Die Regierung des Kantons St. Gallen befürwortet in ihrer Stellungnahme zuhanden des Bundesrates den Abschluss eines Zollvertrages mit Liechtenstein


Pressemeldung, gez. "el." [1]

Die Zollunion mit Liechtenstein

Die Stellungnahme der St. Galler Regierung.

el. Als anfangs Januar dieses Jahres der Bundesrat der liechtensteinischen Regierung den Einwurf über einen Zollvertrag zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein überreichte, ersuchte die st. gallische Regierung das Politische Departement in Bern, ihr Gelegenheit zu geben, zu dieser Frage ebenfalls Stellung zu nehmen. Der Bundesrat entsprach diesem Gesuche, indem er der Regierung des Kantons St. Gallen am 9. Februar einen Vertragsentwurf zustellte und sie gleichzeitig zur Vernehmlassung einlud. Die Regierung wandte sich an das Kaufmännische Direktorium in St. Gallen, und an die Behörden des zunächst an der Grenze liegenden Bezirkes Werdenberg, sowie an das Bezirksamt und den Gemeinderat von Buchs. Ebenso wurde dem Initiativkomitee gegen den Zollanschluss Gelegenheit geboten, sich zur Frage auszusprechen. Dieses hat dann in einem längeren Exposé die verschiedenen Gründe angeführt, welche gegen eine Zollunion mit dem Fürstentum Liechtenstein sprechen. Die Behörden des Bezirkes Werdenberg haben sich ebenfalls gegen die geplante Zollunion ausgesprochen.

Einen anderen Standpunkt nahm das kaufmännische Direktorium ein, indem es der Regierung bekannt gab, dass es aus rein wirtschaftlichen Erwägungen allgemeiner Natur die im bundesrätlichen Entwurfe vorgesehene Zollunion mit Liechtenstein begrüsse und befürworte, trotzdem ihm bekannt sei, dass im angrenzenden Bezirke Werdenberg gegen diese Neuerung eine starke Opposition bestehe. Materiall habe es zum bundesrätlichen Entwurfe keine Bemerkungen zu machen. Die paar belanglosen Zeilen des kaufmännischen Direktoriums in St. Gallen scheinen nun auf die st. gallische Regierung einen grösseren Eindruck gemacht zu haben, als das fünfzehn Seiten umfassende Gutachten der Behörden und Vertrauensmänner der Grenzanwohner, indem sie am 20. März dem Bundesrate folgendes Schreiben zugehen liess:

„Wir können uns den gegnerischen Erwägungen nicht anschliessen, zumal wir aus dem Vertragsentwurf die Überzeugung gewonnen haben, dass die allgemein schweizerischen Interessen sowohl wie die lokalen des werdenbergischen Grenzgebietes und insbesondere diejenigen des Grenzortes Buchs durchaus gewahrt werden wollen.

Ein Bedenken, dem in der erwähnten gegnerischen Eingabe Ausdruck gegeben wird, erscheint allerdings auch uns nicht unbegründet. Wir bitten Sie daher, dieses womöglich noch beheben zu wollen, nämlich die Überlegung, es könnte der Zollanschluss Liechtensteins die Stellung der Schweiz benachteiligen in der Frage der Verlegung des österreichischen Zollamtes von Buchs nach Feldkirch, d.h. die Befürchtung, die Schweiz könnte eventuell bei ihren künftigen Abmachungen mit Österreich im Zollwesen nicht mehr ganz frei und selbständig handeln, wenn sie vorher selbst an der hergebrachten wirtschaftlichen Grundlage rüttle. Trotz aller vertraglichen Abmachungen und bisheriger „beruhigender“ Versicherungen ist die Wirksamkeit bezüglicher Tendenzen doch nicht in Abrede zu stellen, und wir unterstützen daher das Begehren, dass auf alle Fälle einem Vertragsabschluss mit Liechtenstein vorgängig oder doch gleichzeitig diese Frage abgeklärt, d. h. die Belassung der beidseitigen Grenzzollämter in Buchs nach Massgabe der Zollverträge von 1870 und 1872 sichergestellt werde. Wie sehr mit einer Preisgabe der bisherigen vertraglichen Einrichtungen am internationalen Grenzbahnhof Buchs, respektive mit einer teilweisen Verlegung nach Feldkirch der internationale West-Ost-Verkehr und damit die schweizerischen Verkehrs- u. Handelsinteressen geschädigt würden, ist bereits bei anderer Gelegenheit erwähnt worden.

Wenn wir auch den von den lokalen Instanzen offenbar in starker Vergrösserung gesehenen möglichen Folgeerscheinungen nicht die Tragweite beimessen, die das Ihnen bekannte Exposé denselben beilegt, so sind wir doch gleichfalls entschieden der Ansicht, dass ein Entgegenkommen gegenüber Liechtenstein nicht eine Schlechterstellung unseres Grenzbezirkes Werdenberg bedingen darf, mit anderen Worten, dass jenes Entgegenkommen nur unter Wahrung aller berechtigten Interessen von Buchs gewährt werden darf.

Im ganzen genommen und grundsätzlich betrachtet, kommen aber auch wir, wie das Kaufmännische Direktorium, dazu, den geplanten Zollanschluss von Liechtenstein an die Schweiz entschieden zu begrüssen und zu befürworten.“

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[1] Nationalzeitung, Basel 11.7.1922, Morgenausgabe (LI LA SgZs 1922)