Liechtenstein lehnt die Übernahme der eidgenössischen Kriegsgewinnsteuer ab


Bemerkungen der liechtensteinischen Regierung zu einer vom Schweizer Legationsrat Dr. Stucki dem Regierungschef-Stellvertreter Dr. Alois Vogt übergebenen Notiz [1]

o.D. (vor dem 8.8.1944)

1. Die Kriegsgewinnsteuer wäre der Ruin der jungen liechtensteinischen Industrie und der mittleren und grösseren Gewerbebetriebe. Der liechtensteinische Unternehmer musste nach der Verarmung während des I. Weltkrieges und dem Zusammenbruch der Kronenwährung seinen Betrieb erst wieder aufbauen. Abgesehen von den Auswirkungen der Krisenzeiten konnte er neben der unvergleichlich kapitalkräftigeren und zu qualitativ höher stehenden Leistungen befähigten Schweizer Unternehmerschaft äusserst schwer vorwärts kommen und die Bildung von Reserven war ihm ganz unmöglich. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhange die Tatsache der hohen Verschuldung des liechtensteinischen Gewerbes. Die Abschöpfung der in der letzten Zeit erzielten zweifellos nicht übermässigen Gewinne würde dem liechtensteinischen Gewerbe die ihm so nötige finanzielle Unterlage entziehen. Die jungen industriellen Betriebe, deren Zahl übrigens verschwindend klein ist, käme in die gleiche Lage. Die Folge wäre eine Stillegung oder eine Abwanderung der Betriebe, zumal Liechtenstein aus verschiedenen Gründen einer Industrie nicht jene Vorteile zu bieten vermag, wie die Schweiz (Verkehrserschwernisse, Mangel an gelernten Arbeitern u.a.) und damit verbunden eine augenblickliche verhängnisvoll sich auswirkende Arbeitslosigkeit.

2. Die Kriegsgewinnsteuer ist eine ausserordentliche Steuer zur Deckung der schweizerischen Mobilisationskosten. Es würde schwer halten, den liechtensteinischen Steuerpflichtigen die Übernahme des schweizerischen Kriegsgewinnsteuergesetzes plausibel zu machen, bei dessen Gestaltung die liechtensteinische Bevölkerung weder direkt noch indirekt irgend einen Einfluss nehmen könnte. Sie hätte nicht einmal die Möglichkeit, irgendwelche durch die besonderen liechtensteinsichen Verhältnisse sich aufdrängenden Wünsche vorzubringen.

Die liechtensteinischen Steuerträger würden die Einführung der schweizerischen Kriegsgewinnsteuer umso weniger verstehen, als das Land seine bescheidenen Bedürfnisse mit den ordentlichen Staatseinnahmen zu decken vermag.

3. Die schweizerischerseits laut gewordenen Befürchtungen, dass einzelne schweizerische Steuerpflichtige darnach trachten könnten, sich durch Wohnsitznahme im Fürstentum Liechtenstein oder durch Verbuchung einträglicher Geschäfte über liechtensteinische Gesellschaften dem Zugriff der eidgenössischen Steuerbehörden zu entziehen, erscheint der fürstlichen Regierung nicht begründet. Die Fälle, dass schweizerische Steuerpflichtige in Liechtenstein Wohnsitz nehmen, sind äusserst selten. So sind seit Kriegsbeginn anders als zu Zwecken der Arbeitsannahme nur 4 Personen von der Schweiz nach Liechtenstein gezogen.

Die Möglichkeit von Verbuchungen von Geschäften über eine liechtensteinische Gesellschaft in einzelnen Fällen kann nicht bestritten werden. Demgegenüber aber muss die Tatsache festgehalten werden, dass eine sehr grosse Zahl liechtensteinischer Gesellschaften gerade während des Krieges liquidiert worden sind und die Zahl der Neugründungen eine ausserordentlich starke Abnahme gegenüber der Vorkriegszeit aufweist. Diese rückläufige Bewegung geht in die Augen springend aus der Tatsache hervor, dass die Gründungsabgaben, die im Jahre 1937 Fr. 117 814.- betragen haben, im Jahre 1942 auf Fr. 23 175.- gesunken sind, während das Ergebnis der Gesellschafts- und Stiftungssteuern in der gleichen Zeit von Frs 380 777.- auf Fr. 156 882.- zurückgegangen ist.

4. Die liechtensteinische Regierung ist weit entfernt, eine Steuerflucht aus der Schweiz nach Liechtenstein zu begünstigen, ja sie lehnt es ab, auch nur Hand zu einer solchen zu bieten. Bei aller Wahrung dieses Grundsatzes glaubt sie allerdings auf den Umstand verweisen zu dürfen, dass angesichts der engen wirtschaftlichen Bindungen der beiden Länder ein gewisser Kapitalverkehr das Normale ist. So haben seit jeher die vermöglichen Liechtensteiner und in Liechtenstein wohnhafte Ausländer ihre Gelder in Schweizer Papieren und in bar bei Schweizer Banken angelegt und zahlen heute die Verrechnungssteuer auf deren Erträgnis, ohne irgend eine Verrechnungsmöglichkeit zu haben. Umgekehrt haben seit jeher Schweizer gewisse Beträge in Liechtenstein investiert oder in liechtensteinischen Banken angelegt.

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[1] LI LA RF 224/460b. Handschriftliche Anmerkung: "Grundlage der Ausführungen v. Regierungschef Dr. Hoop". Diese bezieht sich auf die liechtensteinisch-schweizerische Konferenz in Bern am 8. August 1944. Siehe LI LA RF 224/460 (a).