Die Schweiz und Liechtenstein verhandeln bezüglich der Aufhebung des Visumszwanges für Drittausländer


Amtsvermerk, vermutlich von Regierungssekretär Ferdinand Nigg, nicht gez. [1]

27.7.1945

Freitag, den 27. Juli 1945 fand bei der Eidgenössischen Fremdenpolizei in Bern und bei der Polizeiabteilung des Justiz- und Polizeidepartementes in Bern Verhandlungen wegen Aufhebung des Visumszwanges statt. Die Besprechungen bei der Fremdenpolizei fanden zwischen Regierungssekretär Nigg und den Herren Dr. [Carl] Brunner und Dr. [Emil] Hofmann statt. Dr. Brunner stellte sich auf den Standpunkt, dass eine Aufhebung des Visumszwanges vorläufig nicht in Frage kommen und zwar:

1. wegen den Russen, die in Liechtenstein interniert sind,

2. wegen den zahlreichen Flüchtlingen und Emigranten, die nach Liechtenstein eingereist sind und die sich nach Aufhebung des Visumszwanges sofort nach der Schweiz ergiessen würden,

3. wegen den zahlreichen Einreisesperren, die in den letzten Monaten gegen Liechtensteiner verhängt werden mussten, wegen Dienstleistung im deutschen Heere, in der Waffen-SS und im Volkssturm und

4. wegen der largen Praxis in der Anerkennung österreichischer Grenzkarten für den Verkehr nach Liechtenstein.

Dr. Brunner wurde von Regierungssekretär geantwortet, dass

1. die Frage der Wegweisung der Russen bereits durch Verhandlungen mit dem Eidgenössischen Politischen Departement im Gange seien und dass Liechtenstein auch aus politischen Gründen das Bestreben hat, die Russen sobald als möglich wegzubringen.

2. & 3. Die Emigranten und diejenigen mit Einreisesperren können durch Kontrollen (Hotelkontrolle usw.) erfasst werden.

4. Bezüglich der Praxis bei der Anerkennung der Grenzkarten hat die fürstliche Regierung das Bestreben, diesen Grenzverkehr auf das unumgänglich notwendige Mass zu beschränken. Liechtenstein könne auch die Anerkennung der Grenzkarten davon abhängig machen, dass die betreffenden Personen mindestens vor dem 1.1. 1944 im Grenzbezirk Feldkirch wohnhaft waren, sodass alle die seither zugeströmten Flüchtlinge der Grenzkartenbegünstigung nicht teilhaftig würden. Übrigens verwies Herr Regierungssekretär darauf, dass die Weiterbehaltung das Visumszwanges infolge der Beendigung des Krieges den betreffenden Abmachungen widerspricht.

Die 2. Besprechung fand vom 10 – 11.15 Uhr bei Herrn Abteilungschef Dr. Jetzler [Robert Jezler] statt. Bei dieser Konferenz was Liechtenstein seitens des Herr Geschäftsträger S.D. Prinz Heinrich und Regierungssekretär Nigg vertreten. Der letztere trug den Wunsch der fürstlichen Regierung vor, die Grenzkontrolle an der Rheingrenze möglichst rasch, spätestens aber mit der Beendigung des Aktivdienstes der Armee, d. i. am 20.8. 1945 aufzuheben und den freien Verkehr wieder zuzulassen. Zur Begründung dieses Wunsches trug der Regierungssekretär die gleichen Gründe vor, wie sie in der vorhergehenden Besprechung mit Herr Dr. Brunner zur Kenntnis gebracht wurden.

Herr Dr. Jetzler nahm die Wünsche der fürstlichen Regierung zur Kenntnis und versprach deren aufmerksamen Prüfung. Er gab der Meinung Ausdruck, dass mit den kriegswirtschaftlichen Erleichterungen bezüglich der liechtensteinisch–schweizerischen Grenze einen Abbau erfolgen müsse. [2]

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[1] LI LA RF 232/166a.
[2] Der Amtsvermerk wurde in der Regierungssitzung vom 1. August 1945 zur Kernntnis genommen.