitigkeit auch in diesem Punkte gewahrt bleibt.
6. Schweizerische Unternehmer beliefern liechtensteinische Konsumenten direkt als eine Art Hausiergewerbe, durch Besuche von Haus zu Haus, wobei die Waren vielfach im Auto mitgeführt werden ((Brot, Fleisch, Lebensmittel anderer Art, Schuhe). Die Versuche liechtensteinischer Unternehmer, gleiche oder ähnliche Geschäfte in einem viel kleineren Ausmasse im schweizerischen Grenzgebiet auszuüben, erfahren grosse Schwierigkeiten im Verhalten der kommunalen und kantonalen Organe. Infolge Bussen und anderen Verfügungen sind solche Geschäfte seitens Liechtensteinern im schweizerischen Grenzgebiet fast unmöglich gemacht. Das liechtensteinische Gewerbe erwartet auch in diesem Punkte, entweder durch eine Korrektur der Behandlung schweizerischer Lieferanten in Liechtenstein, oder durch eine Korrektur der Behandlung liechtensteinischer Lieferanten in der Schweiz eine gegenseitig gleichmässige Behandlung.
Mit vorzüglicher Hochachtung
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[1] Li LA RF 180/103/001.