Die Überarbeitung von Peter Kaisers "Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein" durch Kanonikus Johann Baptist Büchel wird im Liechtensteiner Volksblatt gelobt


Zeitungsartikel, gez. C. M. [1]

12.1.1924

Liechtenstein. (Einges.) Mehr Freude als manches andre Ereignis der Jahreswende wird in diesem Ländchen das Erscheinen eines längst ersehnten Buches erwecken, nämlich: „Geschichte des Fürstentums Liechtensteins". Im Jahre 1847 hatte Rektor Peter Kaiser (gest. 1864 und auf dem Friedhof bei der Kathedrale in Chur begraben) seine verdienstvolle „Geschichte des Fürstentums Liechtenstein nebst Schilderungen aus Churrätiens Vorzeit" herausgegeben. Seither, seit 75 Jahren, ist die Weltuhr nicht stillgestanden und die Archivforscher sind nicht ausgestorben. So ist es selbst verständlich, dass das seinerzeit gerühmte Werk einer Fortsetzung und nach den seitherigen Ergebnissen der Geschichtsforschung einer Verbesserung in manchen Partien bedurfte.

Diese zweite, verbesserte und vervollständigte Auflage besorgte nun der bekannte liechtensteinische Historiker Prälat Joh. Bapt. Büchel.

Wer die 23 Bände: „Jahrbuch des historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein" auch nur im Register durchgeht, begegnet überall dem Namen Joh. Bapt. Büchel. Dieser Mann, dem die Vorsehung den Verlust des einen Auges durch die wunderbare Schärfe des andern hundertfach ersetzt hat, ist wirklich der Herodot des Landes geworden, das durch seine geographische Lage und Verbindung mit den Nachbarländern so eine Weltgeschichte im Kleinen durchgemacht hat, angefangen von den grauen Tagen der Vorzeit, bis, aber nur bis (nicht mit!) zu den schwarzen und roten Tagen des Umsturzes der Nachkriegszeit. Prälat Büchel hat seine geschichtlichen Arbeiten schon 1901 mit den Regesten zur Geschichte der Herren von Schellenberg begonnen, hat die Urbarien von Vaduz behandelt, hat sich um die Walliserfrage bekümmert, um die Burgen des Landes, um den Prättigauerkrieg, um die Pfarrarchive, aus denen er jeweils eine wertvolle Geschichte der betreffenden Pfarrei geschaffen hat. So ist der Mann, der Jahrzehnte hindurch als Seelsorger, Landesvikar, Schulrektor und Schulinspektor ein vollgerütteltes Mass von Verdiensten vor dem Herrn gesammelt hat, so fast nebenbei als Landesgeschichtsforscher und -schreiber wirklich segnend durchs Land gegangen. Er hat wirklich wieder einmal gezeigt, dass die echte, schwindellose und selbstlose Vaterlandsliebe nirgends so gut daheim sein kann wie im Herzen eines katholischen Priesters. Dafür ist Liechtenstein, Fürst und Land, aber auch dem ebenso verdienstvollen als bescheidenen Sohne Liechtensteins in dankbarer Liebe zugetan und wird es bleiben.

Und nun das sehr schön ausgestattete Werk, ein Band von 600 Seiten (im Selbstverlag des liechtensteinischen historischen Vereins in Vaduz), gewidmet dem allgeliebten Landesvater, Fürsten Johann II. von und zu Liechtenstein, dem hochherzigen Freund und Förderer der vaterländischen Geschichtsforschung! Es ist wirklich rührend und ein ganz sicher recht seltenes Beispiel bei den Gelehrten, mit welcher Pietät Prälat Büchel das Werk seines Landsmannes Peter Kaiser behandelt. Kaiser konnte die Werke eines Dr. G. Mayer (Geschichte des Bistums Chur), eines Mohr und Planta, Helbok und Weiss usw. und die gerade von seinem Bearbeiter ausgebeuteten Archive nicht benützen. So wäre es für den Herausgeber sehr verlockend und vielleicht sogar leichter gewesen, den alten „Kaiser" einfach auch als eine „benutzte Quelle" zu erwähnen und dann ganz unter eigenem Namen und zu eigenem Ruhm eine neue „Geschichte" herauszugeben. Unter 30 Universitätsprofessoren hätten 29 diesen für die Eitelkeit glanzvolleren Weg gewählt. Nicht so Prälat Johann Baptist Büchel: er verbindet seine eigene mühevolle Arbeit namenlos mit der Pietät. Das ist echter Mannessinn, selbstloser Patriotismus. Und wenn der verehrte Prälat auch auf dieses sein Lebenswerk zurückschaut, wird er jene Genugtuung empfinden, die im Sprüchlein liegt: dass auch das kleinste Land für die grösste Liebe nicht zu klein ist! -

Das angezeigte Werk enthält aber auch einen Grossteil der Geschichte Graubündens (auch der Schweiz) und Vorarlbergs, mit welchen Ländern Liechtenstein durch viele Jahrhunderte kirchlich und politisch vereinigt war oder doch in meistens freundlicher, selten feindlicher Beziehung stand. Und was besonders hervorgehoben werden muss: Prälat Büchel hat einen eigenartig wahren und warmen Griffel und legt immer und überall gerade auf die Kulturgeschichte besonderen Wert. Das interessante Werk ist in solidem, mit der Burg Vaduz geschmückten Einband um den staunenswert geringen Preis von 6 Franken zu haben vom Historischen Verein zu Vaduz (Kassier: Oberlehrer Feger). C. M.

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[1] L.Vo. 12.1.1924, S. 2. Als möglicher Verfasser kommt Carnot Maurus, Dekan des Klosters Disentis, in Frage. Er war 1924 das einzige Mitglied des Historischen Vereins mit den Initialen C.M.