Fürst Johann II. von Liechtenstein wünscht über österreichisch-ungarische Vermittlung eine Klarstellung von Berlin, wonach zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und Preussen bzw. dem Deutschen Reich sowie zwischen den Häusern Liechtenstein und Hohenzollern friedliche und freundschaftliche Beziehungen bestehen


Handschriftliches Konzept, mit Korrekturen und Ergänzungen, des k.u.k. Ministeriums des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äussern, gez. Ministerialrat Franz Riedl von Riedenau, für ein „Privatschreiben“ des Ministers Agenor von Goluchowski an den österreichisch-ungarischen Botschafter in Berlin, Ladislaus von Szögyény-Marich [1]

14.11.1900, Wien

Gegenstand: Klarstellung der friedlichen Beziehungen zwischen dem Fürstenthum Liechtenstein und Preussen

Wie Ew. Exc. ohne Zweifel bekannt, hat das souveräne Fürstenthum Liechtenstein an dem durch die Ereignisse in Schleswig-Holstein hervorgerufenen Beschlusse des deutschen Bundestages vom 14. Juni 1866 theilgenommen, durch welchen die Bundescontingente der deutschen Mittelstaaten mobilisirt wurden. In Ausführung dieses Beschlusses wurde auch ein kleines liechtenstein'sches Detachement an das Stilfser Joch entsendet, um dort eventuell zur Abwehr gegen die nach Tirol einbrechenden garibaldischen Freischaaren verwendet zu werden, und verblieb daselbst bis nach dem Prager Friedensschluss vom 23. August 1866. [2] Bei dieser Gelegenheit geschah es nun, dass das Fürstenthum, welches bei den Friedensverhandlungen nicht vertreten war, übersehen wurde und dargestellt nicht unter den Signatarmächten erscheint. Dieser Umstand brachte es mit sich, dass – obwohl der Bundesbeschluss vom 14. Juni 1866 seinem Wortlaute nach keine Kriegserklärung gegen Preussen involviert hatte – von Zeit zu Zeit sich immer wieder Stimmen in der Öffentlichkeit geltend machten, welche darauf hinwiesen, dass das Fürstenthum, nachdem es gegen Preussen mobilisirt und an dem nachher erfolgten Friedensschlusse nicht theilgenommen hatte, sich Preussen gegenüber noch immer formell im Kriegszustande befinde.

Dass diese Deduction unrichtig ist und lediglich auf einer formellen Ausserachtlassung fusst, die durch die Entwicklung der Dinge längst jede Bedeutung verloren hat, ergibt sich aus einer Reihe von Thatsachen, welche zeigen, dass das Fürstenthum und Preussen bezw. das Deutsche Reich schon kurz nach dem Prager Frieden und seither ununterbrochen bis in die jüngste Zeit im international friedlichen Verkehre mit einander standen.

So hat das Fürstenthum verschiedene Verträge abgeschlossen, bei welchen auch Preussen und andere deutsche Staaten als Compaciscenten erscheinen, Verträge, welche sich die Regelung internationaler oder wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse zum Zwecke setzen und selbstverständlich nur unter Staaten eingegangen werden, die miteinander auf freundschaftlichem Fusse stehen. Abgesehen von dem Berliner Staatsvertrage vom 13. Juni 1867, [3] in welchem auf Grund des Artikels XIII des Prager Friedens die Ausscheidung Österreichs und Liechtensteins aus dem Verbande des Münzvertrages von 1857 [4] vereinbart wurde, gehören hieher die Dresdener Sanitätsconvention vom 15. April 1893, [5] das Bregenzer Übereinkommen vom 5. Juli 1893 über die Fischerei im Bodensee [6] und die Venediger Sanitätsconvention vom Jahre 1897. [7]

Zu den Umständen, welche die vollkommene Regelmässigkeit der Beziehungen zwischen dem regierenden Fürsten [Johann II.] von und zu Liechtenstein und dem preussischen Königshause darthun, gehört auch die Thatsache, dass der Fürst bei Sr. Majestät dem Kaiser Wilhelm II. eine Immediateingabe um Erneuerung der Belehnung mit dem preussischen Antheile der Fürstenthümer Troppau und Jägerndorf und Gestattung der Ablegung des Lehens- und Huldigungseides eingebracht hat und diesem Ansuchen von Sr. Majestät in der Form einer von dem kgl. preussischen Minister des kgl. Hauses, des Innern und der Justiz an Seine Durchlaucht gerichteten Schreibens stattgegeben worden ist, worüber der Botschaftsbericht vom 5. Juni 1889 No. LVII. B handelt. [8]

Im Jahre 1880 wurden die k. u. k. Missionen mit der diplomatischen Vertretung des Fürstenthums bei den fremden Höfen betraut [9] und dies auch durch den damaligen k. u. k. Geschäftsträger in Berlin, Freiherrn von Pasetti [Marius Pasetti-Angeli von Friedenburg], zur Kenntnis der deutschen Regierung gebracht, welche laut Botschaftsbericht vom 4. Dezember 1880 den Empfang dieser Mitheilung einfach mit der usuellen Bemerkung bestätigte, "dass das Erforderliche veranlasst werden wird, um jene Massregel zur Kenntnis der betheiligten Behörden zu bringen." [10]

Auch dieser Vorgang weist auf das Bestehen völlig normaler Beziehungen hin.

So klar nun aus dem Vorausgeschickten erhellt, dass von einem Kriegszustande oder selbst nur von gespannten Beziehungen zwischen den in Frage kommenden Regierungen nicht die Rede sein kann, hat doch erst in jüngster Zeit wieder ein deutsches Blatt, nämlich die Leipziger "Grenzboten" in ihrer Nummer 33 vom 16. August l. J. in einer sonst sympathisch, wenn auch ab und zu in leichtem Spotte gehaltenen Schilderung des Fürstenthumes Liechtenstein des angeblichen Kriegszustandes mit Preussen Erwähnung gethan und dieser Artikel ist in der Wiener "Deutschen Zeitung" vom 5. October [11] reproducirt worden.

Seine Durchlaucht der regierende Fürst von und zu Liechtenstein, der sich dadurch unangenehm berührt fühlt, dass jene unzutreffenden Bemerkungen nicht verstummen wollen, hat angedeutet, dass es ihm erwünscht wäre, wenn eine Modalität gefunden werden könnte, um dieser irrigen Auffassung den Boden zu entziehen. [12] Ich trage umso weniger Bedenken, dem Wunsche Sr. Durchlaucht nachzukommen, als eine Klarstellung dieses, wenn auch an und für sich keinem Zweifel unterliegenden, so doch vom rein formellen Standpunkte aus nicht ganz geklärten Verhältnisses beiden in Betracht kommenden Theilen nur willkommen sein kann, und beehre mich Ew. etc. deshalb zu ersuchen, vertraulich unter Benützung der vorstehenden Ausführungen an competenter Stelle dahin zu wirken, dass seitens der deutschen Regierung in irgendeiner Weise eine geeignete Emanation Platz greife, durch welche die zwischen dem Deutschen Reiche und dem Fürstenthum Liechtenstein beziehungsweise den beiderseitigen souveränen Häusern bestehenden friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen deutlich zum Ausdrucke gebracht werden. Die Form, in der dies geschieht, überlassen wir natürlich ganz der Beurtheilung auf deutscher Seite und würden es mit Befriedigung sehen, wenn dem Wunsche des Fürsten entsprochen werden und wenn daraus sich vielleicht auch der Anlass ergeben würde, die Notificationen von Familien- und Staatsereignissen, die bisher seitens Preussens unterblieben sind, aber von anderen Höfen, wie Russland und verschiedenen deutschen Staaten fortgesetzt geübt werden, wieder aufzunehmen.

Indem ich Ew. etc. Berichterstattung in dieser Angelegenheit entgegensehe, benutze ich diesen Anlass etc. [13]

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[1] AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Fremde Souveraine, Staaten, Karton 53, Liechtenstein (Protokoll Nr. des Ministeriums: 63805/1900. Aktenzeichen des Departements 7: 7787a) bzw. als Kopie unter LI LA SgK 017. Eingangsstempel des Ministeriums vom 2.11.1900. Vermerke: "Provenienz: Ex offo", "Privatschreiben (Quart mit Aufdruck)“, "S.E. dem Minister zur Unterschrift" mit unleserlicher Unterschrift. Stempel: "Mundirt Karl Fahrnecker“). – Vgl. auch LI LA SF 01/1900/007 und LI LA SgK 296. Vgl. ferner die "Deutsche Zeitung", Nr. 10354, 28. Oktober 1900, S. 4 ("Aus dem kleinsten deutschen Land").
[2] Vgl. den Friedensvertrag zwischen Österreich und Preussen vom 23.8.1866, öst. RGBl. 1866 Nr. 103. Vgl. auch den Vorfrieden von Nikolsburg vom 26.7.1866.
[3] Vgl. den Vertrag vom 13.6.1867 betreffend das Ausscheiden des Kaiserthumes Österreich und des Fürstenthumes Liechtenstein aus dem deutschen Münzvertrage vom 24.1.1857, öst. RGBl. 1867 Nr. 122, sowie das liechtensteinische Gesetz vom 12.2.1868 betreffend die Ausscheidung Österreichs und Liechtensteins aus dem Münzverein, LGBl. 1868 Nr. 1/1.
[4] Vgl. den Münzvertrag vom 24.1.1857, öst. RGBl. 1857 Nr. 101.
[5] Vgl. das Internationale Übereinkommen vom 15.4.1893, abgeschlossen zwischen Österreich-Ungarn, Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Montenegro, den Niederlanden, Russland und der Schweiz, betreffend gemeinsame Massregeln zum Schutze der öffentlichen Sicherheit in Zeiten des epidemischen Auftretens der Cholera, öst. RGBl. 1894 Nr. 69 ("Dresdener Sanitätskonvention"). Zum Beitritt Liechtensteins vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 30.6.1894 (LI LA LTA 1894/S04/2). Vgl. in weiterer Folge das Übereinkommen zwischen Österreich-Ungarn und der Schweiz vom 20.3.1896 betreffend die Anwendung besonderer Sanitätsmassnahmen für den Grenzverkehr und für den Verkehr über den Bodensee bei Choleragefahr, LGBl. 1896 Nr. 6. Vgl. hiezu das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 7.5.1896 (LI LA LTA 1896/S04/2).  
[6] Tatsächlich wurde das Bregenzer Übereinkommen über die Bodenseefischerei zwischen Baden, Bayern, Liechtenstein, Österreich, der Schweiz und Württemberg abgeschlossen. Der Staatsvertrag findet sich unter LI LA SgSTV 1893.07.05. Vgl. die liechtensteinische Verordnung vom 21.5.1894 betreffend den Fang der Seeforelle im Rhein, LGBl. 1894 Nr. 3. Vgl. auch das Gesetz vom 21.6.1893, wirksam für das Land Vorarlberg betreffend die Fischerei im Bodensee, Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1893 Nr. 20; sowie die Verordnung des k.k. Statthalters vom 30.12.1893, Z. 31516, womit zufolge der internationalen Übereinkunft de dto. Bregenz, 5.7.1893, neue fischereipolizeiliche Vorschriften zur Durchführung des Fischereigesetzes für Vorarlberg vom 21.2.1889 (L.G.Bl. Nr. 27 ex 1891) erlassen werden, Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol und Vorarlberg, 1894 Nr. 2.
[7] Vgl. das Internationale Sanitäts-Übereinkommen vom 19.3.1897, abgeschlossen zwischen Österreich-Ungarn, Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich, Grossbritannien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Montenegro, der Türkei, den Niederlanden, Persien, Portugal, Rumänien, Russland, Serbien und der Schweiz, öst. RGBl. 1901 Nr. 13 ("Venediger Sanitätskonvention"). Zu den Vertragsstaaten der genannten Sanitätskonventionen von 1893 und 1897 vgl. die Botschaft des Schweizer Bundesrates an die Bundesversammlung vom 12.12.1904 über die am 3.12.1903 in Paris abgeschlossene internationale Konvention betreffend Schutzmassregeln gegen Pest und Cholera (BBl. 1904, Bd. VI, S. 453 ff.).
[8] Vgl. LI LA SgK 019.
[9] Vgl. das Schreiben des österreichisch-ungarischen Aussenministeriums an die fürstlich-liechtensteinische Hofkanzlei vom 24.10.1880 (LI LA RE 1919/6087 ad 0580 (Aktenzeichen des Ministeriums: 18702/80/7)).
[10] Randvermerk: "Pro domo: Voracten: 18702/7 u. 22612/7 ex 1880".
[11] "Deutsche Zeitung", Nr. 10331, 5.10.1900, S. 3-4 ("Aus dem kleinsten deutschen Land"): "Beim Friedensschluss zwischen Preussen und Österreich sammt Verbündeten wurde der Staat Liechtenstein völlig vergessen, so dass der Kriegszustand zwischen Preussen und Liechtenstein immer noch besteht, und das von rechtswegen! Was ist doch der siebenjährige Krieg oder sogar der dreissigjährige Krieg gegen diesen nunmehr vierunddreissigjährigen Kriegszustand, der niemals ein Ende nehmen will!"
[12] Vgl. die diesbezügliche Eingabe des fürstlich-liechtensteinischen Hofkanzleileiters Hermann von Hampe, welche am 25.10.1900 "in kurzem Wege" übergeben wurde (AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Fremde Souveraine, Staaten, Karton 53, Liechtenstein (Aktenzeichen  des k.u.k. Ministeriums: 63805/7/1900) bzw. als Kopie unter LI LA SgK 017).
[13] Vgl. das Antwortschreiben des österreichisch-ungarischen Botschafters in Berlin, Ladislaus von Szögyény-Marich, an den österreichisch-ungarischen Aussenminister Agenor von Goluchowski vom 29.11.1900 (ebd.).